Ab einem gewissen Alter beginnt bei Männern die gutartige Prostatavergrößerung. Prof. Dr. Thorsten Bach, Chefarzt der Urologie am Asklepios Westklinikum Hamburg, erklärt diesen Prozess genauer.
Herr Prof. Bach, die Prostata gehört zu den Geschlechtsorganen des Mannes. Wie genau macht sich mit zunehmendem Alter die sogenannte Vorsteherdrüse bemerkbar?
Das erklärt sich durch die Lage der Prostata, die unterhalb der Blase liegt und die Harnröhre umschließt. Man kann die Anatomie der Prostata mit der Beschaffenheit einer Orange vergleichen. Außen befindet sich die dicke Schale, die Kapsel, die die äußere Zone der Prostata bildet. Innen haben wir das Fruchtfleisch, also dort, wo die gutartige Prostatavergrößerung vonstattengeht. Wenn Sie sich eine aufgeschnittene Orange vorstellen, dann sehen Sie in der Mitte der Spalten dieses weiße fisselige Zeug, dies entspräche dem Ort, an dem die Harnröhre liegt. Zwischen 30 und 40 Jahren beginnt das Adenom der Prostata, das gutartige Prostatagewebe zu wachsen.
Das ist ein ganz normaler Vorgang?
Ja, das ist auch nichts Dramatisches. Die Prostata wächst bei allen Männern, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung. Den einen, alles entscheidenden Faktor kennen wir allerdings noch gar nicht so genau. Aufgrund der äußeren Zone kann sich das Adenom nur bedingt nach außen ausdehnen. Wenn sich das Gewebe nicht mehr nach außen ausdehnen kann, aber weiter wächst, dehnt es sich nach innen aus – mit der Folge, dass es die Harnröhre zudrückt. Das ist vergleichbar damit, wenn Sie einen Fuß auf den Gartenschlauch stellen. Je fester sie den Fuß draufstellen, umso weniger Wasser kommt heraus. Dieser Mechanismus ist für einen Teil der Beschwerden verantwortlich: die sogenannten obstruktiven Miktionsbeschwerden.
Also, die Symptome, die mit Beschwerden und Schmerzen einhergehen.
Genau, zum Beispiel zählen dazu ein abgeschwächter Harnstrahl, Startverzögerungen, Restharngefühl, also man hat das Gefühl, dass sich die Blase nicht richtig entleert.
Und der zweite Symptomkomplex?
Das sind die sogenannten Drangbeschwerden, die dadurch verursacht werden, dass die Prostata die Blase anhebt und die Rezeptoren stimuliert, die dem Gehirn sagen: „Die Blase ist voll, geh schnell Wasser lassen". Wenn betroffene Männer müssen, darf der nächste Baum nicht weit entfernt sein. Das sind Männer, die sagen ihnen vom Supermarkt bis nach Hause, kennen sie jeden Baum und jeden Strauch. Das heißt, wenn sie müssen, können sie nicht lange anhalten.
Welche Ursachen sind für die gutartige Prostatavergrößerung verantwortlich?
Hormonelle Veränderungen beim Mann spielen wahrscheinlich eine Rolle. Aber wir haben – wie gesagt – noch nicht hundertprozentig identifiziert, welche der Faktoren, im Endeffekt dafür sorgen, dass die Prostata wächst und Beschwerden macht.
Ab wann wird eine gutartige Prostatavergrößerung kritisch und sollte Ihrer Erfahrung nach behandelt werden?
Kritisch wird sie dann, wenn sie entweder Beschwerden bereitet, die Lebensqualität des Patienten beeinträchtigt oder wenn sie Komplikationen verursacht. Diese können etwa ein Harnverhalt sein, das heißt die Betroffenen können gar kein Wasser mehr lassen, immer wiederkehrende Entzündungen aufgrund von Restharnbildung, Beeinträchtigung der Nierenfunktion, Blutung oder die Entwicklung von Blasensteinen. Wenn derartige Komplikationen auftreten, sollte die Prostata operativ behandelt werden. Auch sollte die Prostata behandelt werden, wenn sie dem Patienten Beschwerden macht. Letzteres ist zum Beispiel der Fall bei häufigem Wasserlassen, nächtlichem Wasserlassen und bei einem abgeschwächten Harnstrahl.
Wenn keine schweren Beschwerden vorliegen, müssen Urologen erst einmal keine Medikamente verschreiben. Worauf müssen die Patienten dennoch achten?
Wir möchten die Beschwerden des Patienten verbessern und wenn der Patient keine Symptome hat, braucht man auch keine Tablette zu geben. Worauf sollte der Patient achten? Wenn der Patient merkt, dass die Beschwerden zunehmen, muss er natürlich zum Arzt gehen, denn das ist eine Erkrankung, die fortschreiten kann. Entscheidend ist, dass der Patient weiß, dass, sobald sich sein Zustand verschlechtert, ihm Medikamente helfen können.
Was für Medikamente werden in der Regel verschrieben?
Das sind unterschiedliche Medikamente, die unter anderem abhängig sind von den vordringlichen Symptomen und von der Prostatagröße eingenommen werden. Zum Beispiel können Alphablocker zwar nicht auf das Wachstum der Prostata wirken, erleichtern der Blase das Wasserlassen aber deutlich und verbessern so die Beschwerden. Andere Medikamente wiederum können eher den Harndrang dämpfen. Der Urologe sucht die Medikamente danach aus, welche Beschwerden bei dem einzelnen Patienten im Vordergrund stehen.
Gibt es Zahlen dazu, wie häufig Komplikationen, wie beispielsweise Blut im Urin, Blasensteine oder eine Schädigung der Nieren auftreten?
Absolute Zahlen gibt es nicht. Prinzipiell muss man sehen, dass auch bei Männern mit einer kleineren Prostata Komplikationen auftreten. Das heißt die Gleichung „Je größer desto schlimmer" trifft nicht immer zu. Das Entscheidende ist, dass der Urologe die Prostata regelmäßig kontrolliert. In Deutschland sollten Männer ab 45 einmal im Jahr zur Vorsorge gehen. Die urologische Vorsorge ist eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Dabei kann der Urologe auch kontrollieren, ob es zu Restharnbildung, Blut im Urin oder einer Schädigung der Nieren gekommen ist.
Gibt es zumindest verlässliche Zahlen dazu, wie viele Männer hierzulande an Problemen beim Wasserlassen leiden und eine vergrößerte Prostata haben?
Es gibt die sogenannte Herner LUTS-Studie aus dem Jahr 2001. Meines Erachtens ist das zurzeit die beste und aussagekräftigste, die wir für Deutschland haben. In der nordrhein-westfälischen Stadt Herne hat man sich über das Einwohnermelderegister ein Kollektiv herausgesucht, das zum damaligen Zeitpunkt das gleiche demografische Bild wie in Deutschland hatte. Nachdem man die Männer befragt hatte, rechnete man statistisch hoch, dass in Deutschland 41 Prozent der Männer über 50 Jahren behandlungsbedürftige Symptome haben, ungefähr 27 Prozent eine vergrößerte Prostata und 17 Prozent der über 50-Jährigen einen abgeschwächten Harnstrahl haben.
Ist das Prostataleiden in unserer Gesellschaft ein Tabuthema, und wenn ja, was kann getan werden, damit offen darüber gesprochen wird?
Das hängt auch mit unserer Erziehung zusammen. Es stimmt, dass das Prostataleiden sicherlich noch nicht so stark thematisiert wird wie andere Erkrankungen. Wenn drei Männer in einer Kneipe sitzen und einer nach zwei Bieren zur Toilette geht, muss er sich blöde Sprüche anhören. Und wer nach jedem weiteren Getränk erneut zur Toilette muss, ist der „Held" des Abends und braucht sich um Spott nicht zu sorgen. Interessanterweise berichten mir ganz viele Männer, dass nach erfolgreicher Therapie, andere Männer das wahrnehmen. Erst dann wird darüber gesprochen und auf einmal kommt heraus, dass viele Männer die gleichen Probleme haben. Wir Männer sind leider immer noch in unserer „Ein-Indianer-kennt-keinen Schmerz"-Mentalität und in dem „Was von alleine kommt, geht auch wieder von alleine"-Glauben gefangen.
Was können Männer im mittleren Alter tun, um einer möglichen Vergrößerung ihrer Prostata in Ihrem Alltag vorzubeugen?
Tatsächlich gibt es gar nichts, was Männer zur Vorbeugung tun können. Es scheint so zu sein, dass adipöse Männer verstärkt eine vergrößerte Prostata bekommen. Das muss man aber in Anführungszeichen setzen. Generell ist es so: Es gibt nicht wirklich etwas, dass man tun kann. Mehr Sport und gesündere Ernährung hilft generell, schadet also auch nicht der Prostata. Aber wir können die Prostatavergrößerung sozusagen nicht wegessen oder weglaufen. Wenn man allerdings milde Beschwerden bemerkt, kann man über seine Alltagsführung nachdenken. Zum Beispiel jemand, der nachts oft raus muss, sollte über seine Trinkgewohnheiten nachdenken.
Gibt es zum Beispiel von der Deutschen Gesellschaft für Urologie Empfehlungen zum Trinkverhalten?
Prinzipiell ist die Empfehlung, dass wir über den Tag verteilt gleichbleibend viel trinken. Aber man kann durchaus mit einer veränderten Lebensführung Miktionsbeschwerden verbessern. Insofern, dass man zu bestimmten Zeiten die Flüssigkeitszufuhr herunterfährt oder auf Kaffee und Alkohol verzichtet. Zunächst einmal sollte man sich selbst fragen, wie die eigenen Trinkgewohnheiten sind und ob man bereit ist, mit denen zu brechen. Muss ich mir wirklich jeden Abend zur Tagesschau um 20 Uhr eine große Kanne schwarzen Tee kochen?