Videospiele sind deutlich besser als ihr Ruf. Forscher haben herausgefunden, dass diese verschiedene Bereiche im menschlichen Gehirn vergrößern können – das kann gerade älteren Menschen zugutekommen.
Insgesamt entdecken immer mehr Seniorinnen und Senioren Games für sich", sagt Felix Falk, Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Games-Branche (Game). Er erläutert weiter: „Aktuell spielen über fünf Millionen Menschen, die 60 Jahre und älter sind – Tendenz weiter steigend." Spiele würden etwa in Altersheimen ganz gezielt eingesetzt, um die körperliche und geistige Fitness zu steigern. Bestes Beispiel hierfür sei die Memore-Box vom Hamburger Unternehmen Retro-Brain, die mit Unterstützung der Barmer-Krankenkasse in Senioren-Residenzen zum Zuge kommt. Dabei handelt es sich um eine einfach zu bedienende Spielekonsole, die genau diesen Zweck erfüllen soll: spielend körperlich und geistig vital zu bleiben.
Recht bekommt der Geschäftsführer von einer Studie aus dem Jahr 2013. In dem gemeinsamen Projekt der Berliner Einrichtungen Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPI) und Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus sollte herausgefunden werden, wie sich Videospiele auf das Gehirn auswirken. Zwei Monate lang ließen die Forscher ihre Probanden das Nintendo-Maskottchen Super Mario durch dessen bunte Welten steuern. Der kleine Held mit dem charakteristischen Schnauzbart diente so täglich 30 Minuten lang als Referenz für die Studie. Das Ergebnis? Einigermaßen verblüffend, könnte man sagen.
Denn laut der Studie können die Spiele Hirnbereiche vergrößern, die für räumliche Orientierung, Gedächtnisbildung, strategisches Denken sowie Feinmotorik bedeutsam sind. Die positiven Effekte von Videospielen könnten auch bei der Therapie psychischer Störungen zum Tragen kommen, teilte Studienleiterin Simone Kühn, Wissenschaftlerin am Forschungsbereich Entwicklungspsychologie des MPI, seinerzeit mit. Die Studie wurde zwar bereits vor einigen Jahren umgesetzt, doch auf Anfrage teilt das Institut mit, dass sie auch heute noch gelte. Getestet wurde mit zwei Gruppen von Erwachsenen. Die eine Kontrollgruppe durfte, wie bereits erwähnt, zocken – die andere nicht.
Per Magnetresonanztomografie (MRT) wurde die Struktur des Gehirns vermessen. Konkret konnten die Forscher bei der Daddel-Gruppe eine Vergrößerung einiger Stellen in der Grauen Substanz erkennen. Das ist der Bereich, in der sich die Zellkörper der Nervenzellen des Gehirns befinden. Eine Vergrößerung – die übrigens umso ausgeprägter war, je mehr Spaß die Probanden beim Spielen hatten – umfasste den rechten Hippocampus, den präfrontalen Kortex und Teile des Kleinhirns. Genau diese Areale sind von zentraler Bedeutung für räumliche Orientierung, Gedächtnisbildung, strategisches Denken sowie für die Feinmotorik der Hände.
Dass Games viele positive Effekte haben, sieht auch Game-Geschäftsführer Felix Falk so: „Sie verbessern das räumliche Denken oder auch die Hand-Augen-Koordination. So sind Chirurgen, die Gamer sind, schneller als ihre nicht spielenden Kollegen und würden, laut einer Studie, dazu sogar noch bedeutend weniger Fehler machen. Die positiven Effekte von Games sind also unbestritten." Hemmungslos drauflosdaddeln sollte man trotzdem nicht: „Man sollte nicht davon ausgehen, dass diese Effekte durch mehr spielen einfach immer weiter gesteigert werden können." Vielmehr solle dabei eine gesunde Balance gefunden werden. Das sehe man beispielsweise bei den Profis im E-Sport, die nur mit einem ausgeglichenen Trainingsprogramm aus Spielen, Ernährung und mentaler sowie körperlicher Fitness auf Top-Niveau spielen können.
Videospiele verbessern räumliche Orientierung, Gedächtnisbildung sowie Feinmotorik
Simone Kühn erklärte in diesem Zusammenhang: „Während vorhergehende Studien veränderte Hirnstrukturen bei Videospielern lediglich vermuten konnten, können wir mit dieser Studie einen direkten Zusammenhang zwischen dem Spielen und einem Volumenzuwachs nachweisen. Das belegt, dass sich bestimmte Hirnregionen durch Videospielen gezielt trainieren lassen." Nun gibt es einige schwere Erkrankungen, bei denen just diese Regionen verändert sind. Dazu gehören beispielsweise psychische Störungen wie die Schizophrenie und die posttraumatische Belastungsstörung und auch neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer-Demenz.
Deswegen vermuten die Forscher, dass sich Videospiele für die Therapie solcher Erkrankungen eignen könnten. Einen positiven Aspekt erläuterte Jürgen Gallinat von der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus. Der Psychiater und Co-Autor der Studie von 2013: „Viele Patienten werden Videospiele eher akzeptieren als andere medizinische Interventionen."
Bereits heute würden Games in manchen Therapien unterstützend eingesetzt, ergänzt Felix Falk: „Phobie-Patienten werden unter Anleitung von Psychologen in der virtuellen Umgebung sehr gezielt ihren Ängsten ausgesetzt, damit diese besser kontrolliert werden können." So konnte bereits Verbrennungsopfern geholfen werden: „Indem sie per virtueller Realität in Eiswelten unterwegs waren, verringerte sich ihr Schmerzempfinden. Solche Effekte konnten gerade in der Schmerztherapie an verschiedenen Stellen mit Games nachgewiesen werden und auch bei Verhaltenstherapien gibt es gute Beispiele."
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen 2017 Forscher um Greg West von der Universität Montreal. Diese ließen gleich drei Gruppen „Super Mario 64" spielen und stellten ebenfalls eine Zunahme der Grauen Substanz fest, wie sie im Fachmagazin „Plos One" erklärten. Gerade Ältere bewegen sich fast nur noch in den eigenen vier Wänden und trainieren kaum noch das für räumliche Orientierung zuständige Hirnareal. Bei dieser Studie dienten ein halbes Jahr lang 33 Menschen zwischen 55 und 75 Jahren als Probanden. Eine Gruppe sammelte bei dem Nintendo-Klassiker Punkte und versuchte, die Prinzessin zu retten. Hatten diese Teilnehmer noch keine Erfahrung mit 3-D-Computerspielen gesammelt, mussten sie nun fünf Tage pro Woche je eine halbe Stunde daddeln. Wer das Ziel erreichte, musste sich danach an „Super Mario Galaxy" versuchen. Die zweite Gruppe übte in der gleichen Zeit Klavier am Computer, ebenfalls ohne Vorkenntnisse. Ohne Aufgabe blieb die dritte Gruppe.
Bei den Probanden ganz ohne Lerneffekt nahm die Menge der Grauen Substanz in allen getesteten Gehirnarealen ab. Die Co-Autorin der Studie, Sylvie Belleville, erklärte dazu: „Die gute Nachricht ist, dass wir solche Effekte wieder rückgängig machen können und das Volumen wieder erhöhen können, wenn wir etwas Neues lernen, und Spiele wie ‚Super Mario 64‘, die den Hippocampus aktivieren, scheinen hier Potenzial zu haben." Zudem wurde herausgefunden, dass sich Regionen verbesserten, die für Bewegungen und Gleichgewicht zuständig sind.
Positive Effekte auf Bewegung und Gleichgewicht
Bei den Klavier spielenden Probanden konnte ein Effekt wie bei den Computerspielern festgestellt werden – und zusätzlich Verbesserungen in einem Bereich, der für Planungen und Entscheidungen wichtig ist. Bei den „Super Mario"-Spielern legte die Graue Substanz im Hippocampus zu – das Kurzzeitgedächtnis verbesserte sich. Im Hippocampus werden neue Eindrücke als Erinnerung gespeichert. Zudem werden räumliche Infos so gespeichert, dass sozusagen eine innere Karte entsteht.
Die Studie baut auf Erkenntnissen der sogenannten Taxifahrer-Studie auf, bei der vor einigen Jahren festgestellt wurde, dass Londoner Taxifahrer ihren Hippocampus trainieren, indem sie innere Karten von London anlegen, um sich auf Prüfungen vorzubereiten. Neuere Studien hatten bereits gezeigt, dass sich das 3-D-Computerspielen positiv auf bestimmte Gehirnstrukturen bei jungen Menschen auswirkt.
Droht da nicht die Gefahr, sich in virtuellen Welten zu verlieren? Wenn virtuelle Welten immer realistischer dargestellt werden, gleichzeitig die reale Welt immer komplexer und rabiater zu werden scheint? Felix Falk sagt: „Wie auch Bücher oder Filme, spiegeln Games unsere Kultur, Gesellschaft und Geschichten wider. Gerade bei Veränderungs- und Umwälzungsprozessen kam solchen Kulturgütern schon immer eine besonders große Bedeutung für die Reflexion und Auseinandersetzung zu. Als das Medium des 21. Jahrhunderts spielen Games deswegen eine besonders große Rolle."
Zudem habe sich das Bild von Games in der Öffentlichkeit deutlich gewandelt. Standen vor zehn oder 20 Jahren vor allem vermeintliche Risiken im Mittelpunkt der Debatte, wird heute erkannt, dass Spiele Kulturgut, Wirtschaftsfaktor und Innovationstreiber sind. Das habe auch die Politik verstanden. „Darum gibt es auf Bundesebene auch eine Games-Förderung in Höhe von 50 Millionen Euro jährlich, um bei der Entwicklung dieses wichtigen Zukunftsmediums international nicht den Anschluss zu verlieren", so Felix Falk.