Das Virus verschärft Krieg und Terror: Deshalb müssen die reichen Länder helfen
Auf den ersten Blick ist die Logik einleuchtend: Das Coronavirus frisst sich über den ganzen Erdball. Die Pandemie schwächt Länder, Volkswirtschaften und Gesellschaften. Infolgedessen geht auch den Konfliktparteien die Luft aus. Der Corona-Lockdown, so die Annahme, lähmt am Ende auch die destruktive Energie der Streithähne.
Leider ist genau das Gegenteil der Fall. Das Virus heizt die internationalen Konflikte eher an. „Das trifft insbesondere auf den Irak und Syrien zu. Im Irak gibt es bereits Anzeichen für ein Wiederaufflammen der Aktivitäten der Terrormiliz Islamischer Staat", warnt Dan Smith, Direktor des renommierten Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri. „Im Jemen könnten sich die Fronten verhärten. In Afghanistan ist im Zuge der Corona-Krise mit einem Wiedererstarken der radikalislamischen Taliban zu rechnen."
Aber auch am Horn von Afrika und in Teilen Westafrikas wie zum Beispiel in Nigeria oder Mali drohten neue Spannungen, sagt Smith. Der Sipri-Chef malt ein düsteres Gemälde: „Dort ist in einigen Regionen wegen der Ausbreitung der Seuche die Infrastruktur des Staates sehr geschwächt. Die Menschen bekommen nicht die Unterstützung, die sie brauchen. Einige werden sich daher gewalttätigen Milizen anschließen."
Spannungen, die sich in Gewalt entladen, gibt es vor allem in zutiefst instabilen Staaten wie Afghanistan, Libyen oder Mali oder in Diktaturen wie Syrien. Die Corona-Krise verschärft die sozialen Nöte in diesen Ländern. Es gibt keine Tests, keine medizinische Infrastruktur, keine Beatmungsgeräte in Intensivstationen.
Weil viele wegen der Ausgangssperren ihre Arbeit verlieren, können sie ihre Familien nicht mehr ernähren. Das steigert den Unmut gegen die Regierungen und höhlt die Autorität der öffentlichen Institutionen aus.
Nutznießer dieses Vertrauensverlustes sind nichtstaatliche Organisationen – vor allem Terrorgruppen wie die Taliban in Afghanistan oder islamistische Milizen in Libyen. Sie bieten ihren Anhängern Verpflegung, Geld und Schutz. Das Coronavirus vergrößert die soziale Misere und facht Konflikte an. Es ist ein Brandbeschleuniger für Bürgerkriege.
Die Armen dieser Welt verfügen nicht über die Finanzmittel, um die Pandemie einzudämmen. Die wohlhabenderen Länder können insgesamt mehr als sieben Billionen Euro aufbringen. Allein Deutschland hat rund 1,3 Billionen Euro für Firmen-Darlehen, Zuschüsse und Kreditgarantien reserviert. Davon können Armenhäuser wie der Jemen oder Somalia nicht einmal träumen.
In diesen Zeiten braucht die Welt eine Corona-Solidarität. Es gibt keine Insel-Lösungen, die nur das Wohl des eigenen Landes im Blick haben. Auch in dieser Hinsicht liegt US-Präsident Donald Trump mit seinem „America-First"-Nationalismus falsch.
Die reicheren Staaten müssen sich gemeinsam darum kümmern, dass die Notleidenden einen medizinischen Grundschutz gegen Corona bekommen. Es geht um die Bereitstellung von Gesichtsmasken und Test-Kits. Und es geht um die hinreichende Versorgung mit Ärzten und Kliniken. Gelingt es nicht, dass die besonders belasteten Länder eine Perspektive für ein halbwegs ziviles Leben bekommen, versinken sie im Chaos.
Diese Hilfe darf natürlich keine Einbahnstraße sein. Es muss sichergestellt werden, dass Finanz-Transfers an ärmere Länder nicht in den Taschen korrupter Eliten in Afrika, Nahost oder Asien verschwinden. Transparenz ist wichtig. Wer eigene Gelder bereitstellt, hat auch ein Recht auf gute Regierungsführung – neudeutsch „good governance" – und den effizienten Einsatz der Mittel.
Wem das Gebot der Solidarität in Corona-Zeiten zu moralinsauer klingt, der mag es wenigstens aus Eigennutz akzeptieren. In der Globalisierung funktioniert Abschottung nicht auf Dauer. Das Virus findet Wege, um Grenzen zu überschreiten. Ansteckungsherde wandern, und niemand ist hundertprozentig vor ihnen sicher. Daher ist die eigene Gesundheit immer auch die Gesundheit der anderen.
Das gilt in gleichem Maße für die politischen und sozialen Auswirkungen der Corona-Krise. Wenn Staaten zerfallen, bekommen Terrorgruppen einen neuen Nährboden. Die Zahl der Flüchtlinge wird noch größer. Am Ende sind auch die reichen Länder davon betroffen. Die Welt würde zu einem noch ungemütlicheren Ort, als sie es heute schon ist.