Die Krise drückt, das Einkommen sinkt – und viele Haushalte geraten in finanzielle Not. Die Schuldnerberatungsstellen verzeichnen schon jetzt immer mehr Anfragen. Doch die Welle kommt erst noch. Experten-Tipps helfen, das Schlimmste zu verhindern.
Die erste Zeit der Corona-Krise war für den Musiker Chris B. ein Schock. Praktisch über Nacht gingen dem Sänger alle Aufträge verloren. Mit der Staatshilfe für Soloselbstständige hat er die ersten Wochen überlebt. Jetzt sieht es besser aus, nachdem die Musikschulen, für die er arbeitet, den Unterricht online anbieten. „Ich habe sehr viel Glück gehabt", stellt er fest. Er könne alle Rechnungen bezahlen. Ob das nach der anstehenden Sommerpause auch noch so ist, weiß er allerdings noch nicht.
So geht es derzeit vielen Menschen. Kurzarbeiter, Familien, Soloselbstständige – viele Haushalte stecken in einer prekären finanziellen Lage. Während die Preise für Lebensmittel und Drogerieprodukte ansteigen, sinken in vielen privaten Haushalten die Einkommen. Bis zu zehn Millionen Arbeitnehmer sind in Kurzarbeit. Selbst wenn das Kurzarbeitergeld nun auf 80 Prozent angehoben wird, sind die Einbußen bei Beschäftigten mit niedrigen Löhnen schmerzhaft. „Das spüren wir bei der Caritas schon jetzt", sagt Roman Schlag, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände (ASV), „die Zahl der Erstanfragen in der Onlineberatung ist von 1.777 im Februar auf 2.677 im April gestiegen."
„Noch ist das Ausmaß der drohenden Überschuldung nicht überschaubar. Denn bis es zu Zwangsmaßnahmen wie einer Pfändung kommt, vergehen wenigstens zwei bis drei Monate. Momentan sehen wir eine wachsende Nachfrage wegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wie Kontopfändungen", berichtet der Schuldenexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (VZ), Christoph Zerhusen. Es sei damit zu rechnen, dass viele Menschen unverschuldet in finanzielle Not geraten. „Das ist noch die Ruhe vor dem Sturm", glaubt er, „die große Welle kommt noch."
„Daran ändern auch die Regeln zur Stundung von Miete oder Strom wenig", warnt Roman Schlag. Denn die ausstehende Zahlung muss ja nachgeholt werden. Auch beklagt die VZ, dass einige Banken für gestundete Darlehen auch Zinsen verlangen. Die Initiative „Finanzwende" hat nun bei einer Auswertung von rund 3.400 Kontomodellen der Geldinstitute festgestellt, dass vielfach überhöhte Dispozinsen verlangt werden. „Fast bei der Hälfte betrug der Zinssatz zehn Prozent oder mehr", kritisiert „Finanzwende" und fordert von der Branche, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.
„Noch die Ruhe vor dem Sturm"
Wie viele Verbraucher schon eine Stundung ihrer Ratenzahlungen beantragt haben, ist nach Angaben der Deutschen Kreditwirtschaft derzeit nicht bekannt. Auch die Wohnungswirtschaft weiß noch nicht, was an zeitweiligen Zahlungsausfällen auf sie zukommt. Deren Gesamtverband berichtet, dass im April nur bei 15.000 Mietverhältnissen ein Zahlungsausfall vorlag. Das entspricht gerade einmal 0,66 Prozent aller Verträge. Doch das werde sich im Mai ändern, fürchtet der Verband.
Für viele von der Krise betroffene Verbraucher ist eine finanziell prekäre Lage ungewohnt. Es gibt Möglichkeiten, Pfändungen oder gar die Kündigung der Wohnung zu vermeiden. „Grundsätzlich ist Besonnenheit gefragt", rät Schuldenexperte Zerhusen. Zunächst sollte eine Bestandsaufnahme aller Einnahmen und Ausgaben erfolgen, inklusive der nur einmal jährlich zu zahlenden Rechnungen. Daraus ergibt sich der monatliche Bedarf und eine mögliche Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben wird sichtbar.
Schuldnerberater Schlag würde im nächsten Schritt alle weniger wichtigen Verträge kündigen. So verfügen viele Haushalte zum Beispiel über mehrere Reisekrankenversicherungen, weil dies in verschiedenen anderen Verträgen mit enthalten sind. Auch beim Auto lässt sich sparen. Da in diesem Jahr die Fahrleistung wegen der Beschränkungen geringer sein dürfte als die Haftpflichtversicherung vorsieht, gibt es Geld zurück, wenn der Versicherung die voraussichtlich niedrigere Kilometerleistung gemeldet wird.
Die Fachleute raten zu einer schnellen Reaktion, wenn sich eine Notlage abzeichnet. „Zunächst sind die wichtigsten Rechnungen wie Miete oder Strom zu begleichen", sagt Zerhusen. Die Situation auszusitzen, sei keine geeignete Strategie, weil sich dadurch die Lage nur verschlimmert. „Ganz wichtig ist es, die Post zu öffnen und den Forderungen nicht aus dem Weg zu gehen", sagt er. Im Gespräch mit dem Gläubiger finde sich vielleicht eine Lösung.
Auch die Schuldnerberatungsstellen helfen, etwa die bei der Caritas oder kostenlos bei den Verbraucherzentralen. Momentan gibt es zwar kaum persönliche Gespräche mit den Helfern. Doch auch telefonisch oder online können erst einmal die wichtigsten Fragen geklärt werden. Ein Anbieter ist die Caritas, bei der sich Betroffene informieren und zu den Beratern Kontakt aufnehmen können. Wer eine Hilfe vor Ort sucht, wird auf der allgemeinen Internetseite zur Schuldnerberatung fündig. Dort sind die Beratungsstellen in den Bundesländern und nach Städten aufgeführt. Diese Hilfe sollte schon frühzeitig in Anspruch genommen werden, nicht erst, wenn sich die offenen Rechnungen stapeln. „Viele Menschen warten zu lange, bevor sie zur Beratung gehen", weiß Zerhusen aus Erfahrung.
Überschuldung? Früh handeln!
Zu hohe Schulden sind kein neues Phänomen. Seit vielen Jahren liegt die Zahl der von Überschuldung bedrohten Haushalte bei rund sechs Millionen. Die gute Lohnentwicklung der vergangenen Jahre hat das Problem zwar etwas gemildert. Doch dies könnte sich nun wieder ändern. Allein im vergangenen Jahr vergab die Kreditwirtschaft für den Konsum auf Pump rund 15 Milliarden Euro an Konsumentenkrediten. Die Branche rechnet schon mit einer wachsenden Zahl an Ausfällen bei der Ratenzahlung.
Im schlimmsten Fall droht die Privatinsolvenz. Nach einer Vereinbarung mit den Gläubigern vor Gericht gilt in der Regel dann eine sechsjährige Wohlverhaltensfrist, in der ein Anteil der Schulden getilgt werden muss. Danach ist der Verbraucher wieder schuldenfrei. Die EU sieht nun eine nur dreijährige Frist vor. Das ist in Deutschland aber noch nicht als Gesetz umgesetzt worden. VZ-Experte Zerhusen plädiert angesichts der jüngsten Entwicklung für eine schnelle Regelung im Sinne der Verbraucher.
Seine Rechnungen nicht zu begleichen, hat oft noch eine andere negative Folge in Form eines Eintrags bei der Auskunftei Schufa. Damit sinkt die Bonität, und es wird schwieriger, Darlehen oder Mobilfunkverträge zu bekommen. Doch die Schufa beruhigt zunächst einmal. Wichtig sei es, Zahlungsschwierigkeiten zeitnah dem jeweiligen Unternehmen zu melden und geltend zu machen, dass man wegen der Corona-Pandemie nicht zahlen kann, erläutert Sprecher Ingo Koch. Wenn es um Waren oder Leistungen des täglichen Bedarfs geht, könne die Forderung gestundet werden. „Ist eine Zahlung gestundet oder aufgeschoben, wird dies bei uns auch nicht als Zahlungsstörung behandelt", versichert er.