Miguel Góngora, Vorsitzender des Landesschülerausschusses, beklagt, dass die Schüler nicht in die Konzepte der Berliner Senatsverwaltung in der Corona-Krise einbezogen wurden. Seiner Ansicht nach müssten sich Schülerinnen und Schüler mehr einmischen.
Herr Góngora, Sie machen gerade Abitur. Wäre es nach Ihnen gegangen, hätten die Abiturprüfungen wegen der Corona-Krise ausfallen sollen. Wie fühlen Sie sich dabei?
Ich fühle mich unwohl mit dem Gedanken, dass die Prüfungen zwar für mich machbar sind, jedoch nicht für alle Schüler, die ich vertrete. Alle Abiturienten wollen nur ihr Abitur, aber auch wenn sie ein Durchschnittsabitur mit freiwilligen Prüfungen verlangen und diese Hoffnung hatten, würden sie sich nicht freuen – da wir immer der Corona-Jahrgang bleiben werden.
Sie fanden, dass die Schulen früher hätten geschlossen werden sollen, jetzt kommt die allmähliche Öffnung. Werden Sie in solche Entscheidungen mit einbezogen?
Obwohl wir wöchentlich eine Telefonkonferenz mit der Hausspitze der Senatsverwaltung haben, werden wir nicht bei der Entwicklung ihrer Konzepte mit einbezogen. Wir erhalten damit lediglich die Möglichkeit, Anregungen weiterzugeben. Im Allgemeinen, aber auch besonders zum Bewältigen der Corona-Krise sollten alle Landesschulgremien eingebunden werden.
Was halten Sie davon, dass die Lehrer jetzt fordern, das Schuljahr bis in den Januar 2021 zu verlängern?
Ich halte das für einen Vorschlag, der geprüft werden muss. In jedem Bundesland muss ausgewertet werden, wie viel Unterrichtsstoff verloren ging und welche Maßnahmen dagegen eingeleitet werden können. Dabei würde ich mir Unabhängigkeit von der KMK wünschen.
Sind Sie zufrieden damit, wie der Lehrstoff in der Zeit des Corona-Lockdowns weiter vermittelt wurde?
Die Lehrstoffvermittlung in Zeiten von Schulschließungen entpuppte sich in Berlin als Herausforderung, denn weder das Homeschooling noch die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts liefen einheitlich erfolgreich. Man kann von einzelnen Erfolgen sprechen, allerdings sind diese nicht repräsentativ. In den meisten Schulen konnte man nicht einmal die interne Kommunikation sicherstellen.
Haben Sie einen Überblick, in wie vielen Schulen digitales Lernen während der Corona-Krise möglich war?
Geschätzt waren 85 Prozent der Schulen letztendlich dazu in der Lage, zumindest an einem Wochentag digitale Lernangebote für viele Schüler zur Verfügung zu stellen.
Der schlechte Zustand, in dem viele Berliner Schulen sind, ist ja bekannt. Wie lässt sich da ein wirksames Hygienekonzept durchziehen?
Die effektive Umsetzung eines Hygienekonzeptes der Senatsverwaltung lässt sich nur durch die Ausstattung aller Schulen mit den benötigten Ressourcen, einer Klärung der Zuständigkeiten und der Realisierbarkeit des Anforderungs-Ausstattungsverhältnisses und einer intensiven Prüfung durch die Schulaufsicht umsetzen. Dabei ist wichtig zu beachten, dass die Schulaufsicht die Verantwortung für die Einhaltung der Hygienerichtlinien bei der Wiederaufnahme des Schulbetriebs tragen muss.
Welche Rechte haben Schülerinnen und Schüler eigentlich in diesem Geflecht von Schulverwaltung, Lehrervertretungen und Landeselternrat?
Schülervertretungen verfügen über die gleichen Rechte wie Elternvertretungen und die Vertretungen des pädagogischen Personals. Als Beratungsgremien der Senatsverwaltung für Bildung ist es unsere Pflicht, das Meinungsbild der Schülerschaft an die Senatorin heranzutragen und ihre Forderungen durchzusetzen. Besondere Rechte haben wir nicht, aber die Schüler, die sich in den Schülervertretungen beteiligen, werden auf der politischen Ebene, auf der sie arbeiten, angehört und auf Landesebene ernst genommen.
Wenn Ihre Forderungen ständig ignoriert werden – wie ist es mit der Demokratie bestellt im System Schule?
Das System Schule ist nicht demokratisch und verfügt nur geringfügig über praxisdemokratische Prozesse. Die Schülerschaft erlernt demokratische Grundlagen, allerdings werden diese nicht ausgelebt. Entscheidungen mit hoher Relevanz für uns Schüler werden nicht in demokratischer Form getroffen, auch verfügen wir nicht über ausreichend Rechte zur Mitbestimmung in der Schule oder in der Bildungspolitik.
Welche Möglichkeiten haben Schülerinnen und Schüler, sich zu wehren, wenn ihnen eine Entscheidung nicht passt?
Wir können unsere Forderungen veröffentlichen und pressewirksam auf landespolitischer Ebene gegen die Entscheidungen der Senatorin vorgehen. Wir können unsere Infrastruktur zum Organisieren von Protestaktionen nutzen und auch vereint rechtliche Schritte einleiten.
Bei den „Fridays for Future"-Demos hat es doch geklappt. Warum treten die Schüler im eigenen Interesse nicht in den Streik?
Wir arbeiten daran, Themen anzusprechen, mit denen Schüler sich vereinen, um für ihre Forderungen einzustehen. Dabei müssen wir gegen das Vorurteil ankämpfen, dass wir nicht die Handlungsmöglichkeiten besitzen, Veränderung herbeizuführen. Die Absage der Abschlussprüfungen war ein Thema, dass unsere Generation erneut wachgerüttelt hat. Daher war das Durchsetzen der MSA-Absage (MSA bedeutet Mittlerer Schulabschluss, Anm. d. Red.) der erste große Schritt zur Klärung des Vorurteils.
Sie werden Ihr Amt ja bald abgeben müssen, wenn das Abitur vorbei ist. Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Gehen Sie in die Politik?
Nach der Schule möchte ich studieren und parallel dazu gerne 2021 für das Berliner Abgeordnetenhaus kandidieren. Ich möchte weiter gegen Ungerechtigkeiten kämpfen und mich weiter meinen Zielen zur Verbesserung unseres Bildungssystems, zur Stärkung der Mitbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen und zur Rückkehr in die inhaltliche Politik einsetzen.