Schule entwickeln und dabei jeden Schüler im Blick haben – das ist das Grundprinzip von „Schulen stark machen". Daniel Dettloff, im saarländischen Bildungsministerium zuständig für das Projekt, über Netzwerktage, Kooperationen und Lehren aus der Corona-Krise.
Herr Dettloff, das Projekt „Schulen stark machen" richtet sich an Schulen mit besonderen Herausforderungen. Dann kam jetzt noch die Corona-Ausnahmesituation. Wie sind diese Wochen speziell an den Standorten, die am Projekt beteiligt sind, gelaufen?
Gerade an diesen Schulen sind viele Schülerinnen und Schüler, die nicht zu den Privilegierten in unserer Gesellschaft gehören. Wir müssen grundsätzlich darauf achten, dass die Schere nicht noch größer wird. In der besonderen Situation bestand die große Gefahr, dass Schüler, die keine Betreuung zu Hause haben, wo keiner danach schaut, wie es mit Aufgaben und der Schule überhaupt läuft, erst recht alleingelassen sind. Gerade an unseren Projektschulen gab und gibt es einen besonders engen Kontakt. Das geht zum Beispiel ganz klassisch über das persönliche Gespräch per Telefon, WhatsApp oder E-Mail. Die Schulen haben schnell versucht, Strukturen aufzubauen und einen ganz starken Kontakt zu halten, und es war teilweise schon beeindruckend zu sehen, wie sie sich um jeden einzelnen Schüler bemühen. Das gelingt natürlich nicht hundertprozentig, aber gerade an unseren Projektschulen gibt man sich schon ganz besondere Mühe.
Wie ist es bei den Schülern in dieser Situation aufgenommen worden?
Die Kollegen haben sich erst einmal darum bemüht, noch enger im Austausch zu stehen, um auch zu hören, wo Bedarf ist. Man war ja schließlich nicht auf eine solche Situation vorbereitet. Da wurde seitens des Ministeriums in kürzester Zeit eine digitale Plattform aus der Taufe gehoben, die Online-Schule Saarland, um mit Schülern in Kontakt zu bleiben. Schülerinnen und Schüler nutzen die neuen Medien intensiv, vor allem über Smartphone. Aber wir haben auch gesehen, dass es viele gibt, die keinen Zugriff auf das Internet haben, oder dass eben die notwendigen Geräte zu Hause nicht zur Verfügung stehen. Da ist dann im engen Kontakt zum Teil eine Art Shuttle-Post-Service aufgebaut worden, damit die Schüler notwendige Materialien auch in analoger Form bekommen haben. Das klappt in vielen Fällen, aber an der ein oder anderen Stelle eben auch nicht.
Das Projekt „Schulen stark machen" ist vor zwei Jahren gestartet. Wie sind bisher die Erfahrungen?
Wir haben uns zunächst bemüht, die teilnehmenden Schulen miteinander zu vernetzen. Es hat ein halbes Jahr gedauert, das zu strukturieren und dabei auch die Projektziele zu schärfen. In dieser Phase war es uns wichtig, den Schulen zu sagen, was wir hineingeben. Aber auch klar zu machen: Wir wollen auch was von euch. Inzwischen haben wir mit allen Schulen Projektvereinbarungen getroffen, und inzwischen ist die Zusammenarbeit mit den Schulen in eine echte Werkstatt gemündet, in der die Schulleitungen und Steuergruppenmitglieder gemeinsam an ihren Projekten und Vorhaben arbeiten. Das hat sich auch besser bewährt als Netzwerktage, die wir zuvor zwei-, dreimal im Jahr gemacht haben. Es geht um gemeinsames Arbeiten, auch das schulformübergreifend.
Wie muss man sich diese „Werkstatt" vorstellen, in festem Turnus oder bedarfs- und themenorientiert?
Inhaltlich haben wir die Werkstatt in Rückkopplung mit den Schulleitern skizziert, moderiert wird sie von einem Kollegen der Deutschen Schulakademie. Zunächst einmal ging es darum, zu sehen wo die einzelnen Schulen, die ja sehr unterschiedlich sind, stehen, und dann um die Frage: Wo wollen wir in fünf oder sieben Jahren stehen? Das war der Einstieg in die Visionsarbeit. Die Schulen mussten dann ableiten, wie sie diese Ziele erreichen, welche Meilensteine sie setzen wollen. Das sind Arbeiten, für die Schulen in der Regel sonst keine Zeit haben, sie ertrinken im Alltag. Es geht aber auch um handwerkliche Fragen – etwa, wie man mit Widerständen umgeht, schwierige Konferenzen leitet, Kooperationsstrukturen in der Schule aufbaut. Bei allem sind die Projektvereinbarungen unterlegt, die wir abgeschlossen haben. Es geht darum, sich selbstständig zu organisieren, auch Lernen selbstständig zu organisieren. Wir haben die Schüler im Blick, die wir zu teamfähigen Persönlichkeiten entwickeln wollen. Natürlich geht es auch um das fachliche Lernen, aber eben auch ganz stark um die soziale Komponente.
Ketzerisch gefragt: Müssten das nicht eigentlich alle Schulen zum Ziel haben?
Ja klar, natürlich. Für die Schulen im Projekt gelten ja auch nicht grundsätzlich andere Prämissen für gute Schule, aber es gibt dabei Aspekte, die an diesen Schulen verstärkt gelten. Jedenfalls mehr als an Schulen mit anderer Schülerschaft.
Zum Stichwort Zusammenarbeit: Man hat oft den Eindruck, an Schulen herrsche vor Ort eine gewisse Einzelkämpfermentalität. Wie gelingt es da, eine Kooperationskultur zu entwickeln?
Diese Kooperationen sind ein Schlüssel, um gerade diese Schulen erfolgreich weiterzuentwickeln. Es läuft nur über eine verstärkte Kooperationskultur. Es ist schon eine Erfahrung, dass sich Lehrer damit zum Teil schwertun, das zunächst auch als Belastung empfinden. Man muss dafür ja auch Zeit investieren, und Erfolg, wenn er eintritt, gibt es erst mittelfristig. Insofern ist es gar nicht so leicht, aber es wird immer besser. Denn letztlich sehen die Lehrkräfte an diesen schwierigen Standorten die Vorteile, wenn sie sich absprechen, austauschen, stützen. Und das ist dann unter dem Strich auch wieder eine Entlastung für den Einzelnen.
Kann man aus den Erfahrungen Rückschlüsse für die Lehrerausbildung ziehen?
Nach zwei Jahren noch nicht unbedingt, die Erfahrungen sind noch zu frisch. Trotzdem gibt es grundsätzliche Ansätze, die wir versuchen in die Studienseminare mit einzubringen. Das ist im Saarland sicherlich auch einfacher möglich, weil sich wegen der Kleinheit des Landes vieles überschneidet. Das ist der Vorteil eines Landes der kurzen Wege.
Solche Zielvereinbarungen lassen sich vermutlich nicht einfach quantifizieren, wie kann man dann Erfolg messen?
Es stimmt: Messen im naturwissenschaftlichen Sinn ist im pädagogischen Bereich natürlich schwierig. Trotzdem versuchen wir schon, in den Projektvereinbarungen Indikatoren zu formulieren, anhand derer man nach zwei Jahren ein Stück weit überprüfen kann, wie weit man gekommen ist. Vielleicht ein Beispiel zum Thema Partizipation: Gibt es inzwischen einen Klassenrat, wenn ja, was macht der, wie arbeitet der? Da gibt es schon vieles, wo man dann draufschauen kann. Es war zugegeben auch nicht leicht, sondern ein längerer Prozess, das zu formulieren. Dabei muss man zugestehen, dass Schulen eigentlich nicht gewohnt sind, in solchen Kategorien zu denken. Es geht ja auch durchaus darum, dass solche Entwicklungen dann sichtbar sind. Es ist schon gelungen, interessante Ziele zu formulieren, und ich denke es wird gelingen, diese zu großen Teilen zu erreichen.
Wie sieht es mit den Ressourcen für „Schulen stark machen" aus?
Uns ist wichtig, dass es nicht nur um die notwendigen Ressourcen geht, sondern auch um die konzeptionelle Weiterentwicklung. Es ist eben nicht damit getan, den Schulen jetzt einfach mehr Geld zu geben, und das war’s dann. Natürlich gibt es finanzielle Mittel, damit Schulen, die sich ein bestimmtes Profil geben wollen, beispielsweise im Sport, dafür auch die notwendigen Geräte anschaffen können. Als ganz spannende Komponente für die Entwicklung empfinde ich die Zusammenarbeit mit externen Prozessbegleitern, interessanten Persönlichkeiten, darunter auch Leute, die den deutschen Schulpreis gewonnen haben. Die kommen in regelmäßigen Abständen, arbeiten gemeinsam mit den Schulen, steuern auch konzeptionell noch einmal neuen Schwung mit bei. Es ist schon spannend, wenn jemand, der beispielsweise in Berlin eine Schule in einem Brennpunkt geleitet hat, seine Erfahrungen hier im Saarland mit einbringt.
Das klingt ein wenig danach, als sei das alles noch ein großes Experimentierfeld.
Absolut. Es ist ein lernendes Projekt. Wir versuchen, aus Fehlern zu lernen, und wir versuchen immer, uns an den Bedarfen der Schulen zu orientieren. Dafür ist diese Werkstatt ein gutes Beispiel und eine gute Möglichkeit, um immer wieder nachzusteuern. Spannend wird es sicherlich auch, wenn wir auf die Vereinbarungen mit den Schulen sehen, uns anschauen, inwieweit Schulen das umsetzen können, was sie sich da auf die Fahnen geschrieben haben. Wirkt das? Gibt es Veränderungen? Kommt das bei den Schülern an oder muss man nachsteuern? Insofern ja, es ist ein großes Experiment.
Dabei sagt man doch der Bildungsbürokratie in der Regel nicht gerade große Experimentierfreude nach.
Es gibt natürlich feste Strukturen. Wir haben uns sicherlich auch deshalb entschlossen, die Arbeit mit diesen Schulen in ein Projekt zu gießen, in dem wir flexibel sind und das lebt. Es klappt nicht immer alles. Es gibt offene Baustellen. Wir achten dabei immer darauf, auch die Schulträger mit einzubinden. Also: Das lebt. Wenn Sie sagen, dass man das von der Bildungsadministration weniger gewohnt ist, dann ist es für uns umso spannender.