Das Aufatmen und die Freude, im eigenen Lokal wieder Gäste bewirten zu dürfen, sind bei den Berliner Gastronomen groß. Das Kreuzberger „Feed Back" und das „Bricole" im Prenzlauer Berg starteten mit neuen Einsichten und Geschäftsfeldern in eine veränderte Restaurant-Realität.
Seit dem 1. Mai stand Ji Zheng hinter ihrem Quasi-Tresen in der Tür ihres Restaurants „Feed Back". Knapp zwei Wochen lang gab es das kantonesische Essen ihres Partners und Küchenchefs Rong Dong Chen nur zum Mitnehmen über den Stehtisch hinweg. Gastgeberin Ji Zheng hatte von dort aus das Paul-Lincke-Ufer Ecke Kottbusser Damm im Blick. Sie sah: viele Spaziergänger. Wenige innerberlinische Touristen. Dafür aber noch mehr Nachbarn als sonst. „Wir holen uns viel öfter unser Essen im Kiez", sagt ein Mann in der Warteschlange und weist mit seinem Arm in Richtung Mariannenstraße, wo er wohnt. „Wenn ich nicht will, dass es wie in Duisburg wird, muss ich etwas dafür tun." Mit Mapo Tofu und Gongbao Aubergine wird in Kreuzberg das Motto #supportyourlocals ganz klar praktisch umgesetzt und „Erhalte dein Restaurant" gelebt. Nichts gegen Duisburg! Aber dem Vergleich mit der Restaurant-Meile nördliches Paul-Lincke-Ufer dürfte die Ruhrgebietsstadt kaum standhalten: Das „Feed Back" im Eckhaus am Anfang, das Zwei-Sterne-Restaurant „Horváth", das mexikanische „La Lucha", das „Spindler", die Thai Brasserie „Chan" und die „Zola"-Pizzeria fädeln sich zur kulinarischen Perlenkette auf. Der zentrale Ausguck-Platz an deren Anfang gab Ji Zheng die Gelegenheit, Bekannte zu begrüßen sowie neue Kunden anzusprechen und auf das Restaurant aufmerksam zu machen.
„Jeder einzelne, der etwas mitnimmt oder kommt, freut uns", sagt Ji Zheng. „Und unsere Gäste sind sehr zufrieden mit unserem Essen." Seit dem 15. Mai ist das Restaurant wieder geöffnet und betretbar. Nach den neuen Spielregeln – mit 1,5 Metern Abstand zwischen den Tischen, zahlreichen Hygiene-Vorkehrungen und der Angabe von Kontaktdaten. Rong Dong Chen kocht nun die Gerichte von der großen und nicht mehr nur von der verkleinerten Take-away-Karte. Komplexeres wie Gänsebrust unter einer Lauch-Ingwer-Koriander-Decke war zuvor ausgesetzt worden. Mit „Chunky Chestnuts", krossen Schweinebauchscheiben mit Wasserkastanien, Paprika und Zucchini oder einem „Surf & Turf"-Teller mit Garnelen, Rinderhüfte, Pak Choi und Udon-Nudeln musste es unaufwendiger und transportabel funktionieren.
Das klappte. Der Geschmack war so vollmundig und abwechslungsreich wie immer. Die Nachbarn nahmen und nehmen ihre Schachteln und Flaschen mit Kaltgetränken gern weiterhin mit ans Ufer. „Fallen Duck"-Röllchen mit knusprig angerösteter Peking-Ente im Pfannkuchenteig und Hoi-Sin-Sauce oder White-Tiger-Garnelen mit Wasabi-Zitronen-Mayonnaise sind aber auch perfektes Fingerfood zum Wegpicken unter Kastanien und Linden.
Das „Feed Back" hat viele Stammgäste, die die aromatische, moderne und leichte kantonesische Küche von Rong Dong Chen sogar noch aus seiner Zeit im „Restaurant Peking" am Kurfürstendamm oder aus dem „China Club" im Hotel Adlon kennen und schätzen. Auf diese treuen Gäste, die normalerweise selbst aus Wilmersdorf oder Potsdam anreisen, setzt das Inhaber-Paar ebenfalls wieder. Das Außer-Haus-Angebot bleibt parallel zum Gastbetrieb bestehen. Es ist eine gute Alternative für diejenigen, die lieber noch das Restaurant-Essen am heimischen Tisch oder auf dem Balkon einnehmen.
Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent aufgestockt
Das „Feed Back" macht es den Gästen in der wärmeren Jahreszeit allerdings leicht, angenehm Abstand mit viel Frischluft zu wahren. Die Terrasse ist, wie bei vielen Nachbarn, ein Pluspunkt des Lokals, selbst wenn die Anzahl der Außenplätze auf 18 und damit um die Hälfte reduziert werden musste. In wirtschaftlicher Hinsicht ist die Doppelstrategie allemal sinnvoll, denn die Kosten bleiben im laufenden Betrieb bei geringerer Platzzahl beinah gleich. Miete, Strom, Waren und Personal müssen in nahezu voller Höhe gezahlt oder eingesetzt werden. „Wir müssen und wollen alles möglich machen, was geht." Die Freude über jeden einzelnen zurückgekehrten oder neu gewonnen Gast ist groß. „Aber es bleibt weiter haarig." Darüber ist sich Ji Zhen im Klaren.
Einige Kilometer weiter nördlich in Prenzlauer Berg hatte Fabian Fischer sechs Wochen lang die großen Fensterflügel seines Lokals in der Senefelder Straße für den Außer-Haus-Verkauf geöffnet. Sein Restaurant „Bricole", in dem jetzt wieder feine saisonale Hors d‘œuvres serviert sowie deutsche und italienische Weine ausgeschenkt werden, hatte sich in Windeseile in die „Feinkostwirtschaft Bricole" mit eingeweckten Soulfood-Gerichten verwandelt. „Als wir uns alle erst einmal an die Situation angepasst hatten, war uns schnell klar: Wir möchten etwas Neues machen. Wir möchten weitermachen", sagt Fischer. Und, nicht zuletzt: die Gäste wiedersehen, in Kontakt bleiben, nicht einfach abtauchen.
Das fünfköpfige Team mit Küchenchef Steven Zeidler brachte sich sofort mit Ideen und Engagement ein. Fabian Fischer schuf den Rahmen. „Mein Ziel und meine Verantwortung als Unternehmer ist es, alle meine Angestellten durch die Krise zu bringen." Das gelang. Das Kurzarbeiter-Geld für die Mitarbeiter konnte auf 100 Prozent aufgestockt werden. Das Team, „immer noch dasselbe wie bei der Eröffnung vor drei Jahren", konnte er komplett halten. „Diese Zeit war sehr interessant, weil sie uns die Chance gegeben hat, einen ganz neuen Bereich risikofrei, also in neuen Abläufen, zu testen." Etwas auszuprobieren, für das im normalen Abendbetrieb an fünf Tagen in der Woche sonst nicht mehr recht Zeit und Kopf blieb. Der Test verlief erfolgreich. Die Gäste kamen, kauften und wärmten zu Hause auf, was die Gläser und Gerichte hergaben.
Feinkost-Konzept ab Herbst in eigenem Geschäft
„Wir haben uns bewusst gegen ein Menü, sondern für eine Art von Essen entschieden, die nicht überfordert und einem ein Gefühl von Sicherheit gibt." Und ein Flair „wie bei Oma" mit Königsberger Klopsen, Lammragout oder Bouillabaisse vermittelt. Ein bisschen Do-it-Yourself sollte erhalten bleiben: Aufwärmen und anrichten musste jeder zu Hause selbst. Kühle Kleinigkeiten zum Liebhaben landeten ebenfalls in wiederverwendbaren Schraubgläsern: ein Entenleber-Parfait mit Chutney-Haube, Bärlauch-Mandel-Pesto oder eine Mousse aus Valrhona-Schokolade etwa. Manches wurde dem Team geradezu aus den Händen gerissen. „Wir haben in einer Woche 70 Töpfchen Karamellbutter verkauft", sagt Fischer. „Durch die gute und faire Zusammenarbeit mit unseren Händlern wie dem Weinladen Schmidt oder Weinmichel konnten wir außerdem Weine für 16 bis 18 Euro pro Flasche anbieten." Im Restaurant-Ausschank kosten sie normalerweise um die 40 Euro.
Die „Feinkostwirtschaft" ging mit dem „Wiederauferstehen" des Restaurants erst einmal in eine Ruhepause. Das ist den Platzverhältnissen geschuldet: „In unserer Küche von der Größe einer Briefmarke" klappe das Kochen fürs kleinteilige Abendgeschäft und für die komprimierteren Wohlfühlgerichte parallel einfach nicht, sagt Fischer. Das Pop-up kommt aber in jedem Fall wieder. Die „Feinkostwirtschaft" soll spätestens im Herbst in einer Extra-Lokalität, vielleicht ergänzt um ein Lunch-Angebot, Weine und Leckereien wie Sardinen, erneut starten. „Konzept und Businessplan liegen auf meinem Schreibtisch ganz oben." Denn auch das „Bricole" kann das erprobte neue Zweitgeschäft gut gebrauchen – die Plätze haben sich im Gastraum auf 15 reduziert. Allerdings: „Der Sommer spielt uns glücklicherweise in die Hände." Dann ist wieder Platz für einige Tische auf dem Trottoir und fürs heimelige abendliche Draußen-Flair im Wohnkiez.