Die Sportvereine waren wegen Corona zwar geschlossen, doch das Interesse an Bewegung war gerade während des Lockdowns besonders groß. Thomas Härtel, der Präsident des Berliner Landessportbunds (LSB), glaubt, dass der organisierte Sport davon profitieren kann.
Herr Härtel, Sie haben im März zu Beginn der Corona-Krise an die Solidarität im Berliner Sport appelliert. Hat sich dieser Wünsch erfüllt?
Die Solidarität der Mitglieder mit den rund 2.500 Berliner Sportvereinen ist insgesamt sehr groß. Natürlich: Je länger eine solche Krise andauert und die entsprechenden Sportangebote nicht stattfinden, desto mehr Menschen werden sich vielleicht überlegen, zu kündigen. Aber bislang halten sich die Austritte in Grenzen. Das ist die beste Hilfe für die Vereine. Stärker betroffen sind allerdings jene Vereine, die über die klassische Mitgliedschaft hinaus auch Kurse anbieten, weil die Einnahmen aus diesen Kursangeboten weggebrochen sind.
Dabei galten gerade diese Vereine vor Corona als besonders innovativ.
Sie haben sich in den vergangenen Jahren mit ihren Kursen für die Menschen der Nachbarschaft geöffnet und hatten dadurch auch entsprechende Mitgliederzuwächse. Aber natürlich haben sie für diese Angebote auch investieren müssen – in Räume und Geräte und in qualifizierte Übungsleiter. Viele dieser Vereine haben sogar ein eigenes Sportcenter und dadurch höhere laufende Kosten. Deshalb sind sie jetzt von Corona besonders betroffen.
Ähnlich ist es im Rehabilitationssport, dort vergüten die Krankenkassen Reha-Leistungen mit einem Pauschalbetrag. Doch wo keine Leistung stattfindet, erfolgt eben auch keine Bezahlung. Trifft die Corona-Krise den Rehabilitations- und Gesundheitssport deshalb besonders hart?
Ja. Die Vereine im Rehabilitations- und Gesundheitssport haben aktuell große Einnahmeverluste und brauchen deshalb eine besondere Unterstützung. Gerade diese Angebote leben von der Nähe und der Gemeinschaft. Es geht ja nicht nur um die Bewegung an sich, sondern auch um die Beratung und um das gemeinsame Erleben. Für Menschen mit Handicap ist die persönliche Begleitung sehr wichtig, die im Moment stark eingeschränkt ist.
Wie hat der Landessportbund die Vereine in der Stadt in dieser schwierigen Phase unterstützt?
Zum einen durch Information. Wir haben die Vereine darin beraten, wie sie am besten mit der Krise umgehen, was es zu beachten gilt und wo sie möglicherweise öffentliche Hilfen in Anspruch nehmen können. Wir waren und sind in engem Austausch mit den Vereinen und konnten dadurch gut einschätzen, wo die größten Probleme liegen. Zum anderen sind wir selbst mit zwei Drittel unserer hauptamtlichen Mitarbeiter beim LSB in Kurzarbeit gegangen. Die Mittel, die dadurch eingespart wurden, haben es uns ermöglicht, notleidenden Vereinen unter die Arme zu greifen. Auch das gehört mit zur Solidarität im Berliner Sport.
Für Unternehmen gab es relativ schnell Hilfsangebote durch das Land und den Bund. Hätten Sie sich Ähnliches auch für den Sport gewünscht?
In Berlin hatten über das Corona-Soforthilfeprogramm II auch Vereine die Möglichkeit, Gelder zu bekommen. Das war kurzfristig für einige Vereine eine Hilfe, um ihre Existenz zu sichern. Aber nicht in der Breite, weil viele Vereine diese Soforthilfe gar nicht in Anspruch nehmen konnten. Deshalb haben wir gemeinsam mit der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport einen Rettungsschirm für den Berliner Vereinssport in Höhe von rund sechs Millionen Euro aufgespannt. Wenn ein Mehrspartenverein sein Angebot reduzieren muss und künftig weniger Sportarten anbietet, ist er zwar nicht in seiner Existenz bedroht, aber es würde doch einen deutlichen Einschnitt bedeuten. Mit dem Rettungsschirm wollen wir die Struktur des gemeinnützigen Sports aufrechterhalten, damit er gerade in dieser Krise seine besondere gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen kann.
Viel war zuletzt von Systemrelevanz die Rede – was gleichzeitig implizierte, dass alles andere, darunter der Sport, weniger wichtig ist. Was bedeutet das für die Stellung des Sports in der Gesellschaft?
Zu Beginn der Krise stand der Sport erst einmal nicht so im Mittelpunkt, der Profisport einmal ausgenommen. Die Menschen mussten sich erst einmal mit der neuen, noch nie dagewesenen Situation am Arbeitsplatz, der Familie oder im privaten Alltag auseinandersetzen. Doch mittlerweile stellen viele Menschen fest, dass ihnen etwas fehlt. Sportvereine sind für viele auch eine soziale Heimat. Ein Ort, an dem sich nicht nur Talent entfalten kann, sondern auch Persönlichkeit. Vereine haben auch eine soziale Aufgabe – sie fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und gerade Kinder und Jugendliche brauchen verlässliche Angebote, die in der Krise weggefallen sind.
Kinder konnten nicht einfach allein joggen gehen. Waren sie von der Schließung des Sports besonders betroffen?
Kinder und Jugendliche brauchen die Anleitung und Begleitung durch die Trainer und Übungsleiter, um nachhaltig an bestimmte Bewegungen herangeführt zu werden. Gerade darin liegt die Stärke der Vereine.
Fast genauso wichtig ist der soziale Aspekt. Die Vereine bieten Kindern eine soziale Heimat. Die Kinder- und Jugendarbeit ist deshalb ein Schwerpunkt unserer Arbeit, wenn der Sportbetrieb schrittweise wieder hochgefahren wird. Natürlich unter Wahrung der Hygiene- und Abstandsregeln.
Der Vereinssport lebt von Interaktion und sozialer Nähe – vor der wegen Corona aktuell gewarnt wird. Welche langfristigen Auswirkungen hat das Virus auf den Vereinssport?
Der Sport lebt von Geselligkeit und Miteinander. Eine Umarmung oder ein Abklatschen und das gemeinsame Beisammensein nach dem sportlichen Wettkampf – das gehört für viele einfach dazu. Gerade in diesem Bereich werden wir auf absehbare Zeit noch Einschränkungen hinnehmen müssen. Da muss man einfach kreativ und offen sein für neue Formen des Miteinanders. Man kann auch in einer Distanz von 1,50 Meter füreinander da sein und gemeinsam Sport treiben.
Die Vereine waren zu, aber viele Menschen hatten während des Corona-Lockdowns das Bedürfnis, sich zu bewegen und beispielsweise allein zu joggen oder Rad zu fahren. Kann der organisierte Sport davon im Nachgang der Krise profitieren?
Das ist ein Punkt, an dem wir anknüpfen können. Die Leute haben bereits positive Erfahrungen mit Bewegung gemacht – jetzt geht es darum, sie zu überzeugen, dass Sport in der Gruppe am schönsten ist. Der Deutsche Olympische Sportbund hat dafür eine Kampagne gestartet, die zeigen soll, was Vereine zu bieten haben.
Inwieweit bedeutet Corona auch sonst eine Chance für den Sport, bestimmte Entwicklungen wie die Digitalisierung endlich anzuschieben, die man bislang nicht in der Konsequenz verfolgt hat?
Wir waren positiv überrascht, wie innovativ unsere Vereine und Übungsleiter die Corona-Krise gemeistert haben. Das virtuelle Sportangebot „Move at Home“ gemeinsam mit dem Rundfunk Berlin-Brandenburg wurde sehr gut angenommen, auch die tägliche Sportstunde von Alba Berlin ist nach wie vor ein Renner. All das hat gezeigt, dass wir den Sport auch in die Wohnzimmer bringen können. Ich würde es begrüßen, wenn solche Angebote auch künftig beibehalten werden.