Das Ziel von Physiotherapie, Trainingstherapie und Rehasport ist es, Patienten mit körperlichen Gebrechen eine möglichst dauerhafte Verbesserung der Lebensqualität zu ermöglichen. Doch was, wenn die Corona-Pandemie sie jäh unterbricht?
Diese Frage haben sich viele gestellt: Geht Rehasport in der Corona-Krise? „Anfangs war es bei uns in der Praxis so, dass fast alle Patienten zurückgezuckt sind und erst einmal nicht mehr zu uns gekommen sind“, erinnert sich Christiane Nimmrichter und meint auch die, die eine Therapie und auch das Sporttreiben unter fachlicher Anleitung dringend nötig haben. Beispielsweise, um Ausdauer und Kraft aufzubauen und zu stärken und ihre Koordination und Flexibilität zu verbessern. Darüber hinaus sollten Maßnahmen wie Rehasport zu einer gesunden Lebensweise mit regelmäßiger sportlicher Betätigung motivieren. Nimmrichter ist Krankengymnastin, Heilpraktikerin für Physiotherapie und Sportwissenschaftlerin und betreibt zusammen mit ihrem Ehemann Klaus seit 1998 das „Forum Gesundheit“, ein Institut für Gesundheitssport mit Physio- und Sporttherapie in Völklingen.
Krankheitsbilder haben sich verschlechtert
Die Nimmrichters stellten fest, dass insbesondere die vielen älteren Patienten aufgrund der Pandemie-Lage verunsichert waren und der Praxis deshalb lieber fernblieben. Das Problem: Durch den Wegfall des regelmäßigen Trainings und therapeutischer Behandlungen haben sich manche Krankheitsbilder verschlechtert. Zusätzlich zur fehlenden Therapie in der Praxis verstärkte die Auswirkung der Ausgangsbeschränkung diesen Effekt. Deutlich weniger Bewegung kam als Störfaktor hinzu. Manche Patienten litten angesichts des schleichenden Muskelabbaus unter starken Schmerzen, mussten wegen Folgebeschwerden wie Blockaden sogar zum Arzt. „Hier sind Krankheitsbilder und Beschwerden wieder aufgetreten, die wir durch gezielte, kontinuierliche Behandlung lange Zeit im Griff hatten“, erklärt Christiane Nimmrichter und ergänzt: „Wir haben in der Folge viel mit unseren Patienten telefoniert, um uns über ihre Beschwerden zu informieren und ihnen Tipps zu geben oder Übungspläne zu erstellen.“
Anfang April hat sich die Familie sogar dazu entschieden, Menschen, die unter akut starken Schmerzen leiden und momentan durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie finanziell stark eingeschränkt sind, einmal pro Woche kostenlose Physiotherapie anzubieten. „Wir wollten den besonders betroffenen Menschen einfach etwas Gutes tun. Als Nebeneffekt trat unter anderem auf, dass wir akute Schmerzen noch schneller behandeln konnten, da der vorgelagerte Gang zum Arzt wegfiel“, erklärt Sohn Felix Nimmrichter und ergänzt: „Außerdem mussten sich diese Menschen nicht der erhöhten Anzahl von Krankheitserregern aussetzen, die in Arztpraxen einfach vorkommt“. Der angehende Master-Absolvent der Sportwissenschaften soll den Betrieb seiner Eltern einmal übernehmen.
Ein Fernbleiben der Patienten wäre zu keiner Zeit nötig gewesen. Zum einen waren die Physiotherapie-Praxen nie geschlossen. Im Gegenteil: Die Inhaber waren sogar angehalten, sie geöffnet zu lassen. „Wir waren jederzeit bereit, Patienten zu behandeln. Wir gehören alle nicht zur Risikogruppe und waren stets ausreichend mit Schutzkleidung und Desinfektionsmittel ausgestattet“, sagt Christiane Nimmrichter. Es mussten weder bauliche Maßnahmen vorgenommen werden noch Zugangsbeschränkungen erhoben werden. Schon vor Corona hatte die Privatpraxis nur mit voriger Terminvergabe gearbeitet, und räumlicher Abstand war und ist somit garantiert. Allein die Kundschaft blieb über mehrere Wochen fern. Erst allmählich melden sich die Patienten wieder und erkundigen sich nach Terminen.
Gerade bei der Physiotherapie gehört großes Vertrauen in die Behandelnden dazu – oftmals tauschen die Patienten mit ihren Therapeuten weit mehr als nur medizinisch relevante Informationen und Daten. In den meisten Fällen entsteht über Jahre hinweg eine persönliche Beziehung. „Unsere Patienten schätzen ja gerade, dass unsere Praxis sehr klein und familiär geführt ist. Man kennt sich sowohl im Rehasport als auch in der Physio- oder Trainingstherapie so gut, dass wir über unterschiedliche Themen reden können“, sagt Felix Nimmrichter und meint vor allem die Menschen, deren soziale Kontakte sich auf solche Termine beschränken: „Wir konnten schon sehen, dass vor allem diejenigen wieder zuerst zu uns kamen, die verwitwet oder alleinstehend sind.“
Emotionen verstärken Schmerzen
Auch hier trifft es vor allem die Älteren. „Diejenigen, die viel zu Hause bleiben mussten, haben sehr leidend von dieser Zeit berichtet, weil sie ihre Kinder und Enkelkinder nicht besuchen durften“, erzählt Christiane Nimmrichter und berichtet gar von Einzelfällen, in denen Isolation und damit einhergehende Unterforderung sogar zu Einschränkungen der Lebensfunktionen führten. Bei Patienten, die zu ihr in die Einzelbehandlung kommen, hat Christiane Nimmrichter vermehrt das Bedürfnis nach ganzheitlicher Therapie festgestellt. „Die Kombination von physiotherapeutischer und psychischer Behandlung ist derzeit mehr gefragt als eine rein funktionelle“, sagt sie und erklärt: „Alle Emotionen, die mit Ängsten und Unsicherheiten verbunden sind, schlagen sich auf die Muskulatur nieder und können verschiedene Beschwerden wie Verspannungen, Kopfweh oder Rückenschmerzen auslösen“.
Nicht nur viele ihrer Patienten, auch die Nimmrichters selbst wurden von der Pandemie kalt erwischt. „Was einen sehr nachdenklich macht ist, dass die Situation, die auf uns zukam, nicht vorhersehbar war. Wenn die Umsätze nach einem eigenen Fehler in den Keller fallen, ist das etwas anderes. Aber wenn man nichts dafür kann, ist das schon schwierig“, sagt Klaus Nimmrichter. Der Diplom-Sportlehrer für Prävention ergänzt nach kurzer Pause: „Die Befürchtung, dass so etwas jederzeit noch einmal passieren kann – beispielsweise schon bei einer zweiten Infektionswelle im Herbst – und die Frage, ob und wie es danach weitergehen kann, erschüttert einen schon.“
Das geht auch Sohn Felix so, der das 1998 von seinen Eltern eröffnete Studio in sieben bis zehn Jahren übernehmen soll: „Ich will es übernehmen und es auch erweitern“, stellt er klar und hofft, „dass das, was wir uns bisher aufgebaut haben, nicht von Corona aufgefressen wird“. Insgeheim glaubt er jedoch fest daran, dass es das Forum Gesundheit noch lange geben wird und merkt kämpferisch an: „Wir müssen nur sehen, wie viel Mehrarbeit dafür geleistet werden muss.“