Viele der Corona-Maßnahmen sind inzwischen gelockert worden, doch Kulturveranstaltungen mit Publikum weiterhin nicht möglich. Musiker wie Barockharfenistin Luise Enzian versuchen zuversichtlich zu bleiben, auch wenn sie momentan kaum öffentlich auftreten können.
Frau Enzian, gerade haben Sie Ihr Studium im Fach historische Harfe abgeschlossen. Wie hatten Sie sich Ihren Start ins Berufsleben vorgestellt?
Der Übergang ins künstlerische Arbeitsleben sollte eigentlich sehr sanft verlaufen, da ich bereits neben dem Studium auf professionellem Niveau als Harfenistin gespielt hatte. Das gleiche Leben, nur ohne den Status der Studentin und ohne Unterricht. Für die Barockharfe oder andere historische Harfen gibt es im klassischen Musikbetrieb keine festen Stellen. Mir war klar, dass ich also frei arbeiten müsste, das hat mich nicht geängstigt. Vor der Corona-Krise sah es ganz gut aus – ich hatte Verträge für Konzerte wie zum Beispiel bei den Musikfestspielen Potsdam-Sanssouci 2020. Vielleicht nicht vergleichbar mit einer Festanstellung, dennoch hatte ich nicht das Gefühl, der Zufälligkeit unterworfen zu sein.
Wie hat sich Ihre berufliche Situation durch die Corona-Krise geändert?
Mein Auftritts-Netzwerk zerbrach. In nur vier Stunden bekam ich so viele Konzertabsagen, dass mir ganz schwindelig wurde. Da ich nur von Konzerteinnahmen lebe, ist mein Einkommen für den April auf null gesunken. Mir wurde schlagartig klar, dass ich existenzielle Probleme bekomme, wenn das kulturelle Leben durch die Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Ausbreitung länger als zwei Monate stillsteht. Inzwischen erreichen mich Konzertabsagen schon weit über den Sommer 2020 hinaus.
Mitte März hatte ich eigentlich mit meinem Barockensemble Volcania eine CD-Aufnahme geplant – mit Werken von Antonio Vivaldi und zeitgenössischen Komponisten wie Moritz Eggert. Unser kleines Ensemble mit sieben Mitgliedern versuchte noch spontan auf die aktuellen Beschränkungen zu reagieren und die Aufnahmen von Venedig nach Thüringen zu verlegen. Aber die Ereignisse überschlugen sich: Unser Lautenist Pedro Alcacer Doria, der in Bologna lebt, durfte nicht mehr reisen, dem Ersatz aus Ungarn hätte eine Quarantäne gedroht. Letztlich mussten wir uns die Frage stellen, ob eine CD-Produktion in dieser Zeit noch angebracht ist und schließlich haben wir das Projekt dann abgesagt.
Konzertabsagen und gecancelte Projekte bedrohen akut Ihre sowie die Existenz Tausender Künstler und Künstlerinnen. Gibt es Lösungen?
Statt Harfe zu spielen, sah ich mich plötzlich vor die Frage gestellt, wie es weitergeht. Es gibt meist keine Ausfallhonorare. Wie soll ich meine Miete bezahlen? In meinem Freundeskreis von Musikern geht es vielen wie mir. Die einzige Antwort war, mich beim Arbeitsamt arbeitslos zu melden und Stapel von Formularen auszufüllen. Solo-Selbstständige konnten eine Soforthilfe beantragen, die auch relativ unproblematisch ausgezahlt wurde. Inzwischen gibt es eine große Unsicherheit, ob Freischaffende in meiner Position den Zuschuss behalten dürfen, weil wir ja keine Betriebskosten wie beispielsweise kleine Geschäfte vorzuweisen haben. Zudem scheint die Antwort darauf bisher in jedem Bundesland eine andere zu sein.
Für Sie gab es aber nicht nur Arbeitsamt, Soforthilfe und Stillstand.
Zunächst machte sich eine Art Aktionismus breit – gegen den äußeren Stillstand. Auf einmal spielte in meinem Facebook-Feed jeder in Live-Streams weiter. Das wirkte in den ersten Tagen erfrischend, nutzte sich aber schnell ab. Was man immer getan hat, weiterzumachen – ohne Bezahlung, ohne Professionalität der Videos und meist unter dem Klangniveau von Konzerten –, das sehe ich nicht als kreativen Ansatz, mit dieser dramatischen Lage umzugehen.
Ich verstehe den Impuls dahinter, aber ich hoffe, dass sich in den nächsten Wochen wirklich neue Ideen den Weg bahnen werden. Die zeigen, wie relevant Kunst ist und die Musikern und anderen Künstlern auch die Möglichkeit geben, davon zu leben.
Sie haben das Projekt Enzian – Silent Portraits mit der Malerin Esther Enzian entwickelt, mit der Sie im Übrigen nicht verwandt sind.
Mit unserem Projekt Enzian – Silent Portraits verbinden wir zwei künstlerische Sparten: die Musik und die Malerei. Per Skype treffen sich Modell und Malerin im virtuellen Raum. Esther malt ihre Bilder in Öl auf Leinwand. Die Bildkomposition, Posen und Maltechniken zitieren dabei die in der italienischen Renaissance entstandene Porträtmalerei. Esther Enzian schenkt ihre Gemälde den porträtierten Musikern und diese versteigern ihre Porträts. Mit den Erlösen werden Arbeitsstipendien für sie und ihre Ensembles finanziert.
Nun ist die Harfe nicht unbedingt das Instrument, das man als Kind spielen lernt. Sie aber hat dieses Instrument ja schon als Kind fasziniert.
Ich komme aus keiner Musikerfamilie, aber aus einer Familie, in der viel gemeinsam gesungen wurde. Mit acht Jahren durfte ich mir ein Instrument zum Erlernen aussuchen. Genau weiß ich nicht mehr, warum ich mich für die Harfe entschieden habe, aber ich habe das Instrument gesehen und es war mir sofort klar: dieses und kein anderes.
Eine Berufskarriere als Musikerin war nicht geplant, trotz zwei Erster Preise beim nationalen Wettbewerb „Jugend musiziert“. Ihre Abiturnoten hätten auch ein Medizinstudium ermöglicht.
Ich habe früher im Schulorchester gespielt, in Folk-Bands und in meinem kleinen Kabarett-Duo. Harfenunterricht hatte ich zwar nicht durchgehend, aber zu Abiturzeiten konnte ich mir mit Konzerten schon etwas dazuverdienen. Lange war es eher ein spielerischer Ansatz, bis ich mich tatsächlich für ein Studium der Harfe entschieden habe.
Üben ist für mich keine Last. Und ich bin ein wahnsinniger Dickkopf mit einer gesunden Portion Ehrgeiz. Das hat wohl zusammen mit der Förderung durch meine Professoren geholfen, kurzfristig fehlende Technik aufzuholen
Es blieb nicht beim Studium der klassischen Konzertharfe. Sie spezialisierten sich im Bereich historische Harfe.
Auf die Barockharfe bin ich zufällig gekommen. In meiner Studienzeit in Trossingen hatte mir der Professor für Laute, Rolf Lislevand, von der Barockharfe erzählt und einen Studiengang dazu angeboten. Ich hörte mir Aufnahmen an und war begeistert, gewissermaßen wie ein Fisch an der Angel „geködert“.
Was ist das Besondere einer Barockharfe?
Die Barockharfe ist nicht nur Solo-Instrument, sondern vor allem auch ein Generalbass-Instrument. Das heißt stark vereinfacht, dass über einen gegebenen fortlaufenden Bass Harmonien und zum Teil auch Melodien realisiert und improvisiert werden. Diese Idee, mich selbst kreativ mit eigenen musikalischen Ideen beim Spielen einbringen zu können, kannte ich nicht aus dem Orchesterrepertoire der Konzertharfe. Daher stand es für mich fest, mein Diplom der Konzertharfe mit einem zusätzlichen Studium der historischen Harfe zu ergänzen. Ich studierte dieses Spezialfach dann weitere fünf Jahre an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin bei der Spezialistin für historische Harfe Margret Köll und an der Scuola Civica Claudio Abbado in Mailand bei Professorin Mara Galassi.
Dabei ging es auch um Pionierarbeit, denn die Wiederentdeckung der Barockharfe, ihres Repertoires und auch des Instrumentenbaus ist eine relative junge Bewegung im Vergleich beispielsweise zum Cembalo.
Sie sind Vereinsvorsitzende der Christof-Stählin-Gesellschaft, beschäftigen sich mit Harfenwerken des Frühbarocks, lieben aber auch „Fat Times“ von Miles Davis. Was gibt Ihnen Zuversicht in dieser für Musiker besonders schwierigen Situation?
Vor allem die Vernetzung mit Gleichgesinnten, mit Harfenistinnen aus Deutschland und anderen Ländern. Auch jetzt in Corona-Zeiten treffen wir uns jeden Sonntag im Internet, diskutieren unter anderem über Harfenrepertoire. Auch in Vorbereitung auf die Zeit nach der Epidemie. Dass dies in dieser Zeit der Beschränkungen möglich ist, gibt mir Kraft und Mut für die Zukunft.