Mit einem Doppelschlag am 5. und 12. Juli in Spielberg/Österreich plant die Formel 1 ihren Start in die Saison 2020. Knalleffekt in der Corona-Zwangspause war jüngst die Scheidung von Vettel und Ferrari zum Jahresende. Durch den gescheiterten Vertragspoker ist das Fahrerkarussell rasant in Schwung gekommen.
Da sag’ noch einer, in der rennfreien Zeit der Formel 1 sei nix los. Seit dem eigentlichen Auftakt am 15. März in Australien bis zum geplanten Start am 5. Juli in Österreich dreht sich dann kein Rad, das heißt: Stillstand seit 111 Tagen. Geschuldet ist diese Zwangspause der Corona-Pandemie. Was aber nicht heißt, dass hinter den F1-Kulissen nicht geheuert und gefeuert wurde. Der gescheiterte Vertragspoker zwischen Ferrari und seinem Chefpiloten Sebastian Vettel machen diese Handlungsweise mehr als deutlich.
Nein, es war keine Bombe, die eingeschlagen hat, es war nur ein Knalleffekt oder ein Paukenschlag, der die Zusammenarbeit von Ferrari und Vettel übers Saisonende hinaus beenden wird. Es war quasi ein Schwelbrand zwischen den beiden Parteien, der am Dienstag, 12. Mai, endgültig gelöscht wurde. Der italienische Renommier-Rennstall gab an diesem Tag offiziell die Trennung vom viermaligen Weltmeister bekannt. Nach sechs Jahren geht dann die vermeintliche Vorzeigeehe in die Brüche. Vettel und Ferrari haben sich – bisher noch ohne roten WM-Titel – auseinandergelebt. Sie konnten sich nicht auf einen neuen Vertrag einigen. Vettel strebte einen Kontrakt über eine Laufzeit von zwei Jahren an. Ferrari wollte seine Dienste aber nur für ein weiteres Jahr. In einer Videokonferenz mit Journalisten hatte Vettel betont, dass seine bisherigen Verträge eine Laufzeit von drei Jahren hatten. Zwar sei er mit 32 Jahren nicht mehr der Jüngste, gehöre aber eben auch noch nicht zum alten Eisen. Eine deutliche Gehaltsreduzierung hätte er ebenfalls hinnehmen müssen. Sein geschätztes 30 Millionen Euro Jahressalär sollte der Vergütung seines jungen Teamkollegen Charles Leclerc von etwa zehn Millionen Euro angeglichen werden. „Das Finanzielle hat keine Rolle gespielt“, ließ Vettel verlauten. Die wahren Gründe der Trennung kennen wahrscheinlich nur die Betroffenen.
„Es fehlte die gemeinsame Basis“
In einer offiziellen Ferrari-Pressemitteilung heißt es von Vettel: „Das Team und ich haben erkannt, dass es nicht mehr den gemeinsamen Willen gibt, über 2020 hinaus weiterzumachen. Um in diesem Sport das bestmögliche Ergebnis einzufahren ist es für alle Parteien wichtig, in perfekter Harmonie zu funktionieren.“ Vettels Boss, Ferrari-Teamchef Mattia Binotto, kommentiert die Trennung so: „Das Team und Sebastian haben die Entscheidung im Einvernehmen getroffen. Es fehlte die gemeinsame Basis. Es ist die Entscheidung, die beide Seiten für die richtige halten. Mit dem Wissen, was Sebastian als Fahrer und Persönlichkeit wert ist, war es keine einfache Entscheidung. Wir haben mit Sebastian einen Zyklus abgeschlossen.“ Dann bemerkenswerte Aussagen von Binotto: „Ich bewundere Sebastian als Mensch und Fahrer. Ich schätze ihn sehr. Es gab keinen speziellen Grund, der zu dieser Entscheidung geführt hat, abgesehen vom gemeinsamen und freundschaftlichen Glauben, dass es nun an der Zeit war, getrennte Wege zu gehen, um unsere Ziele zu erreichen.“ Und der Capo legte nach: „Mit Blick auf die bevorstehenden Herausforderungen und Hindernisse, die sich in der vergangenen Zeit verschärft hätten, sei man in Vertragsgesprächen auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen.“ Fakt ist: Vettels Vertrauen zu seinem Arbeitgeber war seit geraumer Zeit angeknackst. „Liebe und Rückhalt, beides fehlte zuletzt. Die Trennung war daher nur ein konsequenter Schritt“, analysierte RTL-Experte Christian Danner.
Bis jetzt stehen fünf durchwachsene Jahre für Vettel bei dem Traditionsteam. Mögliche Titel in Rot vergeigte er als WM-Zweiter 2017 und 2018 durch entscheidende Fahrfehler, Defekte und falsche Strategie-Entscheidungen. Sein fast elf Jahre jüngerer Teamkollege Charles Leclerc – seit 2019 Nachfolger von Vettels Wohlfühlkamerad Kimi Räikkönen – hat dem 53-maligen GP-Sieger öfters respektlos und ohne Skrupel gezeigt, wo der Hammer hängt. Und die Ferrari-Teamführung ließ den 22-Jährigen (ohne Stallorder) gewähren. Im Klartext: Der aufstrebende Monegasse war 2019 WM-Dritter, Vettel abgeschlagen WM-Fünfter. Mit warmen Worten reagierte das rote Juwel Leclerc bei Twitter auf die Scheidung: „Es war für mich eine große Ehre, dein Teamkollege zu sein. Ich habe noch nie so viel dazugelernt wie mit dir. Danke für alles, Seb.“
Vettel gehen die Optionen aus
2015 ist Seb aus dem Red-Bull-Rennstall mit vier WM-Titeln im Gepäck als Heilsbringer zu dem „roten Mehr“ ins Hauptquartier nach Maranello gekommen. Es war Liebe auf den ersten Blick zwischen dem Teutonen und den Ferrari-Tifosi. Doch aus einem (Titel-)Traum entwickelte sich ein Albtraum. In seinen bisher fünf Ferrari-Saisons hat er in 101 F1-Rennen den Roten 14 Siege, 21 zweite und 19 dritte Plätze beschert, stand also 54 Mal im roten Overall auf dem Podium und fuhr zwölf Mal auf die Pole Position (erster Startplatz). Was ihm in dieser Zeit aber verwehrt geblieben ist: Das Team um sich herum nach seinen Vorstellungen so um- und aufzubauen, wie es einst seinem Kindheitsidol Michael Schumacher kompromisslos gelungen ist. Vettel hat sich immer darauf verlassen, dass Ferrari ihm ein Team und ein Auto hinstellt, mit dem er Champion werden kann. Aber was nun, Herr Vettel, wo führt die Reise hin?
Dem 240-fachen Grand-Prix-Starter scheinen die Optionen auszugehen. Bei seinem Ex-Weltmeister-Team Red Bull ist die Tür zu. Die „Bullen“ setzten für die nächsten Jahre ganz auf ihren Jungstar Max Verstappen. Nur ein Wechsel zum Top-Team Mercedes könnte seine F1-Karriere verlängern. Lewis Hamilton und Teamkollege Valtteri Bottas werden aber wahrscheinlich auch 2021 das Fahrer-Duo sein. Bleibt Mercedes überhaupt in der Formel 1? In einem mittelmäßigen Team hinterherzufahren, dazu hat Vettel keine Lust. Durchaus möglich, dass er der Königsklasse auch den Rücken kehrt und sich zu Frau Hanna und den drei Kindern auf seinen Bauernhof in der Schweiz zurückzieht und das Leben genießt. „Ich selbst werde mir die Zeit nehmen, die ich brauche, um darüber nachzudenken, was für meine Zukunft wirklich wichtig ist“, erklärte Vettel. In den aktuell schwierigen Zeiten habe er gelernt, Prioritäten zu setzen.
Die Trennung von Vettel und Ferrari hat einen Domino-Effekt auf dem bis dahin schlafenden Fahrermarkt ausgelöst. Mit der Kettenreaktion in der „silly season“ (Sommerloch, Saure-Gurken-Zeit) kam die Formel 1 voll in Fahrt. Nur zwei Tage nach dem Vettel-Aus haute Ferrari den nächsten „Hammer“ raus. Carlos Sainz beerbt den Vettel-Platz und wird neuer Teamkollege von Leclerc. Der Spanier verlässt nach zwei Jahren das McLaren-Team. Der 25-Jährige erhält einen Vertrag bis Ende 2022. „Carlos ist eine großartige Ergänzung. Er ist sehr klug und sehr talentiert, was er in fünf Saisons bewiesen hat“, heißt es von Mattia Binotto. Der Ferrari-Teamchef weiter: „Er hat die technischen Fähigkeiten und die richtige Einstellung, um sich ideal in unsere Familie einzufügen.“ Binotto, der italienische „Harry Potter“, spricht von einem neuen „Zyklus“. Ziel sei es, wieder an die Spitze der Formel 1 zu kommen: „ Es wird eine lange Reise werden, nicht ohne Herausforderungen. Wir glauben, dass eine Fahrerpaarung mit dem Talent und der Persönlichkeit von Charles und Carlos die bestmögliche Kombination ist, unsere Ziele zu erreichen.“
Renault-Cockpit noch frei
Die Lücke von Carlos Sainz bei McLaren wird 2021 Daniel Ricciardo schließen. Der Australier wurde nach nur zwei Jahren bei Renault nicht glücklich, der Werksrennstall enttäuschte 2019 mit WM-Rang fünf. Andreas Seidl, seit einem Jahr deutscher Teamchef bei McLaren über die Neuverpflichtung: „Daniel ist ein bewährter Rennsieger und seine Erfahrung, sein Engagement und seine Energie werden eine wertvolle Ergänzung für McLaren und unsere Mission sein, wieder an die Spitze des Feldes zurückzukehren.“ Ricciardos Cockpit bei den Franzosen war bis zum Druck dieser FORUM-Ausgabe noch nicht vergeben. Aber der Name Fernando Alonso schwirrt wieder auffällig oft durch die Medien.
Und alle wollen sie endlich wieder Rennen fahren. Geht es nach dem Willen der F1-Bosse, soll der Saisonstart mit einem Geisterrennen am 5. Juli in Spielberg in Österreich erfolgen, eine Woche später (12. Juli) das zweite Rennen. Red Bull als Streckenbesitzer hat das notwendige Sicherheitskonzept mit allen Auflagen dem Gesundheitsministerium vorgelegt, das jetzt das letzte Wort hat. Nur eine zweite Infektionswelle könne den F1-Auftakt noch verhindern, heißt es bei den Befürwortern der geplanten zwei WM-Läufe im Murtal in der Steiermark.