Nicht nur in Deutschland, auch in Südkorea rollt der Fußball wieder. Nicht nur deshalb lohnt es sich, die K-League einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
In der südkoreanischen Fußballliga startete der Fußball schon eine Woche vor der deutschen Bundesliga. Zwar ähneln sich die Konzepte der beiden Ligen, Unterschiede gibt es aber trotzdem. In Südkorea sollen die ersten Spieltage ohne Zuschauer stattfinden, möglich ist aber auch, gegen Ende der Saison erneut Fans ins Stadion zu lassen. Zudem wurde die Saison von 38 Spieltagen auf 27 verkürzt. Die Spieler seien angehalten, sich nicht abzuklatschen oder sich bei einem Tor in die Arme zu fallen, sagte eine Liga-Sprecherin in Seoul. Trinkflaschen und Handtücher dürften nicht mit anderen Spielern geteilt werden. Die Spieler betraten das Stadion zudem zur Platzbegehung mit Schutzmasken. Auch die Ersatzspieler sind dazu verpflichtet, sie aus Hygienegründen auf der Bank zu tragen. Die Spieler auf dem Feld sind von der Auflage ausgenommen. Diese Bilder kennen viele Fußballfans schon aus den deutschen Stadien.
Werksmannschaften sind die Regel
Doch wie sieht diese Liga eigentlich aus? Und wieso konnten die Südkoreaner schon früher beginnen? Als wichtige Gründe für die stark rückläufige Verbreitung des Corona-Virus gelten die hohe Zahl an Tests und der Einsatz digitaler Technik, über die eine Zeit lang auch in Deutschland nachgedacht wurde. Rainer Fried, der in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul für eine internationale Musical-Produktionsfirma arbeitet, wurde von seinem Bruder Nico Fried bezüglich der Corona-Bestimmungen in Südkorea interviewt. Durch einige Aussagen wird deutlich, warum es in Südkorea noch schneller ging als in Deutschland. „Es gab Schleusen, in denen mit Kameras Fieber gemessen wurde, aber die stehen dort schon seit der letzten Sars-Epidemie vor einigen Jahren. Mittlerweile hat sich das völlig geändert: Es wird nicht nur die Temperatur gemessen, es wird auch bei jedem Einreisenden innerhalb von zwei Tagen ein Corona-Test durchgeführt. Alle Einreisenden müssen auf ihr Mobiltelefon eine App herunterladen, mit der ihr Aufenthalt nachverfolgt werden kann, und alle werden für zwei Wochen in Zwangs-Quarantäne geschickt“, erzählte Fried. Durch eine Desinfektionsdusche ist es für die Koreaner sogar möglich, zu Theaterstücken und Musicalaufführungen zu gehen. Doch der wohl größte Trumpf ist die App, mit der jeder rund um die Uhr überwacht werden kann – wer sich nicht daran hält, muss mit saftigen Geldstrafen rechnen. Ausländische Mitbürger können dann sogar ausgewiesen werden, Koreanern droht im schlimmsten Fall das Gefängnis. Gerade deshalb klappt es dort aber so gut. Zumindest klappte es so lange, bis die Nachtclubs wieder öffneten. Die Corona-Beschränkungen wurden wieder verschärft, Einfluss auf den Fußball hat es derzeit nicht.
Für den allgemeinen Fußballromantiker wäre die südkoreanische K-League wohl aber eher ein Albtraum. Sie lebt von einer Handvoll Multikonzernen. In Korea sind Werkselfsbegegnungen Tagesgeschäft. Jedes Wochenende tritt hier ein Großkonzern gegen den anderen an. Die Hyundai-Familie hält neben Ulsan noch Jeonbuk Hyundai Motors und den Absteiger Busan IPark im Portfolio. Bei anderen Wirtschaftsriesen sieht es ähnlich aus. In Korea nennt man die Mannschaften auch nicht Verein oder Club. Man bezeichnet sie wie im unternehmensgetriebenen US-Sport als „Franchise“. Fußball, der war in Korea nämlich noch nie ohne das Kapital zu denken.
Als sich die Liga 1983 als „Super League“ gründete, machten die Konzerne zuerst nur widerwillig mit. Die Regierung hatte die Großunternehmen angewiesen, ihren Angestellten Sportmöglichkeiten zu bieten und Mannschaften aufzustellen. Seit Ende des Koreakriegs 1953 entwickelte sich das Land damals von einer der einst ärmsten Nationen der Welt zu einer industrialisierten Volkswirtschaft. Ohne schuftende Arbeiter, die lange Stunden ohne Sozialleistungen abrissen, wäre das nicht möglich gewesen. Die neue K-League sollte den Übergang in eine Ära des Wohlstands symbolisieren.
Zum Start bestand die Profiliga Asiens somit nur aus zwei echten Profiteams, hinzu kamen semiprofessionelle Mannschaften, die aber allesamt von Konzernen verantwortet wurden. Nach einiger Zeit ging es aber nicht nur noch um Geld oder betriebliche Pflichterfüllung. Die K-League wurde zum Rückgrat für die Erfolge der koreanischen Nationalmannschaft: Bei der WM 2002 erreichte sie das Halbfinale, bei den Olympischen Spielen 2012 holte sie Bronze, 2015 wurde sie Zweite der Asienmeisterschaft, die sie zuvor zweimal gewonnen hatte. Seit 1986 hat Südkorea bei jeder WM-Endrunde gespielt – kein asiatisches Land kann das von sich behaupten.
Trotz der aufstrebenden Clubs in Japan, China und anderswo gilt die K-League weiterhin als stärkste Liga des Kontinents. Der mit drei Titeln asienweite Champions-Leauge- Rekordmeister heißt Pohang Steelers. Schon die Namen dieser Clubs verraten: Die Abhängigkeit vom Großkapital ließ nie nach. Die Pohang Steelers gehören wie die Jeonnam Dragons zum weltweit führenden Stahlkonzern Posco. Ähnlich tiefe Taschen hat Daewoo, das unter anderem aus dem Schiffbau kommt oder der weltweit fünftgrößte Autobauer Hyundai, dessen Schwesterbetriebe auch in diversen anderen Branchen das Geschäft dominieren. Aber nicht alle südkoreanischen Konglomerate sind im nationalen Fußballgeschäft aktiv. LG zum Beispiel, weltweit führend in der Herstellung von Displays, hat keine Franchise in der K-League – dafür aber das beliebteste Baseballteam Koreas. Baseball ist zusammen mit Fußball die beliebteste Sportart in Südkorea – sogar beliebter als Fußball. Auch wenn es den südkoreanischen Fußball länger gibt als Baseball. Der moderne Fußball hat seinen Einzug in Korea bereits im Jahre 1882 gehalten, in den koreanischen Geschichtsbüchern gibt es allerdings Hinweise darauf, dass ein fußballähnliches Mannschaftsspiel bereits in der Zeit der drei Königreiche, von 57 v. Chr. bis 993 n. Chr., gespielt worden sei.
K-League gilt als stärkste Liga des Kontinents
Eine längere Geschichte gibt es auch zwischen dem deutschen und dem südkoreanischen Fußball. Manchmal genügen gerade einmal 77 Minuten im Trikot eines Klubs, um sich noch Jahre später einen Platz in den Herzen der Fans zu bewahren. Am 30. Dezember 1977 trug Cha Bum-Kun zum ersten und einzigen Mal das Trikot mit der Lilie auf der Brust, doch die Anhänger von Darmstadt 98 haben ihren ehemaligen Stürmer nie vergessen. Über 1000 Südkoreaner reisten damals aus der gesamten Republik ans Böllenfalltor, um ihren Landsmann zu bejubeln und im Sommer 2017 war die Begeisterung unter den Menschen im Stadion nicht minder groß. Da war Cha nämlich an jenen Ort zurückgekehrt, an dem seine große Bundesliga-Karriere ihren Anfang und auch ihr vorläufiges, abruptes Ende fand. Cha wurde vor einem Testspiel gegen den englischen Klub FC Fulham mit einem Blumenstrauß geehrt, vor allem aber von den Darmstadt-Anhängern minutenlang mit stehenden Ovationen gefeiert – und das obwohl sein Stern später ausgerechnet beim hessischen Rivalen Eintracht Frankfurt aufgehen sollte. Dort wurde er zur Legende und im Jahr 1998 zu „Asiens Fußballer des 20. Jahrhunderts“ gekürt. Cha gilt als Grundstein dafür, dass südkoreanische Spieler in Deutschland längst nicht mehr als Exoten gelten. Und so ist es wenig verwunderlich, dass seither viele weitere Episoden in der deutsch-südkoreanischen Fußballgeschichte hinzugekommen sind. Von deutschen Trainern wird immer wieder die Mentalität südkoreanischer Fußballer positiv hervorgehoben, sie schätzen ihre Charakterstärke, ihre Anpassungsfähigkeit und Akribie. So auch Uli Stielike, der bis Juni 2017 Trainer der südkoreanischen Nationalmannschaft war: „Koreaner sind diszipliniert und korrekt in ihrem Verhalten“, erzählte er in einem Interview mit der „Welt“. „Im Spiel gibt es kein Schwalbentheater, und niemand würde auf die Idee kommen, auf den Boden zu spucken. Ich habe nie erlebt, dass einer aus der Rolle fiel.“ Die deutsche Nationalmannschaft hat ebenfalls eine Geschichte mit den Südkoreanern. In der Vorrunde der WM 1994 siegte Deutschland im amerikanischen Dallas knapp mit 3:2, für beide Seiten in positiver Erinnerung geblieben ist aber vor allem die Partie im Halbfinale des Heim-Turniers im Jahr 2002. Südkorea musste sich in Seoul am Ende zwar mit 0:1 geschlagen geben und verpasste damit den zunächst für unmöglich gehaltenen Traum vom Endspiel nur knapp. Revanchieren konnten sich die Koreaner dann 2018, als sie die Deutschen aus dem Turnier beförderten. Und so wurde die gemeinsame Geschichte im Jahr 2020 um ein Kapitel reicher: Beide Nationen starteten zusammen den
Spielbetrieb neu.