Finanziell stabil, eine breite Gewerbelandschaft und der Traum, saarländischer IT-Hotspot zu werden: St. Ingbert stand bisher recht gut da. Doch Corona ging auch an der Mittelstadt nicht ohne Schäden vorbei. Oberbürgermeister Ulli Meyer über Perspektiven nach der Pandemie und dem Lockdown.
Herr Meyer, wie hat sich die Corona-Krise bisher auf St. Ingbert ausgewirkt?
St. Ingbert war überdurchschnittlich stark vom Coronavirus betroffen. Wir hatten mehr als 100 Infizierte – das ist im Saarpfalz-Kreis ein Spitzenwert! Das stellt natürlich eine Stadtgemeinschaft vor besondere Herausforderungen – sowohl was die Disziplin in der Umsetzung der Regeln anbetrifft, als auch im Zusammenhalt. Dass man als Gemeinschaft zusammenhält und nicht in Angst verfällt und nur noch Feinde und Bedrohungen sieht. Ich glaube das ist auch gut gelungen. Auch die Maskenverteilaktion haben wir vor Kurzem mit der Hilfe von vielen Ehrenamtlichen gut gestemmt. Es war eine große Leistung, das in einer relativ großen Stadt so zu organisieren. Das ist für mich ein erfreuliches Zeichen. St. Ingbert hält auch in der Krisenzeit zusammen.
Finanziell war St. Ingbert bisher gut aufgestellt. Ist das auch nach der Krise noch der Fall?
Die Zahlen ändern sich so gut wie täglich, aber wir erwarten zurzeit geringere Steuereinnahmen von rund 22 Millionen Euro. Das heißt: weniger Gewerbesteuer, weniger Umsatzsteuerbeteiligung und auch weniger Einkommenssteuer. Da sind noch nicht die geringeren Beteiligungen am kommunalen Finanzausgleich mit eingerechnet. Wir erwarten auch eine höhere Kreisumlage und verschiedene Kostensteigerungen im Bereich der sozialen Sicherung. Auch die Gebäudebewirtschaftung wird teurer. Wenn man mal die Schulen nimmt: Da sind höhere Reinigungsintervalle notwendig. Das zieht einen höheren Personalaufwand nach sich. Wir stehen aktuell vor Herausforderungen, wie wir sie selbst zu Zeiten der Finanzkrise nicht hatten.
Wie wollen Sie diese Verluste möglichst gut auffangen?
Wir haben deswegen zweierlei reagiert: Zum einen wird ein Nachtragshaushalt vorgelegt, der es ermöglicht, dass wir auch in schwierigen Zeiten immer flüssig sind und Kassenkredite aufnehmen dürfen. Zum zweiten haben wir eine Haushaltssperre verhängt, die dazu führt, dass wir die Aufgaben und Ausgaben, die im Haushalt stehen, noch einmal auf ihre Notwendigkeit überprüfen. All die Dinge, zu denen wir nicht gesetzlich oder vertraglich verpflichtet sind, kommen noch einmal auf den Prüfstand und werden gegebenenfalls geschoben oder gestrichen. Aber eines ist auch klar: 22 Millionen plus X, das zahlt eine Stadt wie
St. Ingbert nicht aus der Portokasse. Wichtig ist zu wissen, dass 2020 nicht das einzige schlechte Haushaltsjahr sein wird – das haben wir aber auch von Anbeginn klar im Stadtrat kommuniziert. Es werden auch weitere Jahre folgen, in denen wir das Niveau der Einnahmen so nicht mehr haben werden. Wir machen uns jetzt also auch strategische Gedanken, wie wir in den kommenden Jahren durch die Krise durchgehen werden.
Zum Beispiel?
Die Idee ist es, die strukturellen Kosten der Stadt ein gutes Stück zu senken, sodass wir aus der Krise herausgehen und direkt auch in der Lage sind, Zukunftsinvestitionen zu tätigen. Ziel ist es, dass die Stadt St. Ingbert auch im Vergleich mit den anderen saarländischen Städten und Gemeinden als „Beste“ aus dieser Krise herauskommt.
Nach Ihrer Amtsübernahme haben Sie im Interview von der beeindruckend hohen Zahl an Selbstständigen in St. Ingbert gesprochen. Mit allen Kleinunternehmern waren rund 3.800 Gewerbe gemeldet.
Wie hat sich die Krise auf diese Unternehmen ausgewirkt?
Für die Unternehmer ist die Lage ganz dramatisch. Meine Eltern hatten selbst früher ein kleines Einzelhandelsunternehmen. Daher weiß ich, was es heißt, wenn man einen Laden auf einmal nicht mehr aufschließen darf. Wir haben von Anbeginn gesagt: Wir sind zwar Ordnungspolizei, aber wir möchten Partner der Wirtschaft und Dienstleister sein. In den ersten Tagen sind wir – Ordnungsamt, Wirtschaftsförderung und ich – in die Läden vor Ort gegangen und haben dort mit den Menschen gesprochen und Zweifelsfälle geklärt. Damit wollten wir zeigen, dass wir Partner sein möchten und nicht die, die nur Fehler aufzeigen und Bußgelder verhängen. Wir wollen beraten. Unsere Wirtschaftsförderung war sehr aktiv und hat viele Firmen beraten: Wo gibt es Fördermittel? Wo können wir helfen? Einfach für Fragen zur Verfügung stehen – das war ganz wichtig. Wir hatten auch regelmäßige Videotelefonate mit den örtlichen Händlern. Ein ähnliches Format werden wir nun auch mit der Gastronomie und den Vereinen umsetzen. Es ist wichtig zu merken, wo der Schuh drückt. Als Verwaltung sieht man die Probleme sonst oft nicht auf den ersten Blick. Letztlich ist es aber eben eine unternehmerische Tätigkeit, das wird die Stadt nicht ersetzen können, auch finanziell nicht.
Zeichnet sich schon ein Bild ab, wie viele Unternehmen es nicht durch die Krise schaffen werden?
Zahlen haben wir noch keine. Im Moment greifen auch noch die Fördermittel von Bund und Land. Den Lackmustest werden wir in den nächsten Wochen und Monaten haben, wenn wir sehen, wie das Kaufverhalten der Bürger ist. Das werden wir sehen müssen.
Vieles wird nach der Krise nicht mehr so sein, wie wir es zuvor kannten. Was wird sich für St. Ingbert verändern?
Die Menschen leben jetzt ein gutes Stück bewusster, sowohl mit ihrer Zeit als auch aufgrund des „Fastens“ an sozialen Kontakten. Man merkt wieder, wie wertvoll es ist, Freunde zu haben, mit ihnen reden zu können. Zusammenhalt ist wichtig in dieser Krise. Da bin ich froh, dass St. Ingbert gezeigt hat, dass es das kann. Dass St. Ingbert zusammensteht und zusammenhält. Eine wichtige Zukunftsaufgabe wird daher auch sein, das, was nicht nur die Stadt, sondern das ganze Saarland zusammenhält, zu stärken: unsere Vereine. Das Netzwerk, das miteinander etwas erledigen und helfen. Da ist es wichtig, dass die Maxime auch ist: Wir werden zu Veränderungen kommen. Ich gehe nicht davon aus, dass im nächsten Dreivierteljahr die Corona-Regeln – Abstand, Maskenpflicht, soziale Distanzierung – verschwinden werden. Das führt dazu, dass sich Vereinsaktivitäten ändern müssen. In einem ersten virtuellen Vereinsforum mit knapp 80 Beteiligten haben wir den Vereinen auch gesagt, dass sie jetzt schon Aktivitätsformen finden müssen, damit die Mitglieder in den Vereinen bleiben. Das Coronavirus darf die Vereine nicht infizieren. Es ist schwierig, Leute wieder zu motivieren, wenn sie eine Zeit lang zu Hause geblieben sind. Die wirtschaftlichen Auswirkungen habe ich ja bereits angesprochen. Bei allem, was an Problemen vor uns liegt, ist es wichtig, Wege für die Zukunft aufzuzeigen.
Und zwar?
Das deckt sich mit der Strategie,
St. Ingbert zur IT-Hauptstadt des Landes machen zu wollen. In diese Wirtschaftszweige müssen wir gezielt investieren. Eine der Schlussfolgerungen, die viele ziehen werden, wird sein, dass die IT-Branche eine der Branchen sein wird, die mit mehr Nachfrage aus dieser Krise herauskommen wird. Kommunikation, Arbeiten auf Distanz, Heimarbeit – das sind Themen, die nun eine Breitenwirkung bekommen haben, die es so vorher nicht gab. Das geht aber nur mit funktionierender IT und auch funktionierender IT-Sicherheit. Daher ist es auch noch einmal wichtig, St. Ingbert dort als Standort weiter voranzubringen.