Kommunen im Land fahren derzeit noch auf Sicht, versuchen, sich bestmöglich auf unterschiedliche Szenarien vorzubereiten, die sich täglich ändern können. Grenzgemeinden stehen noch vor zusätzlichen Herausforderungen, betonen Anne Yliniva-Hoffmann, Bürgermeisterin von Überherrn, und Michael Clivot, Rathaus-Chef in Gersheim.
Frau Yliniva-Hoffmann, Herr Clivot, zunächst einmal ein Blick auf die aktuelle Situation: Wie schwer waren Ihre Gemeinden bisher von Ansteckungen mit Covid-19 betroffen?
Yliniva-Hoffmann: Wir in Überherrn sind bisher gut durch die Krise gekommen. Die Zahl der Infektionen lag im niedrigen zweistelligen Bereich, im gesamten Zeitraum waren es bisher 16 Infektionen. Die Infizierten konnten alle wieder aus der Quarantäne zurückkehren. Bei uns in der Gemeinde sind außerdem keine Infektionsketten entstanden, was daran liegt, dass sich die Infizierten besonnen verhalten und die Quarantäne-Vorgaben erfüllt haben.
Clivot: In Gersheim hatten wir insgesamt sieben Fälle, was glücklicherweise doch recht überschaubar ist. Davon sind sechs Personen mittlerweile wieder gesund, und wir hatten keinen Sterbefall. Da konnten wir uns noch sehr glücklich schätzen.
Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um die Bürger in Ihren Kommunen während der Ausgangsbeschränkungen zu unterstützen?
Clivot: Wir haben verschiedene Maßnahmen versucht, um das Ganze etwas erträglicher zu machen. Zum Beispiel am Anfang, als die Schreibwarenläden geschlossen wurden, haben wir einen Kopierdienst eingeführt. Dieser sollte sich vor allem an die Kinder richten, die zu Hause bleiben müssen, weil man ja keine Patronen mehr bekommen hat. Wir haben angeboten, dass die Bürger uns die Dokumente per E-Mail schicken und wir ihnen anschließend die Ausdrucke per Post zusenden.
Außerdem haben wir zusammen mit den großen Märkten und Bäckereien hier in Gersheim einen Einkaufsservice aufgebaut, der es ermöglicht, kontakt- und bargeldlos an Einkaufsartikel zu kommen. Unsere Helfer übernehmen dabei das Einkaufen, und wir schicken die Rechnung an diejenigen weiter, die den Service in Anspruch nehmen.
Zusätzlich haben wir mit der Hilfe der Feuerwehr versucht, die Maskenverteilung möglichst zügig umzusetzen. Begleitend haben wir über unsere Social-Media-Kanäle versucht, zeitnah über alle möglichen Entwicklungen zu informieren.
Yliniva-Hoffmann: Auch in Überherrn haben wir verschiedene Maßnahmen ins Leben gerufen, um unsere Anwohner zu unterstützen. Wir haben zum Beispiel eine Nachbarschaftshilfe gegründet. So konnten durch Freiwillige insbesondere Einkaufsdienste oder andere kleinere Erledigungen für Personen der Risikogruppe übernommen werden. Die einzelnen Helfer wurden dabei dezentral von ihren Ortsvorstehern geleitet. Die Strukturen der Nachbarschaftshilfe haben bei uns, gemeinsam mit der Feuerwehr, dem DRK und Ortsratsmitgliedern, auch die Verteilung der Schutzmasken übernommen. Eine Initiative, die wirklich hervorragend angenommen wurde und zeigt, wie mitfühlend die Menschen sind, war unsere Tafelaktion, die wir zusammen mit Rewe gestartet haben. Auslöser für unsere Tafelaktion war, dass die Caritas nicht mehr genug Lebensmittel von den Supermärkten im Landkreis erhielt, um die Tafeln betreiben zu können. Deswegen haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass Bürger für fünf Euro eine gepackte Tüte Lebensmittel für die Tafel kaufen können.
Mit welchen Ideen haben Sie Ihre Verwaltung auf Corona vorbereitet?
Yliniva-Hoffmann: Wir haben zunächst dafür gesorgt, dass die Mitarbeiter alle nur noch einzeln in den Büros sitzen. Diese Maßnahme konnten wir durch Umverteilung im Haus durchführen und dadurch, dass ein kleinerer Teil unserer Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten konnte. Dadurch konnten wir nicht nur die Abstandsregelungen einhalten, sondern auch sicherstellen, dass selbst bei einer Infektion im Rathaus nur ein Teil der Belegschaft ausfallen würde und der andere Teil die Verwaltung weiter am Laufen halten könnte. Außerdem haben wir das Rathaus für den Publikumsverkehr weitestgehend geschlossen. Als Bürger kann man zwar noch immer hierherkommen, aber nur mit vorheriger Terminvereinbarung. Oft lassen sich die Anliegen auch schon telefonisch oder per Mail klären.
Clivot: Bei uns arbeiten die meisten weiter im Rathaus. Das hat den Grund, dass wir in Gersheim eine kleine Verwaltung haben, in der nicht jede Funktion doppelt besetzt ist. Das heißt, man braucht da jeden Einzelnen.
Außerdem waren wir einfach nicht auf Homeoffice vorbereitet. Wir mussten zunächst die Voraussetzungen schaffen, damit wir – falls bei uns in der Verwaltung ein Fall von Corona auftreten würde – vorbereitet sind, zum Beispiel durch einen Pandemieplan. Darin haben wir geregelt, was passieren soll, wenn wir in Quarantäne müssen, damit die Verwaltung weiterlaufen kann und welche technischen Möglichkeiten wir brauchen, um von zu Hause zu arbeiten.
Weitere Maßnahmen sind, dass wir das Bürgeramt mit Plexiglas ausgestattet haben und ebenfalls freie Büroräume umgewidmet haben, damit sich unsere Kollegen weiter auseinander setzen können.
Wie wirkt sich die aktuelle Situation bei Ihnen auf die Vereinsstrukturen aus? Gibt es Vereine, die ihre Existenz längerfristig als bedroht ansehen?
Clivot: Logischerweise gibt es Vereine, die sich von ihrem Wesen her völlig gestört fühlen. Zum Beispiel Sportvereine, die nicht aktiv sein können. Es kommen immer wieder Anfragen, mit denen Vereine Vorschläge machen, wie sie unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes trotzdem den Betrieb wieder aufnehmen könnten. Zurzeit sind alle öffentlichen Hallen geschlossen, weil wir gar nicht die Möglichkeit haben, sie so zu reinigen und zu desinfizieren, dass keine Infektionsgefahr besteht. Wir haben natürlich jetzt die ersten Vereine, die uns fragen, wie es denn im Sommer aussehen wird und ob sie ihre Sommerfeste absagen müssen, da diese oft ihre Haupteinnahmequelle sind. Wir können ihnen dann nur ehrlich antworten, dass wir diese Fragen nicht beantworten können. Natürlich ist uns bewusst, dass ein paar Vereine damit massive Probleme bekommen könnten. Andererseits können die meisten Vereine in der Regel ganz gut haushalten und dadurch recht gut überleben. Ich persönlich muss sagen, dass ich mir Sommerfeste mit Infektionsschutz schwer vorstellen kann. Zwei Meter Abstand bei einem solchen Fest macht keinen Sinn, und ein Oktoberfest mit Maskenpflicht ist auch nicht lustig. Zurzeit gilt es wirklich abzuwarten, und deshalb muss ich die Vereine um Geduld bitten. Wir sollten mindestens noch den Juni abwarten und sehen, wie sich die Lage entwickelt.
Yliniva-Hoffmann: Durch die Krise ist auch das Vereinswesen bei uns lahmgelegt. Alle Veranstaltungen sind durch die Allgemeinverfügung beziehungsweise die Rechtsverordnungen untersagt worden. Es konnten keine Trainings und keine Übungen stattfinden, und der Turnierbetrieb wurde eingestellt. Das hat sich bei den Vereinen deutlich bemerkbar gemacht. Nicht nur, dass der normale Betrieb nicht laufen kann, auch, dass die von den Vereinen organisierten Feste oder Stände bei anderen Veranstaltungen ausfallen.
Bisher haben wir aber noch keinen Verein, der uns angesprochen hat, weil er Existenzängste hat. Um die Vereine proaktiv zu unterstützen, haben wir festgelegt, dass es den Vereinen möglichst kostenfrei ermöglicht wird, ihre Veranstaltungen abzusagen. So können sie von uns gemietete Räume beispielsweise kostenfrei stornieren. Außerdem haben sie die Möglichkeit, in unserer Rundschau beworbene Veranstaltungen auf dem gleichen Weg kostenlos abzusagen. Das sind die kleinen Dinge, mit denen wir den Vereinen etwas unter die Arme greifen wollen.
Neben den angesprochenen Bereichen leidet auch die Wirtschaft unter der Corona-Krise. Wie stellt sich die wirtschaftliche Situation derzeit bei Ihnen dar, und wie wirkt sich das auf Ihre Finanzsituation aus?
Yliniva-Hoffmann: Wie sich die Wirtschaft entwickelt, können wir im Moment noch nicht genau konkretisieren. In Überherrn haben wir bisher immer eine relativ stabile Wirtschaftslage gehabt, weil wir einen gesunden Mix aus unterschiedlich großen Unternehmen, die in verschiedenen Branchen arbeiten, haben. Diese Mischung hat sich in den vergangenen Jahren bei Konjunkturschwankungen immer bezahlt gemacht. Es wird natürlich auch zu Ausfällen und Einbußen bei den Unternehmen kommen, aber es hat sich bislang noch niemand mit einer konkreten Existenzangst gemeldet. Wen es bei uns hart trifft, sind die Gastronomie- und Hotelbetriebe.
Um abzuschätzen, welche Betriebe sich wieder fangen können und bei welchen die wirtschaftlichen Schäden so groß sind, dass sie das Unternehmen gefährden, müssen wir wohl noch den weiteren Verlauf des Jahres abwarten.
Wir als Kommune rechnen für das aktuelle Jahr mit weniger Kapital durch die Gewerbesteuereinnahmen und mit weniger Einnahmen bei der Beteiligung der Kommunen an der Einkommens- und Umsatzsteuer. Außerdem gehen wir davon aus, dass wir weniger Mittel durch den kommunalen Finanzausgleich erhalten werden.
Von daher wird sich die Coronakrise sicherlich finanziell auf Überherrn auswirken. Derzeit lässt sich das aber noch nicht beziffern. Bisher haben wir in einem Rahmen, der über den Haushalt abfangbar ist, Anträge auf Stundung oder Herabsetzung der Gewerbesteuer-Vorauszahlung bekommen. Auch hier werden wir noch mindestens diesen Sommer abwarten müssen, was noch an weiteren Anträgen kommt. Bislang sind unsere Investitionen aber nicht gefährdet. Es kann aber natürlich dazu kommen, dass wir mit einem Nachtragshaushalt gegensteuern müssen, wobei wir unseren Haushalt 2020 noch nicht beschlossen haben.
Clivot: Auch wir haben einige Stundungsanträge oder Steuervorauszahlungen, die zurückerstattet werden müssen, weil die Unternehmen sonst gar keine Liquidität mehr hätten. In Gersheim haben wir nicht viel produzierendes Gewerbe, das einfach weiterarbeiten konnte, sondern viele kleine Betriebe. Auch bei uns ist die Gastronomie sehr schwer getroffen. Wir rechnen mit einem Steuereinnahmeverlust im laufenden Jahr, der im Millionenbereich liegt. Das ist für eine Gemeinde, die auch ohne eine Krise finanzielle Schwierigkeiten hat, eine große Herausforderung. Jetzt den Haushalt für das laufende Jahr aufzustellen hat viel mit dem Blick in die Glaskugel zu tun, weil wir gar nicht wissen, was alles auf uns zukommt.
Wir sprechen im Moment viel über Rettungsschirme für die Wirtschaft. Aber ich glaube, wir werden nicht an einem Rettungsschirm oder Investitionsprogramm für die Kommunen vorbeikommen. In Gersheim belaufen sich alleine die Kosten, die zur Bewältigung der Coronakrise aufgebracht werden mussten, auf 60.000 bis 70.000 Euro, dazu kommen die Steuermindereinnahmen. Wenn wir dann kein Geld für Investitionen mehr haben, dann profitiert die Wirtschaft vor Ort nicht.
Gott sei Dank, dass wir derzeit schon viele Projekte am Laufen haben, sodass wir diese jetzt nicht stoppen müssen. Das betrifft zum Beispiel unseren Bürgerbus, den wir auf jeden Fall weiter angehen werden, um die Mobilität in Gersheim zu verbessern. Auch unsere Bestrebung im Themenbereich Digitalisierung werden wir weiterverfolgen. Was dieses Feld angeht, müssen wir feststellen, dass die Coronakrise eher eine treibende als eine hemmende Rolle für uns übernimmt. Um möglichst kontaktlos zu arbeiten, mussten wir viele Tätigkeiten in die digitale Welt verlagern, wie Videokonferenzen oder digitale Angebote für Bürger, damit sie nicht ins Bürgeramt kommen müssen. Da hat die Krise einen deutlichen Schub ausgelöst, und wir werden mit unseren Zielen in dem Themenfeld sicherlich schneller vorankommen als geplant. Leider werden andere Projekte, wie etwa bauliche Maßnahmen, ohne Konjunkturprogramm wahrscheinlich auf der Strecke bleiben.
Überherrn und Gersheim liegen direkt an der Grenze. Wie haben Sie die Grenzschließung wahrgenommen, und sehen Sie eine Gefahr für die deutsch-französischen Beziehungen?
Clivot: Ich habe Mitte März, als die Grenzschließung mit Barrikaden bei uns durchgeführt wurde, zu dem Thema eine Videobotschaft veröffentlicht, über die sowohl in der deutschen als auch in der französischen Presse berichtet wurde. In dem Video habe ich mich darüber beschwert, dass ich das Gefühl habe, dass sich eine gewisse Feindseligkeit gegen Franzosen breitmacht. Also nach dem Motto: Die sind jetzt alle krank und stecken uns an. Dass es so weit gekommen ist, hat leider auch mit dem scharfen Ton unseres Innenministers zu tun, der diese Meinung aus meiner Sicht unterstützt hat. Hier gab es auch den ein oder anderen Vorfall, wo Franzosen beschimpft worden sind und ihnen deutlich gemacht wurde, sie seien momentan nicht bei uns erwünscht. Das wird Spuren hinterlassen. Eigentlich sind wir hier in Gersheim sehr mit Frankreich verbunden und haben zum Teil deutsch-französische Vereinsstrukturen. Der fließende Grenzverkehr, der hier normalerweise stattfindet, ist völlig zum Erliegen gekommen. Alle drei Grenzübergänge sind fest verschlossen. Und Personen, die auf der anderen Seite der Grenze wohnen, aber hier arbeiten, müssen teilweise 30 bis 50 Kilometer Umweg fahren, um zur Arbeit zu kommen.
Teilweise trauen sich Personen mit französischem Kennzeichen nicht mehr hier einzukaufen, weil sie dann schief angesehen werden. Das tut weh, weil die Grenze über viele Jahre eigentlich nicht mehr vorhanden war, und jetzt ist auf einmal wieder eine Trennung da. Selbst wenn die Krise vorbei ist, wird das nicht spurlos an uns vorbeigehen. Wir werden noch einmal viel Arbeit und Zeit investieren müssen, um das Vertrauen wiederherzustellen.
Yliniva-Hoffmann: Ich hoffe letztlich auf einen Wandel zum Besseren durch die Grenzschließungen, dass man sich der Freiheiten wieder bewusst wird, die uns Europa bietet, weil diese jetzt so massiv eingeschränkt waren. Ich sage es mal so: Ich habe ein gewisses Verständnis für die Maßnahmen. Nachdem das RKI die Region Grand Est zum Risikogebiet erklärt hat, sind natürlich Ängste aufgekommen. Ich habe das auch hier in Überherrn wahrgenommen. Da hat es ein Stück weit zur Beruhigung beigetragen, dass die Grenze zu dem Risikogebiet, also nicht die Grenze zu Frankreich oder die Grenze zu Lothringen, zugemacht wurde. Es war natürlich trotzdem ein enormer Eingriff in den Alltag und das Leben der Leute hier und auf der anderen Grenzseite. Deshalb hoffe ich, dass es auch dazu beigetragen hat, wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass freie Grenzen in Europa einen ganz großen Wert für uns haben. Ich habe auch bemerkt, dass mit zunehmender Dauer dieser Grenzschließungen das Verständnis dafür abgenommen hat. Vielleicht auch, weil sich die Wahrnehmung verbessert hat. Als klar war, dass Lothringen nicht so betroffen ist wie andere Teile von Grand Est, sank bei vielen Bürgern auch die Akzeptanz für die Schließung der Grenze. Als kurzfristige Maßnahme, um alles auf Null zu fahren, war sie nachvollziehbar, vielleicht sogar auch wirklich richtig. Das sollten aber die Virologen beurteilen. Aber eine Lösung auf Dauer ist das nicht! Auf Dauer sollte auch und gerade in solchen Ausnahmesituationen eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit erfolgen.