Corona brachte auch den Tourismus auf der beliebten Ferieninsel zum Erliegen. Nun versuchen die Hotels, ihr Geschäft wieder anzukurbeln.
Ein Usedomer, der lieber nicht genannt werden möchte, sagt: „20 Prozent der Hoteliers hier steht das Wasser bis zum Hals". Wenn jemand investiert habe und nun Kredite abbezahlen muss – und dann über zwei Monate der Saison wegfallen, das sei kaum zu stemmen.
Zwei Monate war Usedom nicht mehr das, was es seit Jahrzehnten, auch zu DDR-Zeiten, gewesen war: ein beliebtes Ferienziel der Deutschen. Ende Mai ging es nun wieder los. „Möchten Sie Zimmerservice?", fragt die Rezeptionistin im „Strandhotel Atlantic" in Bansin. Sie steht hinter einer Plexiglasscheibe, der Gast trägt Mundschutz. Sie reicht den Meldeschein und dazu einen Kugelschreiber, den könne man behalten. 10.000 Stück haben die „Seetelhotels" bestellt, ein hygienisch unbedenkliches Werbegeschenk, weil sie nicht weitergereicht werden. Betten machen und durchfeudeln, das gibt es nur auf Wunsch, sonst betritt nur der Gast das Zimmer während seines Aufenthaltes. Im Zimmer gibt es keine Prospekte, keine Fernsehzeitschrift, keine Deko-Kissen, statt Gläsern stehen einzeln verpackte Plastikbecher bereit, die Bademäntel sind in Plastiktüten eingepackt, die Fernbedienung steckt in Plastik, mit einem Siegel darauf.
„Wir haben immer die Fernbedienung nach der Abreise desinfiziert, der Gast hat es nur nicht gesehen", sagt Rolf Seelige-Steinhoff, geschäftsführender Gesellschafter der Seetelhotels. Das Familienunternehmen betreibt 16 Häuser und ist mit gut 450 Angestellten der größte Arbeitgeber der Insel. Nun wollen sie stärker zeigen, wie sie die Auflagen umsetzen.
Fernbedienung in Plastik gesteckt
Wie zigtausend andere Gastronomen und Hoteliers auch kämpften sie ums Überleben, sagt Seelige-Steinhoff. Die Hotelgruppe habe „weit über eine Million Euro Personalkosten im Monat" und baue gerade sieben Häuser um mit 34,2 Millionen Euro Investitionsvolumen in zwei Jahren. So viel Liquidität sammle niemand an. Die fast drei Monate machten ein Fünftel des Jahresumsatzes aus – und nun dürfen die Hotelbetten nur zu 60 Prozent gefüllt werden. Pfingsten sei im Voraus super gebucht gewesen, um die 80 Prozent, und dann musste man Gästen absagen. Und ja: Einige Betriebe auf Usedom würden das nicht überleben, sagt Seelige-Steinhoff. Denn auch wenn der Deutschlandtourismus jetzt boome, nütze das der Insel kaum, weil der Sommer ohnehin immer gut gebucht sei, „voller als voll geht nicht".
Für Urlauber stellt der erste Strandspaziergang so etwas wie die ersten Schritte in Freiheit dar, es fühlt sich an, als sei man lange bettlägerig gewesen und traue sich nun das erste Mal wieder hinaus. In Heringsdorf kurbeln die Idens ihren Strandkorbverleih an, Traktoren bringen die Strandkörbe. Normalerweise gehe es an Ostern los, der Monat fehle ihnen. Einen besseren Platz als einen Strandkorb kann es gerade kaum geben, „wir lüften stetig", sagt Natascha Iden. Natürlich müsse desinfiziert werden: „Wir hoffen, das Material hält das gut aus". Seit 20 Jahren verleihen sie Strandkörbe, und sie servieren im Winter Glühwein am Strand, beteiligen sich am „Grand Schlemm", einer kulinarischen Wanderung. „Es darf nicht langweilig werden", sagt Andreas Iden, „wir wollen immer wieder das eigene Tun hinterfragen, das machen wir jetzt auch". So überlegen sie, mit dem Sternekoch Tom Wickboldt Catering im Strandkorb anzubieten. Wickboldt und seine Partnerin Manja Wulf spazieren vorbei. Wickboldt hat den ersten Michelinstern für die Insel geholt, nun wird er ein eigenes Lokal aufmachen, frühestens im August, sagt er. Essen habe mit Genuss zu tun, und jetzt, das sei doch ein beklemmendes Gefühl, da warte er lieber ab – und entwickelt in der Zwischenzeit eben neue Ideen. Die Menschen wollten nun lieber draußen sein, Open Air sei angesagt. Im sandigen Wind will er keine feinteilige Gourmetküche präsentieren, aber es gehe um Geschmack, um gute Produkte. Und um neue Ideen, um gestärkt aus der Krise rauszugehen.
Andreas Iden sagt: „Man kann die Zeit jetzt mit Jammern oder Verzweifeln verbringen, oder überdenken, was man so macht. Aber Jammern, das ist das Schlimmste." Unlängst habe ihn eine Vermieterin von 15 Ferienwohnungen angesprochen, als sei sie fast am Verhungern. „Wenn jemand nach einem Monat Ausfall zu weinen anfängt, also dann hat man auch irgendwas falsch gemacht", sagt Iden. Zudem habe die Regierung so viel Geld ausgeschüttet, da müsse man sich auch mal überlegen, „auf welchem Niveau man da jammert".
Usedomer leben vom Tourismus
Zu jeder Jahreszeit lohnt sich eine Radtour, etwa mit Usedom-Rad. 2.000 Räder stehen an 140 Stationen, man leiht ein quietschgelbes Rad übers Mobiltelefon, an einer beliebigen anderen Station lässt man es stehen. Das System startete 2009 mit Fördergeldern des Bundeswettbewerbs „Innovative öffentliche Fahrradverleihsystem – Neue Mobilität in Städten". In einem der wenigen geöffneten Cafés in Bansin erklärt Geschäftsführer Axel Bellinger, auch die Einheimischen nutzten die Räder, „wenn sie mal den Bus verpasst haben", Gäste führen lange Strecken damit. Wichtig für ihn waren die Werbeeinnahmen, die Räder sind fahrende Litfaßsäulen für lokale Betriebe. Nun befürchtet Bellinger, dass denen bald das Geld fehlen könnte für Werbemaßnahmen.
„85 Prozent der Menschen auf Usedom leben vom Tourismus", sagt Rolf Seelige-Steinhoff von Seetelhotels. Auch Bäckereien und Bauunternehmer, Einzelhändler und Installateure. Man müsse mit dem Coronavirus leben, sagt Seelige-Steinhoff. Im „Atlantic" weisen sie die Gäste auf die Mundschutz-Verordnung hin, und man hält Abstand. Und falls doch jemand das Virus einschleppen sollte? Wenn es den Gästen gut geht, könne man darüber nachdenken, so der Hotelier, „dass sie 14 Tage die Quarantäne hier machen". Frühstück gibt es dann auf dem Zimmer.