Die Hallertau ist das wichtigste Hopfenanbaugebiet der Welt. Mitten in Bayern gibt es die grünen Dolden nicht nur auf dem Feld und im Bierglas. Man findet sie auch auf dem Teller – und sogar in der Badewanne.
Sanft geschwungene Hügel breiten sich aus, so weit das Auge reicht. Es ist eine ländliche Idylle wie aus dem Bilderbuch, mit Dörfchen und barocken Kirchlein unter einem stahlblauen Himmel. Doch wer näherkommt, taucht ein in einen dicht wachsenden, wuchernden Dschungel. Auf den Feldern rankt ein Dickicht an grünen Pflanzen viele Meter in die Höhe. Das ist schon seit Menschengedenken so: Bereits vor gut 1.000 Jahren wurde in der Hallertau Hopfen angebaut. Ohne dessen Dolden wäre Bayern nicht das Bierland geworden, das es heute ist. „Trotzdem kennen nur wenige die Pflanze, die dem Bier seine Aromen schenkt", meint Elisabeth Stiglmaier. Die Mittfünfzigerin ist dabei, das zu ändern: Als eine von einigen Hopfenbotschafterinnen – alles Bäuerinnen und Landfrauen – weiht sie Gäste in die Geheimnisse der Heil- und Würzpflanze ein. Ihre Erlebnistouren organisiert Elisabeth Stiglmaier nicht im Freilichtmuseum. Man bringt besser feste Schuhe mit: Die Hopfenbotschafterin in ihrer grün-weißen Tracht führt Besucher nämlich quer über den Hof und in die Hopfengärten der Umgebung.
Stiglmaiers Zuhause, das Dörfchen Attenhofen, liegt mitten in Bayern zwischen Ingolstadt, Kelheim, Landshut und Freising – und damit genau im Herzen der Hallertau, dem weltweit wichtigsten Anbaugebiet der grünen Dolden. Auf einer Fläche von über 15.000 Hektar wachsen hier Hopfenpflanzen, die sich im Laufe des Sommers an Gerüstanlagen hinaufschlingen und sieben Meter hoch werden. Viel zu tun gibt es das ganze Jahr, denn Hopfen ist eine sensible Pflanze, die oft von Schädlingen angeknabbert oder von Pilzen befallen wird. Ab Ende August wird es dann hektisch in der Hallertau: Die Ernte steht an. Die Traktoren rollen auch bei Familie Stiglmaier, die wie viele Kleinbauern etwa 20 Hektar Land mit Hopfen bepflanzt. „Wir bringen die kompletten Reben in die Scheune. Eine Pflückmaschine trennt dort die Dolden vom Hopfenstock. Danach werden sie sofort aussortiert, getrocknet, luftdicht verpackt und gekühlt."
Warum der Aufwand und die Eile? „Der Geschmack des Biers hängt entscheidend von der Qualität des Hopfens ab", erklärt die Expertin. Zwar reichen 40 Gramm des Rohstoffs theoretisch für einen Hektoliter Allerweltsbier und die Ernte von zwei Hektar Land für allen Gerstensaft, der auf dem Oktoberfest konsumiert wird. Doch viele Brauer legen inzwischen wieder mehr Wert auf gute Rohstoffe. Wer außerdem auf traditionelle Methoden wie das Hopfenstopfen setzt, also erneut Dolden in den Sud gibt, wenn dieser abgekühlt ist, setzt oft auch auf neue Hopfensorten mit ausgeprägten Aromen.
Wie das am Ende den Geschmack beeinflusst, kann man vor Ort testen: Elisabeth Stiglmaier ist nämlich auch ausgebildete Biersommelière. Zu Probierschlücken werden Hopfenschuxn gereicht, ein säuerliches Schmalzgebäck. Und wenn man sie nett bittet, packt die Landfrau die Zither aus und singt das Heimatlied der Region. Der Herrgott soll sie erst am siebten Tag geschaffen haben, als Krönung seiner Schöpfung: „Dös is da schönste Fleck da Welt, die schöne Holledau."
Hier wird der Hopfen auch erforscht
Ein paar Kilometer vom Hopfenhof der Stiglmaiers entfernt, kümmert sich eine weitere Dame darum, dass der Hopfen der Hallertau weltweit in aller Munde ist. Elisabeth Seigner leitet die Hopfenzüchtung im Hopfenforschungszentrum der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. „Zusätzlich zu den klassischen Bitter- und Aromahopfen haben wir inzwischen sogenannte Special Flavour Hops entwickelt", erzählt sie bei einem Rundgang durch die Gewächshäuser. „Normalerweise schmeckt Hopfen eher bitter und nach Gras. Bei neuen Sorten hat man die Aromen von Mango und Passionsfrucht, Melone oder Zitrone im Mund." Dolden dieser Züchtungen werden häufig bei „Craft Beer" verwendet, also handwerklich gefertigtem Bier.
„Bei uns hat jede Generation mit Bier experimentiert. Man muss immer neue Wege gehen, um Altes zu bewahren", sinniert Maximilian Krieger, der „Bräu" im Riedenburger Brauhaus. Seit gut 150 Jahren ist die Brauerei am Ufer der Altmühl im Besitz der Familie, seit 1994 wird hier nur noch Bio-Bier gebraut. „Das war damals eine Revolution. Genauso wie die Idee, das Malz von alten Getreidesorten wie Dinkel, Einkorn und Emmer zu verwenden." Heute füllt Maximilian Krieger nicht nur spritzige Hefeweizen und aromatische Urgetreidebiere ab, sondern auch ein glutenfreies Bier aus Hirsemalz. Inspiriert von Craft-Beer-Pionieren in New York, aber gebraut nach dem Reinheitsgebot, ist der naturtrübe „Dolden Sud". „Das obergärige Spezialbier ist ein India Pale Ale mit bayerischen Zutaten", erklärt der Fachmann. Die Aromahopfen, die dem Trunk seinen fruchtig-süßlichen Geschmack geben, stammen von Bio-Bauern aus der Region.
Andernorts ist man dagegen mehr in der Tradition verwurzelt – kein Wunder bei einer fast tausendjährigen Geschichte. Vor der Tür fließt die Donau, die sich hier durch die Kalksteinfelsen der Weltenburger Enge zwängt. Nebenan steht die Kirche der Brüder Asam, ein Prunkstück der Barockzeit. Mächtige Kastanien beschatten den Biergarten, im Winter versammelt man sich in einer rustikalen Schenke. „Es gibt sicher unangenehmere Orte zum Arbeiten. Hier ist einer der schönsten Fleckchen in Bayern", sagt Ludwig Mederer. Er ist Braumeister in der Benediktinerabtei Weltenburg, der ältesten Klosterbrauerei der Welt. Vor gut einem Jahrtausend, im Jahr 1050, begannen die Mönche hier mit dem Brauen von Bier. Wie der Gerstensaft damals den Pilgern geschmeckt hat, ist nicht verlässlich überliefert. Heute aber heimst das Weltenburger einen Preis nach dem anderen ein: Professionell ausgebildete Laien haben inzwischen die Jobs der Ordensbrüder übernommen. Die Klosterbrauerei gehört aber immer noch der Kirche: Sie ist eine Marke der Brauerei Bischofshof in Regensburg, wo auch die hellen Weltenburger Biere entstehen. Prominentester Fan ist der emeritierte Papst Benedikt XVI. Er bestellte 16.000 Halbe für ein Fest zum 500-jährigen Bestehen der Schweizergarde und ließ sich das Bier auch selbst schmecken.
„Wir arbeiten traditionell"
Fans der Weltenburger Brauerei schwören auf die dunklen Biere, die weiterhin auf dem Klosterareal gebraut werden. Das Wasser dazu fließt aus einem 80 Meter tiefen Brunnen ins Sudhaus, in dem Ludwig Mederer seit einigen Jahren Regie führt. „Wir arbeiten handwerklich und traditionell, mit Rohstoffen aus der Region", sagt der Braumeister. „Und wir geben dem Bier auch die nötige Zeit zum Reifen. Es braucht fünf bis sechs Wochen, bis der Geschmack stimmt, beim Bockbier noch länger. Große Hersteller haben es da eiliger." Nie käme es ihm in den Sinn, gegen das seit 500 Jahren bestehende Bayerische Reinheitsgebot zu verstoßen: Er arbeitet nur mit Hopfen und Malz, Wasser und Hefe.
Gearbeitet wird in Weltenburg nicht mehr in mönchischer Einsamkeit. Von April bis Oktober gibt es am Wochenende Führungen. Gebraut wird nur unter der Woche. Dann sieht man Ludwig Mederer durch die Glasfenster des Sudhauses. Sein aktuelles Lieblingsbier ist das „Barock Dunkel" – das schmeckt vollmundig, mit leichter Süße, aber trotzdem herb und mit schönem Malzaroma. Es scheint auch Fachleuten zu munden: Beim World Beer Cup wurde es vor einigen Jahren zum besten Dunkel der Welt gekürt. In der Hallertau landen die würzigen Hopfendolden aber nicht nur im Bier. „Welche Zutaten in unsere Kräuterliköre kommen, darf ich nicht verraten: Seit Generationen sind die Rezepturen ein gut gehütetes Geheimnis", meint Ilse Lutzenburger vom Weinhaus Lutzenburger in Mainburg.
Eines aber ist klar: „Ohne den Hallertauer Aromahopfen würden das ‚Hallertauer Hopfengold‘ oder unser ‚Luzetto‘ nur halb so gut schmecken." Ihr Sohn Hans-Peter, gelernter Konditor, experimentiert derweil mit Pralinen in Hopfenform und handgeschöpfter Hopfenschokolade.
Auch anderswo kommen Dolden auf den Teller statt nur ins Glas. Margit Zettl-Feldmann, Hausherrin im „Gasthof Eisvogel" von Bad Gögging, serviert ein ganzes Menü rund um die lokale Gewürzpflanze. Aufgetischt werden eine Biersuppe mit Hopfendolden, ein auf Hopfen geräuchertes Saiblingsfilet, und ein Hirsepflanzerl mit Hopfenkruste. Wer dann immer noch nicht genug hat, kann sich im Spa bei einer Massage mit Hopfenöl entspannen – schließlich wird dem Hopfen in der Volksmedizin eine beruhigende Wirkung zugeschrieben. Noch entspannender ist das Hopfenbad, bei der man in einer mit Dolden gefüllten Wanne schlummert. Einfach zum Reinlegen! Trinken sollte man das Wasser anschließend zwar nicht. Doch auch im lokalen Bier steckt ja genügend vom „grünen Gold" der Hallertau.