Dass die Senkung der Mehrwertsteuer zum 1. Juli etwas bringt, bezweifeln viele Experten. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer André Hintz verweist auf die zusätzliche Bürokratie. Er betreibt Kanzleien in Köln und in Bonn.
Herr Hintz, wie hoch wird Ihr Aufwand als Steuerberater durch die Umstellung der Mehrwertsteuer?
Wir haben mehr Anfragen, unsere Mandanten sind verunsichert, und wir müssen mehr als sonst erklären. Zusätzlich müssen die Buchführungen stärker kontrolliert werden, weil ja alle Umsatzsteuersätze parallel zur Geltung kommen, je nach Sachverhalt und Leistungsdatum. Das ist gerade in der Übergangsphase nicht so einfach und bedeutet einfach mehr Bürokratie.
Werden Sie Ihre Gebühren erhöhen?
Nein, das wird nicht nötig sein. Die Gebühren werden in der Regel netto vereinbart, die Unternehmen verrechnen die gezahlte mit der eingenommenen Mehrwertsteuer. Bei der Einkommensteuer wird der jeweils gültige Satz verwendet.
Wie haben Ihre Mandanten auf die Nachricht reagiert, dass die Mehrwertsteuer gesenkt wird?
Genervt. Ich kenne keine positive Reaktion, alle beklagen den Mehraufwand und zweifeln daran, dass die Umstellung sinnvoll ist. Die ohnehin gebeutelte Gastronomie hat es am schwersten – sie müssen die Mehrwertsteuersätze in einem Jahr dreimal ändern. Am 1. Juli gelten für Speisen statt 19 eigentlich sieben Prozent, aber wegen des Konjunkturpakets nur fünf Prozent. Ab 1.1.2021 geht es rauf auf sieben Prozent, und am 1.7.2021 gelten wieder wie bisher 19 Prozent.
Wie sollen sie das an ihre Gäste weitergeben?
Kaum vorstellbar, dass die Wirte dann dreimal ihre Karte ändern und neu drucken lassen. Wenn sie die Preise so lassen wie sie sind, nehmen sie durch die Differenz zwischen 19 und fünf Prozent zwar mehr ein. Aber das ist auch immer eine Frage der Konkurrenz, wenn der nächste Nachbar mit billigen Menüs lockt. Jedenfalls besteht keine Pflicht, die Mehrwertsteuersenkung an die Kunden weiterzugeben – das lässt sich frei kalkulieren.
Welche Auswirkungen hat die Mehrwertsteuersenkung auf das Kaufverhalten?
Bei Unternehmen hat es keine Auswirkungen, die Mehrwertsteuer ist da ein durchlaufender Posten. Bei den Verbrauchern lohnt es sich nur, wenn es um große Anschaffungen geht, wie beim Kauf eines Autos. Kann sein, dass da am Ende des Jahres noch ein kleiner Run auf die Autohäuser entsteht, aber derzeit geben die Händler mehr Rabatte als die Senkung der Mehrwertsteuer ausmacht.
Teilen Sie die Befürchtung, dass bei Unternehmern und Einzelhändlern der Effekt der Steuersenkung durch den bürokratischen Mehraufwand aufgefressen wird?
Ja, auf jeden Fall, allein die ganzen EDV-Updates müssen bezahlt werden. Die IT-Techniker sind momentan gefragt wie selten, und die großen Ferien stehen vor der Tür. Ich glaube, die Ketten wie Lidl, Edeka und Co., die werden das zentral machen, so ähnlich wie das bei den Tankstellen funktioniert. Betroffen sind die kleinen Einzelhändler mit oft nur einer Kasse und ohne eigene IT-Abteilung.
Wie verkraften das die Finanzämter – räumen sie Schonfristen oder Übergangszeiträume ein?
Meines Erachtens haben die Finanzämter am wenigsten damit zu tun. Die Problematik wird einzig und allein auf die steuerpflichtigen Unternehmer abgewälzt. Die Finanzämter verschicken einfach ihre geänderten Formulare. Ich denke nicht, dass es mehr oder weniger Prüfungen deswegen geben wird, aber sicherlich werden sie bei anstehenden Prüfungen ein Augenmerk drauf haben.
Umsatzsteuer fällt zum Zeitpunkt der Leistung an – es gibt aber auch Dauerleistungen: Welcher Steuersatz gilt zum Beispiel bei der Lieferung von Strom, Gas und Wärme oder bei Leasingverträgen?
Bei Strom, Gas, Wasser müssen die Versorger die Raten anpassen, ob 16 oder 19 Prozent. Auf jeden Fall muss das auf der Schlussrechnung exakt festgehalten werden. Die meisten werden dann zu viel gezahlte Steuern mit der Jahresabrechnung ausgleichen. Auch bei Anzahlungen zählt genauso nur der Leistungszeitraum. Haben Sie Ihren Keller im Juni fliesen lassen und die Rechnung kommt im August, müssen da 19 Prozent Umsatzsteuer ausgewiesen werden. Umgekehrt: Hat der Installateur die Waschmaschine im Dezember repariert, stellt aber im Januar die Rechnung, gelten 16 Prozent Umsatzsteuer.
Vor langer Zeit war mal die Rede davon, das Steuerrecht zu vereinfachen. Sehen Sie dafür noch eine Chance?
Dazu müsste man ganz von vorne anfangen. Ein vereinfachtes Steuerrecht wird es nie geben, weil immer zu viele kleine Lobbygruppen ihre Interessen durchsetzen werden und nicht bereit sind, fürs große Ganze auf eigene Vorteile zu verzichten. Denken Sie an die Hotelketten, die es schafften, den Steuersatz für Übernachtungen von 19 auf 7 Prozent zu senken. Oder die bayrischen Sessellifte und Bergbahnen: Sie fallen unter öffentlichen Nahverkehr, es gelten also nur sieben Prozent Umsatzsteuer. Ich sehe da keinen Weg, das irgendwann zu reformieren.