Es war ein langer Kampf – und er ist noch nicht zu Ende. Die Diskussion um eine Nordsaarlandklinik als Ersatz für die ehemalige Klinik in Wadern offenbart die widersprüchliche Interessenlage im Gesundheitswesen. Möglicherweise bringen die Pandemie-Erfahrungen neuen Drive für die ländliche Versorgung.
Ende 2017 hatte das Krankenhaus Wadern seine Türen ein für alle Mal geschlossen, und in den vergangenen Wochen hat auch der Rückbau des ehemaligen Klinikgebäudes begonnen. „Das Wort ‚Rückbau‘ passt recht gut, denn es klingt auch nach Rückschritt oder Rückentwicklung", sagt Bernd Schröder, Sprecher der Bürgerinitiative. „Solche Rückschritte haben die im Krankenhaus tätigen Menschen in den letzten zehn, zwölf Jahren seiner Existenz immer wieder erleben müssen. Es fehlte jegliche unternehmerische Dynamik."
Die Missstände in der Bewirtschaftung des Hauses sind vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennbar gewesen, das Fehlen des Krankenhauses in Wadern dafür umso mehr. Denn auch wenn das Saarland mit seinen 23 verbliebenen Krankenhäusern und deren 6.902 Planbetten statistisch betrachtet gut aufgestellt ist, so klafft im nördlichen Saarland eine Lücke.
Nach der Schließung des Hauses hatte sich daher recht schnell eine Bürgerinitiative zusammengefunden, die für eine medizinische Versorgung im nördlichen Saarland kämpfen will: die BI Nordsaarlandklinik. „Nach Ansicht der BI sollte man sowohl ein Krankenhaus bauen als auch die ambulante Versorgung stärken – und nach Möglichkeit beides miteinander verbinden", so Schröder. „Denn auch die Fach- und Hausärzte, die hier ambulant behandeln, sind dünn gesät. Die Tendenz geht dahin, dass diese Situation sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird. Viele der praktizierenden Ärzte stehen kurz vor dem Ruhestand." Traditionell ziehe es Ärzteschaft und Pflegepersonal eher in Ballungsräume, als in die ländlichen Gebiete. „Dazu kommt die Situation, dass wir hier kein Krankenhaus mehr in der Nähe haben, das das ausgleichen könnte. Das nächstgelegene Krankenhaus befindet sich in Losheim am See und hat nur noch eine einzige Abteilung: Innere Medizin." Für die Basisversorgung sei die 20 bis 30 Minuten weit entfernte Klinik somit völlig unzureichend. „Die Tendenz geht zudem dahin, dass der Träger, die Marienhaus GmbH, auch dieses Krankenhaus aus Ersparnisgründen über kurz oder lang schließen wird", so der BI-Sprecher.
Grund genug zum Handeln: „Wir haben uns daher mit dem Bürgermeister in Wadern zusammengesetzt und ein Konzept entwickelt, das auf zwei Beinen steht: Die Stadt kümmert sich um die Verbesserung des ambulanten Angebots, im Sinne eines Gesundheitsparks, der neben einem großen Angebot an ambulanten Angeboten auch andere medizinische Dienstleistungen anbieten will: Bewegungstherapie, Massagen und Ähnliches, aber auch beispielsweise ein Patientenhotel. Dann war die große Frage: Können wir das zusammen mit einem Krankenhaus planen?", erinnert sich Schröder zurück. Dieses Vorhaben scheiterte nicht zuletzt am Platzmangel. „Das Gesundheitszentrum wäre am besten möglichst nah am Stadtzentrum, damit sich dort möglichst viele bereits bestehende Praxen anschließen können. Dort ist aber nirgendwo ein Grundstück, auf das man auch noch ein Krankenhaus bauen könnte."
Gleich nach der Schließung des Waderner Krankenhauses hatte die Landesregierung eine Task Force zur medizinischen Versorgung im Nordsaarland gegründet. Auch die BI hat darin Sitz und Stimme. „Die damalige Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hat dann mit ihrer Stellvertreterin Anke Rehlinger und Gesundheitsministerin Monika Bachmann ein Machbarkeitsgutachten in Auftrag gegeben. Unser Jubel war groß, denn dieses Gutachten besagte: Es ist machbar!" Allerdings nur unter gewissen Bedingungen: Eine Nordsaarlandklinik sei dann wirtschaftlich tragbar, wenn das Land die Investitionskosten trage und Kapazitäten anderer Krankenhausstandorte im Umkreis – Losheim, Lebach, Merzig sowie auch St. Wendel – in die neue Klinik übertragen werden. In besagtem Gutachten, das durch Aktiva erstellt wurde, ist zudem explizit von einer Schließung der Standorte Lebach und Losheim die Rede. „Dafür hat man sich eine gemeinsame Betreibergesellschaft aus den Trägern der umliegenden Krankenhäuser vorgestellt", sagt Schröder. „Die Betreiber wollten das aber nicht mitmachen."
Ambulant sieht es auch mau aus
Neben der Suche nach einem geeigneten Standort, nun also auch die Suche nach einem Träger. In einem Interessenbekundungsverfahren hatte das saarländische Gesundheitsministerium den Kontakt zu einer Vielzahl möglicher Träger gesucht. „Ministerin Bachmann und Staatssekretär Stephan Kolling sind dann quer durch Deutschland gefahren und haben sich auch viel Mühe gegeben, einen Träger zu finden", erzählt Bernd Schröder. Über 160 Briefe seien nach Angaben des Ministeriums verschickt, viele persönliche Gespräche geführt worden, um eine dauerhafte medizinische Versorgung für das Nordsaarland auf den Weg zu bringen. Bis zum Ablauf der Frist hatte es fünf Bewerber gegeben, die ein Konzept vorgelegt hatten. Inzwischen haben auch zwei weitere Träger ihr Interesse bekundet.
„Unter den fünf, die sich zuerst gemeldet haben, gab es zwei, die ein wirkliches Krankenhausangebot hatten", sagt Bernd Schröder. Das waren die Marienhaus Gesellschaft und der private Anbieter Ameos aus Zürich. „Die Marienhaus GmbH bietet als Lösung an, das Krankenhaus in Losheim auszubauen mit den Abteilungen Innere, Chirurgie und Geriatrie, wovon derzeit nur die Innere vorhanden ist", so Schröder. „Das Widersprüchliche dabei ist, dass man gleichzeitig das Krankenhaus geschwächt hat, indem die Konservative Orthopädie nach St. Wendel verlagert wurde." Aber nicht nur diese Verlagerung stößt dem BI-Sprecher sauer auf: „Außerdem würde so ein Fass ohne Boden aufgemacht: Die Marienhaus GmbH fordert erstens, dass die Landesregierung alle Investitionskosten zu 100 Prozent übernimmt, und zweitens, dass sie dem Haus nachher dauerhaft einen Sicherungszuschlag gewährt, weil eine solche Klinik, wie der Betreiber selbst zugibt, nie rentabel arbeiten könnte. Marienhaus schlägt also eine Klinik vor, die genauso wenig Zukunft hätte wie das inzwischen geschlossene Waderner Krankenhaus."
Das Angebot von Ameos, eine 13 Fachrichtungen starke Poliklinik mit 200 Betten zu errichten, käme dagegen „nah an das ursprüngliche Konzept heran". Zudem sei hierbei eine enge Zusammenarbeit mit dem geplanten Gesundheitspark denkbar.
„Die anderen drei Bewerber kamen nicht ganz an das heran, was mit der Ausschreibung gemeint war", so Schröder. So plane die SHG, die ambulante Versorgung in Wadern auszubauen und eine kleine stationäre Einheit für die Erstversorgung bei Notfällen einzuführen. Das Haupthaus bleibe in Merzig. Auch wenn das nicht ganz den Plänen der BI entspricht, bekräftigt Bernd Schröder: „Das ist ein Angebot, das wir dennoch als interessant ansehen wegen der Verknüpfung mit ambulanten Leistungen."
Sieben Bewerber für Klinikangebot
Das Angebot der Caritas Saarbrücken, die eine 50-Betten-starke Notfallversorgung anbietet sowie das der Sophienstiftung Wallerfangen, die das ambulante medizinische Angebot am Standort Lebach ausbauen will, seien hingegen „sehr schmal".
Interessant sei aber auch das jüngste Angebote der Knappschaft: „Wir sind sehr froh, dass auch die Knappschaft sich ein Krankenhaus im Raum Wadern vorstellen kann. So hat die Landesregierung nun die Wahl zwischen mehreren Konzepten für die stationäre Versorgung unserer Region. Vielleicht kommt ja auch eine Kooperation zwischen zwei Anbietern zustande mit einer guten Verknüpfung zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich. Jeder vertrauenswürdige Anbieter – und ein solcher ist die Knappschaft zweifellos – ist uns willkommen."
Zudem habe die ctt ins Gespräch gebracht, das Krankenhaus in Lebach wieder auf die Beine bringen zu wollen. Und das Land als Träger? Das ist rein rechtlich schon keine Option. Denn das Land hat keinen sogenannten Sicherstellungsauftrag. Dieser liegt nach saarländischem Krankenhausgesetz bei den Landkreisen. Dieser Sicherstellungsauftrag ist aber auch nur dann gegeben, wenn kein anderer Träger vorhanden ist, ein Bedarf nach Versorgung besteht –
also kein anderes Krankenhaus in 30 Minuten erreichbar wäre – und eine Wirtschaftlichkeit vorhanden wäre. Das ist im Nordsaarland derzeit noch nicht der Fall.
Aber warum gestaltet sich die Suche nach einem Träger als so herausfordernd? Vorgaben wie Mindestmengen, Ärztemangel, Personaluntergrenzen erschweren Krankenhäusern zunehmend ihre Arbeit. „Unser größter Feind für ein Krankenhaus im ländlichen Raum ist die derzeitige Gestaltung der Krankenhausfinanzierung", so Bernd Schröder. Krankenhäuser erhalten ihre Gelder aus einer dualen Finanzierung. Seit 1972 teilen sich also die Bundesländer und die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten. Während die Investitionskosten durch die Länder finanziert werden, kümmern sich die Krankenkassen um die laufenden Betriebskosten. „Die Landesregierungen müssen gewährleisten, dass die Krankenhäuser nötige Neubauten oder Erweiterungsbauten realisieren und nötige Großgeräte anschaffen können. Das steht im Krankenhausfinanzierungsgesetz", erklärt Schröder. Die Finanzierung von Seiten der Krankenkassen hingegen läuft über sogenannte Fallpauschalen. „Im ersten Moment denkt man, diese Fallpauschalen wurden eingeführt um die Abrechnungen zu vereinfachen. Aber da steckt eine seltsame Motivation dahinter." Die Fallpauschalen legen genau fest, welche Behandlungen in welcher Höhe honoriert werden. „Das, was in den kleinen Krankenhäusern quasi das Alltagsgeschäft darstellt, nämlich Dinge wie Grippe, Blinddarmreizung, Verstauchungen, einfache Brüche und so weiter, werden unter Wert entlohnt. Die Krankenhäuser kommen damit nicht auf ihre Kosten", so Schröder. Denn neben den Honoraren des medizinischen Personals müssen auch Fixkosten wie Strom, Heizung und sonstige Angestellte wie Hausmeister und Pförtner von diesen Geldern bezahlt werden. Auf der anderen Seite: „Wenn operiert wird, gerade aufwendige Operationen, und wenn teure Geräte eingesetzt werden, da werden die Krankenhäuser übermäßig entlohnt", sagt Schröder.
Fallpauschalen zerstören kleine Krankenhäuser
Zudem würden auch Regelungen der Mindestzahlen für bestimmte medizinische Leistungen das Überleben kleiner Krankenhäuser gefährden: „Wer nicht die entsprechende Mindestmenge an Fallzahlen in einem Bereich vorweisen kann, der muss die betreffende Leistung aus seinem Angebot streichen. Alles natürlich nur, um einen hohen Qualitätsstandard zu sichern", moniert Schröder. „Es leuchtet ein, dass hoch spezialisierte Fachabteilungen auf ihrem Gebiet bessere Leistungen erbringen als eine Abteilung mit breitem Aufgabenspektrum, wo dann für bestimmte komplexe Behandlungen die Routine und wohl auch die optimale Ausstattung fehlen. Daraus wird jedoch allzu rasch im Umkehrschluss gefolgert, dass kleine Kliniken überflüssig seien, weil von denen ja doch nichts Rechtes zu erwarten wäre."
Die Folge? Kleinere Kliniken können sich nicht mehr über Wasser halten und müssen schließen. „Schon bald nach Einführung der Fallpauschalen hat das Sterben kleiner Krankenhäuser eingesetzt und beschleunigt sich zusehends. Im ländlichen Raum machen sie alle zu mit der Zeit. Dillingen – Wadern – Ottweiler – Die Kette hat doch bereits angefangen!"
Auch eine Nordsaarlandklinik kann sich nur dann halten, wenn sie breit genug aufgestellt ist. „Ich bin optimistisch, dass wir ein Krankenhausangebot nach Wadern bekommen werden, aber denn möchte ich nicht, dass es nach einigen Jahren, in denen es hochgepäppelt wurde, auch wieder abwärts geht. Es sollte auch Bestand haben", so Schröder. Im Aktiva-Gutachten ist daher von einer 300 Betten starken Klinik mit elf Fachrichtungen die Rede, darunter eine Stroke Unit für Schlaganfall-Patienten, eine Konservative sowie eine Invasive Kardiologie. Das kostet: Die Ausgaben würden sich laut Gutachten alleine für den Bau einer solchen Klinik auf rund 82 Millionen Euro belaufen. Das ist nur dann machbar, wenn der potentielle Träger ein gewisses Eigenkapital mit in das Vorhaben einbringt. Ein weiterer Risikofaktor für einen möglichen Interessenten. Aufgrund dieser hohen Baukosten schlug der Aktiva-Gutachter auch die Möglichkeit vor, einen bereits vorhandenen Standort als Nordsaarlandklinik zu diskutieren. In Frage hierfür käme das Krankenhaus in Lebach. „Das ist allerdings nicht unser Thema, denn Lebach liegt nun einmal nicht im Nordsaarland. Nach der Schließung des Waderner Krankenhauses hat sich ja gezeigt, dass die Zahl der Patienten aus dem Raum Wadern – Weiskirchen – Nonnweiler im Lebacher Krankenhaus nicht zugenommen hat", merkt Schröder an.
Der Einsatz für eine gute medizinische Versorgung des Nordsaarlands geht für Bernd Schröder und seine Bürgerinitiative viel weiter als nur die Suche nach einem geeigneten Träger für eine Nordsaarlandklinik. Grundlegend müsste sich etwas ändern, damit der ländliche Raum nicht auf der Strecke bleibt. „Das deutsche Krankenhaussystem ist krank. Es wird immer teurer, gleichzeitig erfüllt es in der Breite seine Aufgaben immer schlechter und Leidtragende sind alle: Patienten, Ärzte, Pflegepersonal, Krankenhausträger, aber auch die Krankenkassen und mit ihnen die Beitragszahler", sagt Bernd Schröder. „Das derzeitige System der Krankenhausfinanzierung ist mit seinen Folgen ethisch nicht vertretbar, ordnungspolitisch gesehen ein Amoklauf und obendrein höchstunwirtschaftlich."