Der Einzelhandelsverband schlägt Alarm: Die Geschäfte sind zwar wieder offen, doch die Kunden sind zurückhaltend, die Umsätze lassen mehr als zu wünschen übrig. Geht es in den kommenden Monaten so weiter, befürchtet der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland, Stefan Genth, eine Pleitewelle.
Herr Genth, warum gehen die Menschen nicht mehr so gerne einkaufen wie vor den Corona-Maßnahmen?
Viele Menschen sind in ihrem Job auf Kurzarbeit gesetzt oder haben ihre Arbeitsstelle verloren. Andere fürchten, wenn die Krise weiter anhält, bald ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Das erzeugt Unsicherheit, die Verbraucherstimmung ist in einem historischen Tief. In solchen Zeiten sparen viele Verbraucher eher, als große Anschaffungen zu tätigen. Dazu kommt, dass für viele das Einkaufen mit Maske und auf Abstand eher unangenehm ist und für die meisten Kunden so keine angenehme Shopping-Atmosphäre aufkommt. Und nicht zuletzt fürchten viele Menschen die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus, wenn sie belebte Plätze und Geschäfte aufsuchen.
Waren die Corona-Maßnahmen ein Konjunkturprogramm für die Internethändler?
Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Zum einen geht die Gesundheit natürlich immer vor. Solange die Maßnahmen zum Gesundheitsschutz zwingend notwendig sind, muss das auch so umgesetzt werden. Zwar haben viele Kunden für sich den Online-Kanal zum Shoppen erkannt. Zum anderen war zu beobachten, dass auch viele Online-Händler Einbußen zu verzeichnen hatten. Denn die schlechte Konsumstimmung trifft auch den E-Commerce. Die Anschaffungsneigung der Verbraucher ist ja insgesamt über alle Vertriebskanäle hinweg im Keller. Fraglich ist aber, wie sich das Verbraucherverhalten jetzt nachhaltig verändert.
Die Kaufhäuser wurden wiedereröffnet, die 800-Quadratmeter-Regelung hat sich erledigt, warum aber sind die Öffnungszeiten flächendeckend verkürzt?
Viele Handelsunternehmen haben festgestellt, dass sich angesichts des vielerorts eher übersichtlichen Kundenaufkommens eine längere Öffnung nicht rechnet. Die Kosten für den Personaleinsatz sind dann schlicht zu hoch.
Wäre es besser, wenn die Geschäfte länger offen sind? Dann müssten die Leute nicht so lange Schlange stehen …
Schlangen vor den Geschäften sind nicht gleichbedeutend mit rentablen Umsätzen. Die Begrenzung der Kundenzahl auf einen Besucher pro zehn oder pro 20 Quadratmeter kann schnell einmal in Stoßzeiten zu Schlangen führen. Eine längere Öffnung der Geschäfte führt übrigens nicht zwangsläufig zu weniger Schlangestehen. Denn die Leute kommen eben dann verstärkt, wenn sie Zeit haben – und das ist eben oft nach der Arbeit, in der Mittagspause oder samstags. Das bekommen Sie auch nicht durch dann länger geöffnete Läden in den Griff.
Ist Verdi Schuld daran, wenn Händler durch den Sonntagsverkauf nicht wenigstens ein wenig nachholen können, was sie verloren haben?
Verdi sorgt mit seiner unverständlich harten Haltung bei den Sonntagsöffnungen dafür, dass die Nicht-Lebensmittelhändler auch nach der Corona-Krise nicht die Gelegenheit bekommen, wenigstens einige Umsätze wieder nachzuholen. Dabei geht es hier ja um die Arbeitsplätze der Gewerkschaftsmitglieder. Ich hoffe immer noch, dass wir hier zu einem Ergebnis mit Gewerkschaft und Politik kommen, das nach der akuten Krise auf einfache und unbürokratische Weise mehr Sonntagsöffnungen zulässt. Wenn Schutzmaßnahmen wie Maskentragen und Abstandhalten überflüssig werden, müssen die Händler, die das wollen, mit offenen Sonntagen Shopping-Events durchführen dürfen.
Wie würden Sie die aktuelle Situation im Einzelhandel beschreiben?
Viele Innenstädte leiden extrem unter der Corona-Krise. Und dabei spielt der Handel eine Schlüsselrolle: Stirbt der Handel, stirbt die ganze Innenstadt. Umfragen zeigen, dass der Hauptgrund für einen Besuch in der Innenstadt das Einkaufen ist. Wenn jetzt nichts passiert, könnten wir am Ende der Corona-Krise 50.000 Handelsstandorte in Deutschland verloren haben, viele davon in den Stadtzentren. Wir brauchen deshalb einen Innenstadtfonds, der unsere vitalen und attraktiven Zentren stärkt.
Könnte das auch das Ende von innerstädtischen Festen bedeuten?
Weihnachtsmärkte werden oft zu einem wesentlichen Teil vom Einzelhandel vor Ort mitfinanziert und initiiert. Wenn die Händler in Probleme kommen, werden sich das viele Kommunen nicht mehr leisten können. Überhaupt steht mehr auf dem Spiel als allein die Existenz der Handelsunternehmen. Die Händler investieren Jahr für Jahr mehr als eine Milliarde Euro in soziale und gemeinwohlorientierte Zwecke vor Ort. Vom Feuerwehrfest über den Sportverein bis hin zum Weihnachtsmarkt. Der Handel stärkt den sozialen Zusammenhalt und ist oft identitätsstiftend für ganze Regionen.