Der 1. FC Saarbrücken-TT hat durch den Gewinn der Meisterschaft die Kräfteverhältnisse im deutschen Tischtennis verändert. Das Team um Nationalspieler Patrick Franziska kann in den kommenden Jahren für die Bundesliga-Konkurrenz zum Maß der Dinge reifen.
Patrick Franziska gilt als ruhig, als beherrscht und als besonnen. Als sich aber die Siegerehrung für seinen 1. FC Saarbrücken-TT nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft scheinbar unnötig verzögerte, pfiff „Franz“ im Hochgefühl des ersehnten Triumphes mit dem Schalk im Nacken auf das Protokoll, nahm Verbandspräsident Michael Geiger kurzentschlossen das Paradekissen mit den Medaillen für die Champions aus der Hand und verteilte die Plaketten feixend persönlich an seine Kollegen und Erfolgstrainer Slobodan Grujic.
„Diese Meisterschaft bedeutet uns unendlich viel“, beschrieb Franziska nach dem 3:1-Finalerfolg in Frankfurt gegen den entthronten Titelverteidiger TTF Ochsenhausen sichtlich berührt den Stellenwert des Titelgewinns: „Wir waren schon einige Male sehr nahe dran, aber vielleicht noch nicht wirklich so weit, doch nun sind wir buchstäblich reif für den Titel gewesen.“
In der Tat führte in der abgelaufenen Saison an den Saarländern kein Weg vorbei. Die Hauptrunde schlossen Franziska und Co. nach der „Herbstmeisterschaft“ als Spitzenreiter ab, im Halbfinale hatte der frühere Meister Werder Bremen mit 0:3 nicht den Hauch einer Chance, und auch im Endspiel ließ Grujics Team wie schon bei seinen beiden Erfolgen gegen die Oberschwaben in der Punkterunde kaum einen Zweifel an einer erfolgreichen Revanche für die Finalniederlage im Vorjahr aufkommen.
Der Unterschied zu 2019 hat einen Namen. Shang Kun. Franziskas stabile Vorstellungen auf hohem Niveau alleine hätten dem früheren Doppel-Europameister und seinen Kollegen Darko Jorgic, Tomas Polansky und Cristian Pletea vermutlich wieder nicht zum ersehnten Titelgewinn gereicht, sodass erst die Verpflichtung des 28 Jahre alten Chinesen im vergangenen Sommer den FCS in der Spitze so breit machte, dass der Traum von der Meisterschaft Wirklichkeit werden konnte.
Ein persönlicher Traum wurde für Trainer Grujic wahr
Nicht von ungefähr blieb im Endspiel Shang der entscheidende Punkt vorbehalten. Der Sieg des dreifachen Medaillengewinners bei den nationalen Meisterschaften der Tischtennis-Großmacht China gegen Ochsenhausens brasilianischen Weltranglisten-Sechsten Hugo Calderano bedeutete verdientermaßen die Krönung einer famosen Saison, in der Shang auf Anhieb mit einer Bilanz von 20:4 Siegen zum erfolgreichsten Bundesliga-Spieler noch vor dem Düsseldorfer Idol Timo Boll (16:0 avancierte. „Als wir nach seiner Ankunft gesehen haben, wie gut Kun ist, haben wir felsenfest an die Meisterschaft geglaubt. Kun hat sich dann auch super integriert und ist zu einer Bank für uns geworden“, lobte Franziska seinen Teamkollegen.
So viel Achtung hat Shang sich in nur wenigen Monaten an der Saar erarbeitet, dass sich der etatmäßige „Leader“ Franziska für seine wegweisenden wichtigen Erfolge in den Eröffnungseinzeln des Halbfinales gegen den schwedischen Vizeweltmeister Mattias Falck und im Endspiel ebenfalls gegen Calderano selbst lediglich als „Türöffner für Kun“ bezeichnete. Die beiden Macher des Erfolgs, der übrigens der erste sportlich ausgespielte Meistertitel in Deutschland unter Corona-Vorzeichen gewesen ist, waren aber im Hintergrund Sportchef Erwin Berg und Chefcoach Grujic. Allen Dämpfern und Rückschlägen seit dem ersten Titelgewinn des Clubs 2012 im Pokal zum Trotz lebte Berg seinen Traum von der Meisterschaft Jahr für Jahr weiter, verstärkte das Team sukzessive und verbesserte dabei gleichzeitig die Infrastruktur des Clubs Schritt für Schritt. Inzwischen gilt Saarbrückens Trainingsgruppe als eine der stärksten Übungsgemeinschaften in ganz Europa. Deswegen wussten Grujic und seine Spieler im Moment des Erfolgs nur zu genau, wem sie mit mehreren Luftwürfen zu danken haben. „Ich bin überglücklich“, sagte Berg selbst mit feucht schimmernden Augen und dem Meisterpokal im Arm immer wieder nur. Auch Grujic bedeutet der Triumph sehr viel. „Als Spieler und Trainer habe ich schon alles gewonnen. Nur deutscher Meister war ich noch nie, deswegen war das mein ganz persönlicher Traum“, sagte der Erfolgscoach.
Sein Anteil an Saarbrückens wahr gewordenem Tischtennis-Märchen, durch das der FCS endgültig aus dem langen Schatten des vor mehr als 30 Jahren in Deutschland dominierenden ATSV Saarbrücken heraustrat, ist aus Sicht von Bundestrainer Jörg Roßkopf gar nicht hoch genug einzuschätzen. „Bobo ist ein sehr gute Trainer“, meint der frühere Doppel-Weltmeister, „er lässt sich von Niederlagen nicht irritieren, sondern arbeitet konsequent an der Verbesserung seiner Spieler weiter.“
Für Deutschlands „Mr. Tischtennis“ könnte Saarbrückens Meisterschaft in einigen Jahren rückblickend als ein Wachwechsel und Beginn einer neuen Ära bewertet werden. „Ich denke, Saarbrücken wird auch in Zukunft eine starke Mannschaft haben. Shan und ‚Franz‘ sind Topleute, die aber vor allem auch gern in der Mannschaft spielen, und besonders Jorgic wird sich noch weiterentwickeln. Deswegen haben sie alle Möglichkeiten, wenn es um Titel geht“, sagte Roßkopf dem neuen Champion eine erfolgreiche Zukunft voraus.
Auch Franziska, der vor seinem Wechsel an die Saar schon zweimal mit Borussia Düsseldorf an der Seite von Boll die Meisterschaft gewonnen hatte, sieht das Ende der Fahnenstange für seine Mannschaft noch nicht erreicht. Seiner Meinung nach wird zunächst wichtig sein, „dass wir hungrig bleiben“. Doch daran ließ der designierte Nachfolger der deutschen Asse Boll und Dimitrij Ovtcharov bereits bei seinem persönlichen Ausblick auf die kommende Saison kaum Zweifel – nicht weniger als das „Double“ soll es werden: „Es ist doch klar, dass wir diesen Titel verteidigen wollen. Außerdem wollen wir im Pokal angreifen, da haben wir nach unserer Halbfinal-Niederlage in dieser Saison noch etwas gutzumachen.“