Kurz vor den Sommerferien haben im Saarland Regierung und Landtag über Milliardensummen beraten und beschlossen. Paradigmenwechsel in etlichen Bereichen zeigen die Dimensionen, die die Bewältigung der Pandemie- und Lockdown-Folgen erfordert.
Es sind Summen, die einen schwindlig werden lassen, sagt Saar-Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Dabei sind diese Gelder, die im Nachtragshaushalt beschlossen und als Eckpunkte für die Jahre 2021/2022 vorgesehen sind, nur die in Zahlen gegossene Situationsbeschreibung am Ende des halben Jahres, das so ziemlich alles verändert hat, was zuvor an Plänen geschmiedet und worauf hingearbeitet wurde. Die Krise erweise sich als „Problemverdeutlicher und Problembeschleuniger", stellt Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) fest, die zugleich darauf verweist, dass das Saarland stärker betroffen sei als andere Regionen. Die Situation des Landes allein unter den Aspekten der Corona-Folgen zu betrachten, ist nur ein Teil der Wahrheit, aber einer, der die bereits offenkundigen kritischen Entwicklungen beschleunigt.
Der massive Brocken der Herausforderungen liegt auf drei Säulen:
Schon vor der Krise war klar, dass zentrale Teile der tragenden Wirtschaftsstruktur vor tiefgreifenden Umbrüchen stehen. Das Wort von der „Transformation" bedeutet eben nichts anderes, als einen „fundamentalen und dauerhaften Wandel". In den bestehenden Strukturen „kommen die Einschläge näher", hieß es bereits gegen Ende vergangenen Jahres, als noch keiner den Begriff „Corona-Pandemie" kannte. Die kritische Situation bei Automobil, Zulieferer und Stahl war längst zu einem existenziellen Thema geworden. Beim Brexit bestanden noch leise Hoffnungen, es könnte zu einem geregelten Zustand kommen. Das Verhältnis zum langjährigen Haupt-Exportpartner der Saar-Wirtschaft hatte aber schon längst mehr als nur ein paar Schrammen abbekommen. Und dass ein US-Präsident mit Pfälzer Wurzeln dem Exportland Saarland das Leben derart schwer machen und sich das im Jahr seiner angestrebten Wiederwahl noch verschärfen würde, war auch absehbar.
Das Saarland ist zwar in der Lage, Antworten darauf zu formulieren, aber die Umsetzbarkeit wird nicht politisch im Regierungsviertel am Saarufer in Saarbrücken entschieden. Und auch nicht unternehmerisch, weil dort keine Konzernzentralen ansässig sind. All das sind keine Neuigkeiten, aber in der Schärfe eben durch den „Beschleuniger und Verdeutlicher" Pandemie-Krise zugespitzt.
Paradigmenwechsel in der Krise
Der zweite Brocken sind die Folgen der Bemühungen, die die Schuldenbremse erzwungen hat. Massiver Investitionsstau an fast allen Ecken und Enden. Der Lohn für den immer enger geschnallten Gürtel lag im letzten Jahr eigentlich schon auf dem Tisch, der Saarlandpakt für die Kommunen und ein Jahrzehnt der Investitionen stehen als die großen Projekte im Raum. Und – Stand heute – will die Landesregierung an diesen Pfeilern des zweiten Teils der Legislaturperiode auch nicht rütteln.
Schließlich die Pandemie, deren wirkliche Folgen derzeit niemand seriös einschätzen kann. Zu unterschiedlich die Signale. Am gleichen Tag, an dem die Wirtschaftsweisen ihre ohnehin düstere Prognose für dieses Jahr von minus 5,4 auf minus 6,5 nach unten korrigierten, spricht die IHK Saar von einer „Bodenbildung" in der Saar-Wirtschaft, weil sich der Erwartungsindex zum zweiten Mal hintereinander wieder „leicht verbessert" habe. Wobei dieser Index insgesamt aber weiter „im tiefroten Bereich" liegt.
Extremer Nachholbedarf, einschneidender Strukturwandel und noch nicht sicher abschätzbare Lockdown-Folgen treffen zudem auf eine trotz Saarlandpakt äußert kritische Finanzsituation der Kommunen. Der zähe Kampf und eine Altlastenlösung ist je nach Sichtweise vertagt (zugunsten anderer Hilfen des Bundes für Kommunen) oder erledigt (wegen dieser Hilfen).
Der einstimmige Beschluss im Landtag über einen Rekord-Nachtragshaushalt von 2,1 Milliarden Euro signalisiert die Bereitschaft zu gemeinsamer Verantwortung in der bislang größten Krise im durchaus krisenerprobten Land. Jeder dritte Arbeitnehmer sei von den Auswirkungen betroffen, sagt Ministerpräsident Hans.
Keine Normalität ohne Impfstoff
Auf große Herausforderungen wegen der bekannten Strukturwandelsituation war man eingestellt. Auch darauf, dass sich in diesem Jahr der Konjunkturhimmel nach den letzten Boomjahren deutlich verdüstern würde. Corona hat das Land „zum maximal schlechtesten Zeitpunkt" getroffen, stellt die Wirtschaftsministerin fest, zugleich aber auch: „Es ist eine Chance, aus der Krise was zu machen."
In der Tat steckt in den jetzigen Finanzplanungen vieles, das zu Normalzeiten nur schwer durchzusetzen gewesen wäre: Lehrer- und Polizeistellen, Krankenhausfinanzierung, ÖPNV-Investitionen, Digitalisierung. Wobei das Land trotz dieser Anstrengungen bei den Pro-Kopf-Investitionen immer noch im Vergleich der West-Länder weit hinterherhängt, kritisiert Oppositionsführer Oskar Lafontaine, der ansonsten anerkennende Worte für die Bemühungen der Landesregierung findet. Die wiederum scheint vieles im regen Kontakt mit dem ehemaligen Ministerprädienten des Landes diskutiert zu haben, wie sich umgekehrt aus anerkennenden Worten des Ministerpräsidenten für den Oppositionsführer schließen lässt. Vielleicht eben auch Ausdruck für eine der großen Stärken des Landes, in Krisen erst mal – ungeachtet sonstiger Gegensätze – zusammenzuhalten.
Über allem steht aber eine Unsicherheit, die Rehlinger so formuliert: „Solange kein Impfstoff gefunden ist, ist die Pandemie nicht überwunden."