Am 8. Juli 1990 wurde Deutschland zum dritten Mal Fußball-Weltmeister – dank eines Elfmetertores von Andreas Brehme im Finale gegen Argentinien und eines überragenden Antreibers Lothar Matthäus im gesamten Turnierverlauf.
Es lief die 85. Spielminute. Es war exakt 21.40 Uhr, als die Zeit im römischen Olympiastadion am Abend des 8. Juli 1990 im Finale der 14. Fußball-Weltmeisterschaft einen Augenblick stillzustehen schien. Selbst die Zuschauer in der mit rund 74.000 Besuchern restlos ausverkauften Arena hielten vor Spannung ebenso wie die weltweit rund 1,5 Milliarden Menschen vor den Bildschirmen den Atem an. Alle Blicke waren auf die beiden Hauptdarsteller des unmittelbar bevorstehenden Strafstoß-Duells gerichtet. Die Argentinier und alle übrigen Anhänger der „Albiceleste" hofften, dass Keeper Sergio Goycochea seinem jungen Heldenruf als „Elfmeterkiller", den er sich durch jeweils zwei parierte Schüsse vom Punkt bei den erst im Elfmeterschießen entschiedenen Viertel- und Halbfinalpartien gegen Jugoslawien und Italien erworben hatte, nochmals gerecht werden konnte. Ganz Fußball-Deutschland vor den Mattscheiben und die Mehrheit der Stadionbesucher setzten ihr Vertrauen auf die Treffsicherheit des deutschen Linksverteidigers Andreas Brehme.
Brehme war von Teamchef Franz Beckenbauer vor dem Finale als einer von drei potenziellen Strafstoß-Schützen benannt worden und hatte sich sofort nach dem Pfiff des mexikanischen Schiedsrichters Edgardo Codesal Mendez selbstbewusst zur Ausführung entschlossen. Zum einen, weil Rudi Völler gefoult worden war und einer alten und weit verbreiteten Fußballerweisheit nach der Gefoulte nicht selbst schießen sollte. Aber auch weil der in diesem Turnier überragende Lothar Matthäus sich nach einem Schuhwechsel in der Halbzeitpause in den neuen Tretern nicht sicher genug fühlte.
Brehme wartete in dieser 85. Minute geduldig und hochkonzentriert rund 15 Meter vom Elfmeterpunkt entfernt. Seit der Elfmeter-Entscheidung des Schiris waren bereits zwei Minuten vergangen. In dieser Zeit hatten die argentinischen Spieler rund um Diego Maradona zunächst den Unparteiischen wild protestierend umlagert und den bereits bereitliegenden Ball wieder weggekickt. Dann endlich durfte Brehme antreten. Mit seinem rechten Fuß versenkte er den Ball präzise und unhaltbar im linken unteren Toreck.
Gesamtes Finale war Spiel auf ein Tor
Mit dem Sieg in der magischen Nacht von Rom katapultierte sich Deutschland, das in Rom zum dritten Mal in Folge ein Weltmeisterschafts-Endspiel erreicht hatte, mit insgesamt drei Titeln an die Seite der ebenso erfolgreichen Fußball-Mächte Brasilien und Italien. Der Entscheidung von Referee Codesal Mendez, auf den Punkt zu zeigen, wird bis heute in Argentinien heftig kritisiert. Selbst in den Annalen des Weltfußball-Verbandes Fifa ist noch immer von einem „sehr umstrittenen Elfmeter" die Rede. Die deutschen Beteiligten äußerten im Nachhinein durchaus Verständnis für die argentinische Sichtweise, weil es sich ihrer Meinung nach um einen Elfer gehandelt hatte, den man zwar geben konnte, aber nicht unbedingt geben musste.
Gleichzeitig verwiesen sie aber auch auf eine andere Szene in der 58. Minute, als Abwehrchef Klaus Augenthaler nach einem Eckball den argentinischen Torwart schon umkurvt hatte und von diesem klar von den Beinen geholt worden war. Da war die Pfeife von Codesal Mendez noch still geblieben, der spätere Pfiff des Schiris wurde daher allgemein als sogenannte Konzessionsentscheidung angesehen. Viel mehr, als sein Bein etwas auszustrecken, über das der heranspurtende Rudi Völler nach einem Matthäus-Pass bereitwillig fiel, hatte der argentinische Abwehrspieler Roberto Néstor Sensini tatsächlich in der entscheidenden Szene nicht gemacht. „Da hat der Rudi ein wenig nachgeholfen", lautete denn auch Beckenbauers süffisanter Kommentar.
Unabhängig davon waren sich sämtliche Beobachter darüber einig, dass Deutschland als bestes Team des Turniers der wohlverdiente und würdige Weltmeister war. Seiner Favoritenrolle wurde Beckenbauers Mannschaft im Finale voll und ganz gerecht. Es entwickelte sich von Anfang an ein Spiel auf ein Tor – auf das der Argentinier. Die Torschuss-Statistik mit 23:1 zugunsten Deutschlands sprach Bände.
Vier argentinische Spieler gesperrt
Die Albiceleste hatten in 90 Minuten keine einzige echte Torchance, ein Maradona-Freistoß in Strafraumnähe aus der 38. Minute flog meilenweit über den von Bodo Illgner gehüteten deutschen Kasten. Trotz drückender Überlegenheit gelang aber auch dem DFB-Team kein Treffer. Die Stürmer Rudi Völler und Jürgen Klinsmann waren von den argentinischen Defensivkünstlern weitestgehend neutralisiert worden, und auch Antreiber Lothar Matthäus kam an diesem Abend ausnahmsweise mal nicht in gewohnter Manier zum Zuge. Deshalb mussten die deutschen Abwehrspieler vor dem gegnerischen Tor in die Bresche springen. Allen voran Guido Buchwald, der als Sonderbewacher von Diego Maradona diesen nicht nur alt aussehen ließ, sondern mit einigen Tempovorstößen für einige Gefahr vor Goycocheas Kasten sorgte.
Nach der verdienten Roten Karte für Pedro Monzón nach einem üblen Foul an Klinsmann in der 64. Minute machte Argentinien hinten endgültig dicht. Ohnehin hatte das ersatzgeschwächte Team, das im gesamten Turnierverlauf vor allem wegen Maradonas weitgehend vermisster Geniestreiche nur grundsolide Kost geboten und sogar sein Auftaktspiel gegen Kamerun verloren hatte, fast keine Offensivbemühungen gezeigt. Nach vier (!) Sperren aus dem Halbfinale war so gut wie kein Stürmer mehr vorhanden. Vor allem den Ausfall des starken Claudio Caniggia konnten die Argentinier nicht kompensieren.
Als kurz vor Schluss auch noch mit Gustavo Dezotti wegen Tätlichkeit an Jürgen Kohler ein zweiter Argentinier vom Platz flog, konnte das deutsche Team die letzten Minuten gegen den dezimierten Gegner locker herunterspielen. Während das Team nach dem Schlusspfiff von 40.000 nach Rom angereisten Fans und rund 30 Millionen deutschen Fernsehzuschauern gefeiert wurde, schritt Beckenbauer gedankenversunken in stiller Freude über den Rasen des Olympiastadions. Nach dem Brasilianer Mario Zagallo war er der zweite Fußball-Held, dem ein WM-Sieg sowohl als Spieler als auch als Trainer gelungen war.
Dabei hatte Deutschland nur mit reichlich Glück und dank eines siegbringenden Last-Minute-Treffers von Thomas Häßler im letzten Qualifikationsspiel gegen Wales als bester Gruppenzweiter überhaupt die Reise nach Italien antreten können. Die WM-Spiele in Italien wurden für das deutsche Team vor allem in Mailand dank des Inter-Trios Brehme, Matthäus und Klinsmann zu regelrechten Heimspielen.
Der überzeugende 4:1-Auftakterfolg in der Gruppenphase gegen das als Geheimfavorit gehandelte Jugoslawien löste eine wahre Euphorie im mit fünf Italien-Legionären bestückten Team aus. Lothar Matthäus zeigte in diesem Match seine wohl beste Leistung überhaupt in der Nationalmannschaft und hatte auch in der Folge als unbestrittener Anführer auf dem Platz einen immensen Anteil am späteren Titelgewinn.
Halbfinal-Krimi gegen England
Nach einem lockeren 5:1-Sieg gegen Außenseiter Vereinigte Arabische Emirate und dem 1:1-Unentschieden gegen Kolumbien traf Deutschland im Achtelfinale auf den Erzrivalen Niederlande. Es sollte ein Meilenstein auf dem Weg zum Titel werden. Die unrühmliche Spuckattacke von Frank Rijkaard gegen Rudi Völler und die Wut darüber, dass der unschuldige Völler in dieser Szene mit vom Platz gestellt worden war, führten dazu, dass jeder Spieler noch ein paar Prozent mehr aus sich rausholte. Am Ende stand ein 2:1-Erfolg gegen den ewigen Rivalen, zu dem der überragende Jürgen Klinsmann einen Treffer beisteuerte.
Im Viertelfinale gegen die Tschechoslowakei mühte sich die deutsche Auswahl trotz Überzahl zu einem knappen 1:0-Arbeitssieg nach Elfmetertor von Lothar Matthäus. Im anschließenden Halbfinale gegen die Engländer stand es nach wirklich 120 atemberaubenden Minuten 1:1-Unentschieden. Im fälligen Elfmeterkrimi versagten schließlich den Engländern Stuart Pearce und Chris Waddle die Nerven. Deutschland stand zum dritten Mal in Folge im Finale – und endlich klappte es mit dem ersehnten dritten Titel.