Die Ausweitung der Kampfzone ist für John Malkovich kein Problem. Ob Theater oder Kino, der Charakterdarsteller ist immer ein Ereignis. Hin und wieder stellt er sein einzigartiges Talent auch den neuen Streaming-Medien zur Verfügung. In der HBO-Serie „The New Pope" stiehlt er Jude Law die Schau, auf Netflix ist er in „Space Force" zu sehen.
Mr. Malkovich, Sie scheinen keine Berührungsängste mit Hollywoods Antichrist – den Streaming-Platt-formen – zu haben.
Nein, wieso sollte ich?
Machen die neuen Player wie Netflix, Amazon und Co. dem klassischen Hollywood-Kino nicht lang-sam den Garaus?
Das finde ich nicht. Ich gehe dahin, wo es gute Arbeit für mich gibt. Abgesehen davon habe ich auch schon in der Vergangenheit nur selten mit den großen Hollywood-Studios zusammengearbei-tet, sondern meistens mit Independent-Produktionsgesellschaften. Und mit „The New Pope", der neuen Staffel von Paolo Sorrentino, bin ich sehr zufrieden. Das war eine ganz besondere Erfahrung.
Wie war es für Sie – als eingeschworener Atheist – den Papst zu spielen?
Was soll ich dazu sagen? Ich bin Schauspieler. Ich spiele Rollen. Ich bemühe mich, das so gut zu tun, wie ich kann.
Sie glauben auch daran, dass der Mensch eine Seele hat. Ist das nicht ein Widerspruch?
Finde ich nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir so etwas wie eine Seele haben. Ob sie weiter existiert, wenn unser Körper tot und begraben ist – das ist eine andere Frage. Vielleicht ruht sich die Seele dann nur aus. Oder ist endlich von unserem Körper befreit. Oder wird wiedergeboren. Ich habe keine Ahnung.
Was ist denn Ihre Hauptantriebskraft im Leben?
Am wichtigsten in meinem Leben ist meine Familie. Dann eine Reihe von neuen Projekten, die mich sehr interessieren, sei es im Film oder am Theater oder im Fernsehen. Mich motiviert Arbeit. Interessante Arbeit. Bei der ich noch etwas lernen kann. Und ich mache gern Dinge, die neu und aufregend sind. Und natürlich inspirieren mich auch interessante Menschen, Kollegen, mit denen ich etwas gemeinsam realisieren kann. Und last but not least: meine generelle Lust auf das Leben.
Sie sind ein komplexer Schauspieler, der viele höchst unterschiedliche Rollen gespielt hat. Trotzdem werden Sie meistens auf Ihre Rollen in Filmen wie „Gefährliche Liebschaften", „In the Line of Fire" oder „Con Air" angesprochen, in denen Sie die Bösen spielen …
Das ist die Crux meiner Filmkarriere.
… was Ihnen aber andererseits auch eine Art Kultstatus verschafft hat. Warum stört Sie eigentlich dieses ikonografische Image? Dafür haben Sie doch hart gearbeitet.
Mag sein. Aber dieses Image hat sehr wenig mit mir zu tun. Es ist leider eine Tatsache, dass mich die Zuschauer eher als Bösewicht oder Killer sehen wollen als in anderen Rollen. Sie interessieren sich eben nicht sehr dafür, wenn ich den Maler Klimt spiele, den Kunstdieb in einer romantischen Komödie oder Athos, einen der Musketiere. Ich weiß eigentlich gar nicht, woher die Faszination der Leute für schlechte Menschen herkommt.
Weil schlechte Menschen eben viel interessanter sind als gute? Einem explodierenden Auto zuzuschauen ist doch viel aufregender als einem Auto, das jemand einparkt.
Ja, da haben Sie wohl recht! Außerdem habe ich den leisen Verdacht, dass die Mehrheit der Leute, die sich solche Filme anschauen, es auch deshalb tun, weil sie selbst gern mal so richtig böse und genauso gemein sein würden wie diese Filmfiguren.
Was spricht dagegen Mord-Fantasien im Kino auszuleben? Ist doch ziemlich harmlos.
Ja, sicher. Ich weiß noch sehr genau, dass ich einmal ein Gespräch mit Martin Scorsese hatte, der sehr lange darüber nachdachte, ob er mich in seinem Film „Die letzte Versuchung Christi" als Jesus besetzen sollte oder nicht. Er konnte sich einfach nicht entscheiden, ob ich Jesus bin – oder Judas. Ich sagte zu ihm: „Marty, mach dir nichts draus: Genau das haben sich meine Eltern auch sehr oft gefragt."
„Ich fühle mich oft zu Charakteren hingezogen, die einen Mangel an Menschlichkeit haben", sagten Sie mal. Spielten Sie deshalb gern den Filmmogul, der unverkennbar Harvey Weinsteins Züge trägt?
(lacht) Nein, das ist ganz gewiss nicht der Grund. Der Regisseur David Mamet fragte mich schlicht, ob ich in seinem neuen Theaterstück „Bitter Wheat" Harvey Weinstein spielen wollte. Ich habe das Stück gelesen und zugesagt. Es ist eine fantastische Rolle. Das Stück ist witzig, intelligent und sehr gut erzählt. Für einen Schauspieler ein Fest! Die Aufführungen im Londoner Garrick Theatre waren gut besucht.
Was halten Sie denn von der #MeToo-Debatte?
Schwieriges Terrain.
So wichtig wie sie ursprünglich war, so sehr verkam sie doch langsam zu einer Art Hexenjagd. Ihr Kollege Kevin Spacey wurde öffentlich geächtet und seine Karriere total ausradiert.
Dazu kann ich nichts sagen, da ich den Sachverhalt nicht kenne. Ich weiß überhaupt nichts über Kevin Spacey und auch nicht von den anderen Fällen.
Eine Vergewaltigung ist eine kriminelle Tat, die durch ein Gericht hart bestraft werden sollte. Dafür gibt es doch Gesetze.
Natürlich. Das sehe ich genauso. Aber leider kann man Leute nicht davon abhalten, Klatsch zu verbreiten oder überall ihren Senf dazuzugeben, obwohl sie nicht die blasseste Ahnung haben. Das gab es natürlich schon immer. Es ist nur leider durch die sogenannten sozialen Medien extrem schlimmer geworden. Etliche dieser Äußerungen sind superbösartig und sogar verleumderisch. Und selbst wenn eine Beschuldigung sich als unwahr herausstellt – es bleibt doch immer etwas an einem kleben.
Sie spielen darauf an, dass Sie von der französischen Tageszeitung „Le Monde" auf der Titelseite als „größter Steuerbetrüger Frankreichs" diffamiert wurden.
Ich habe gegen „Le Monde" auf Verleumdung geklagt und gewonnen. Aber sie haben sich bis heute weder bei mir entschuldigt noch eine Gegendarstellung gedruckt. Das hätten sie ohne Weiteres tun können. Nicht nur um meine Reputation wiederherzustellen, sondern auch die ihrer Zeitung – gegen die ich im Grunde überhaupt nichts habe – und der vielen feinen Journalisten, die dort arbeiten. Sie haben es nicht getan. Diese Leute haben gar keine Vorstellung davon, welchen Schaden sie mit solchen Verleumdungen einer Person zufügen können, was ich total wahnsinnig finde!
Bei unserem letzten Treffen sagten Sie, die vornehmsten Qualitäten eines Mannes wären Neugier aufs Leben, Selbstbewusstsein und die Souveränität, mit der er das Leben meistert. Und Sie belächelten die Gier mancher Männer, sich – eben auch sexuell – ständig beweisen müssen.
Ich erinnere mich dunkel. Dazu stehe ich übrigens immer noch.
Ich möchte Ihnen widersprechen: Ein Mann muss sich sehr wohl immer wieder beweisen. Wie übrigens auch ein Künstler. Wie Mick Jagger so richtig sagte:
„Man ist immer nur so gut wie das nächste Konzert!"
Das stimmt natürlich. Was ich damit meinte, war, dass man sich nicht anderen beweisen müssen sollte – sondern nur sich selbst. Aber ich verabscheue den Show-off. Das Protzen mit Reichtum, Status oder Erfolg. Was mich und meine Arbeit betrifft, da bin ich mittlerweile ziemlich abgeklärt: Entweder man schätzt das, was ich mache, oder eben nicht. Beides geht für mich völlig in Ord-nung. Ich habe meine eigenen Standards, meine eigenen Methoden, um zu beurteilen, ob ich meine persönlichen Ziele erreicht habe oder nicht. Ich bin auch jemand, der nicht oft zurückschaut. Ich lebe in der Gegenwart und interessiere mich sehr für die Dinge, die als Nächstes passieren. Darauf konzentriere ich mich.
Der Theater-Autor Thornton Wilder fragte mal: „Wer versteht schon den Sinn des Lebens?" Seine Antwort: „Heilige und Dichter – vielleicht einen Moment lang." Gilt das auch für John Malkovich?
(lacht) Nein, das wäre zu schön. Das Zitat stammt aus „Our Town", einem meiner Lieblingstheaterstücke. Ich stimme Mr. Wilders Diagnose natürlich voll und ganz zu.
Andererseits: Wir alle verstehen doch im Laufe unseres Lebens das ein oder andere.
Wenn auch meist nur für ein paar Augenblicke. Ganz wenige von uns für Minuten. Das ist bei Licht betrachtet eigentlich sehr traurig, aber dann auch wieder sehr menschlich. Und sehr schön, melancholisch und tragisch. Weil es diese Momente der Klarheit eben so besonders macht.
„Siege sind eine Illusion für Philosophen und Narren." Stimmen Sie dem zu?
William Faulker sagt das in seinem Roman „Schall und Rauch". Die komplette Passage geht übrigens so: „Keine Schlacht wird je gewonnen. Sie wird nicht einmal geschlagen. Auf dem Schlachtfeld offenbart sich dem Menschen nur der Wahnsinn und die Verzweiflung. Siege sind eine Illusion für Philosophen und Narren." Letzteres kann ich also voll und ganz unterschreiben.
Trotzdem haben Sie in Ihrem Leben doch gesiegt – oder etwa nicht?
Sicher hatte ich auch ein paar Siege. Aber die sind ganz selten von Dauer. Doch bevor wir sterben, haben wir die Möglichkeit, das Leben zu erfahren, zu genießen. Und das ist doch ein großes Glück, jedenfalls für die meisten von uns. Und trotzdem endet das Leben nicht mit einem Sieg. Sondern mit dem Tod. Ich persönlich lege den Schwerpunkt jedenfalls eher darauf, dass ein Künstler die Pflicht hat, die Menschen daran zu erinnern, was das Leben eigentlich ausmacht.
Und das wäre?
Mitleid haben und Erbarmen. Die Opfer, die jeder von uns bringt. Leidenschaft und Liebe. Die Herrlichkeit am Leben zu sein. Es gibt so viele Facetten des Lebens. Vor allem Dichter können doch auch die Säulen sein, auf denen die Menschheit stehen kann.
Hilft Ihnen die Kunst mit Ihrem Leben besser zurechtzukommen? Oder ist sie nur eine wunderschöne Ablenkung?
Das ist eine großartige Frage! Selbst wenn die Künste nur eine wunderbare Ablenkung wären – das wäre für mich völlig in Ordnung. Mir hat die Beschäftigung mit Kunst in meinem Leben immer geholfen. Mehr noch: Ich habe darin Trost gefunden. Wenn das Leben uns die Antwort darauf gibt, wie wir leben sollen, dann lernen wir über die Kunst sicher viele der Antworten, die wir überhaupt jemals erhalten können.