Stabhochsprung war immer schon spektakulär. Durch die beiden Weltrekorde des Schweden Armand Duplantis ist die Aufmerksamkeit für die Disziplin nun noch einmal gestiegen. Der 20-Jährige steht schon jetzt in einer Reihe mit den ganz großen Legenden der Leichtathletik.
In Lausanne haben sie aus der Not eine Tugend gemacht. Eigentlich findet in der Schweiz mit dem „Athletissima" alljährlich eines der besten Leichtathletik-Events des Jahres statt, das auch ein fester Bestandteil der Diamond League ist, der weltbesten Meeting-Serie. Nachdem deren Saison allerdings durch das Coronavirus kräftig durcheinandergewirbelt wurde, entschieden sich die Organisatoren in Lausanne stattdessen für eine Alternative. Anstelle eines Voll-Meetings findet in diesem Jahr nur ein Stabhochsprung-Wettbewerb statt – der aber hat es in sich. Das Preisgeld ist mit 300.000 Franken, umgerechnet 281.000 Euro, enorm und in beiden Geschlechtern alles am Start, was in dieser Disziplin Rang und Namen hat.
Auch der schwedische Weltrekordhalter Armand Duplantis gibt sich die Ehre. Man kann sogar davon ausgehen, dass die Macher sich überhaupt erst wegen ihm dafür entschieden haben, in diesem Jahr ganz auf den Stabhochsprung zu setzen. „Er ist der Grund, warum diese Veranstaltung so groß wird", meinte sein Manager Daniel Wessfeldt in der schwedischen Zeitung „Aftonbladet". Dank Duplantis ist das Stabhochspringen aktuell die aufregendste Disziplin in der Leichtathletik. So war es kein Zufall, dass die Stabhochspringer vorangingen, um die Sportart nach Corona aus dem Lockdown zu führen.
Bei den „Impossible Games" Mitte Juni gewann Duplantis im leeren Olympiastadion von Oslo gegen die beiden Norweger Pål Haugen Lillefosse und Simen Guttormsen sowie gegen den Franzosen Renaud Lavillenie, der auf seiner Heimanlage antrat und per Video dazugeschaltet wurde. Zuvor waren er und Duplantis bereits beim „Ultimate Garden Clash" angetreten, an dem sich auch Weltmeister Sam Kendricks (USA) beteiligte. Alle drei Athleten traten zu dem Fern-Wettkampf jeweils auf ihren Sprunganlagen im heimischen Garten an. Am Ende teilten sich Duplantis und Lavillenie den Sieg bei dieser Show-Veranstaltung, die innerhalb von 30 Minuten die meisten Fünf-Meter-Sprünge schafften: jeweils 36. Auch hierzulande gab es am 12. Juni mit der „Flight Night" im Düsseldorfer Autokino ein spektakuläres Event. Dabei sorgten die 500 Zuschauer in ihren Fahrzeugen mit Warnblinkern, Abblendlicht und Scheibenwischern für eine ganz besondere Atmosphäre bei diesem ersten deutschen Leichtathletikwettkampf vor Publikum seit dem Corona-Ausbruch.
281.000 Euro Preisgeld
Der Stabhochsprung zählte auch vorher schon zu den spektakulärsten Disziplinen dieses Sports. Elegant, technisch anspruchsvoll und auch ein bisschen gefährlich. Doch mit den Höhenflügen von Duplantis in diesem Frühjahr ist die Begeisterung für die Stabartisten noch einmal spürbar gestiegen. „Es gibt eine wachsende Nachfrage an Stabhochsprung-Wettbewerben", so sein Manager Wessfeldt. Gleich zweimal verbesserte Armand Duplantis, den alle bloß Mondo nennen, im Februar den Weltrekord: Zunächst schwang er sich in Torun (Polen) über 6,17 Meter und übertraf damit die sechs Jahre alte Bestmarke von Lavillenie um einen Zentimeter. Nur eine Woche später steigerte sich Duplantis in Glasgow in Schottland sogar auf 6,18 Meter und hatte dabei wie schon in Torun noch ordentlich Luft zur Latte. „Ich habe von diesem Moment geträumt, seit ich drei Jahre alt war", sagte er nach seinem Sprung. „Ich wollte alle Goldmedaillen gewinnen, die es zu gewinnen gibt, aber eins meiner größten Ziele, vielleicht sogar das größte, war der Weltrekord. Seit ich in Windeln im Garten die ersten Sprünge gemacht habe, wollte ich der Beste werden, der jemals gelebt hat."
Mit seiner jüngsten Steigerung ist Armand Duplantis auf dem besten Weg dorthin. „Dem kommt zugute, dass er erst 20 ist. Der denkt halt nicht nach", sagte Stabhochsprung-Bundestrainerin Christine Adams im „Deutschlandfunk". „Das ist einfach in einer eigenen Liga, in der er gerade unterwegs ist." Noch treffender drückte es der Pole Pawel Wojciechowski aus, immerhin amtierender Hallen-Europameister mit einer Bestleistung von 5,93 Meter. Bei Instagram schrieb er: „Es ist, als ob du auf eine Rakete steigst und dann siehst, dass er schon im Weltraum ist."
„Ich wollte der Beste werden, der jemals gelebt hat"
Es sieht so leicht aus, so spielerisch, wenn Duplantis über die Latte schwebt. „Für mich ist Stabhochspringen wie Fahrradfahren", erklärte er unlängst der „Schweizer Illustrierten". Dass sich das größte Boulevardblatt des Landes für ihn interessiert, sagt einiges aus über seinen Stellenwert. Viele glauben sogar, dass er das neue Gesicht der internationalen Leichtathletik werden könnte – der langersehnte Superstar nach dem Rücktritt von Sprintlegende Usain Bolt. Den gleichen Sponsor wie der Jamaikaner hat er schon mal, dazu die nötige Ausstrahlung. Genau wie Bolt liebt er die Show und war schon als Jugendlicher für jeden verrückten Einfall zu haben. Mit 16 übersprang er im heimischen Garten drei Meter, nahm dabei aber mit einem Hoverboard Anlauf, einer Art selbstfahrendem Skateboard. Das Video ging viral. „Ich will ein Entertainer sein, dem Publikum eine gute Show bieten", sagte Duplantis der „Schweizer Illustrierten". Nach seinem Weltrekordsprung kletterte er auf die Balustrade und dirigierte die jubelnde Menge wie ein DJ. „Die Hauptsache dabei ist natürlich, hoch zu springen. Nur dann kannst du all die Extras bringen, den Jubel, das Publikum animieren und miteinbeziehen. Wenn du nicht gut bist, wirst du gar keine Aufmerksamkeit bekommen. Aber ich liebe die Energie, die das Publikum mir gibt, sie hilft mir, besser zu springen."
Armand Duplantis gilt schon lange als das Wunderkind des Stabhochsprungs. Seine Mutter ist Schwedin, sein Vater Amerikaner – er selbst hat die doppelte Staatsbürgerschaft, startet international aber für Schweden. Vater Greg Duplantis war früher ebenfalls ein guter Stabhochspringer und hat seinem Sohn das Talent in die Wiege gelegt. Bereits mit vier Jahren sprang dieser mit einem Besenstiel aufs heimische Sofa; mit sieben Jahren stellte er dann den ersten Altersklassen-Weltrekord auf, viele weitere folgten. Nach ersten Erfolgen in der Jugend, startete Duplantis ab 2017 auch bei den Erwachsenen durch. 2018 wurde er in Berlin Europameister und überquerte dabei zum ersten Mal die magische Sechs-Meter-Marke. Mit 6,05 Metern gelang ihm sogar ein neuer Meisterschaftsrekord. Im vergangenen Jahr musste er sich bei der WM in Doha (Katar) nur dem Amerikaner Sam Kendricks geschlagen geben und das bei gleicher Höhe auch nur aufgrund der größeren Zahl der Fehlversuche.
„Ich liebe die Energie, die das Publikum mir gibt"
Die Niederlage motivierte ihn umso mehr. Duplantis stellte seine Ernährung um, er isst nun noch mehr Gemüse; zudem feilte er im Herbst und Winter noch einmal verstärkt an seinem Körper. „Ich bin jetzt viel besser in Form, dadurch kann ich mehr Energie aus dem Stab rausholen. In Doha habe ich noch nicht viel mit ihm anfangen können." Duplantis springt mit besonders harten Stäben, die ihn umso stärker nach oben katapultieren. „Ich schätze mal, jetzt ist nur noch der Himmel die Grenze", meinte der Springer nach seinen beiden Weltrekorden.
Tatsächlich gehen die meisten Beobachter davon aus, dass diese erst der Anfang waren und es schon bald in Richtung 6,20 Metern oder sogar darüber hinaus gehen könnte. Dabei wird der 20-Jährige schon jetzt mit einer weiteren Legende des Sports verglichen: mit Sergej Bubka, der in den 1980er- und 1990er-Jahren insgesamt 35-mal den Stabhochsprungweltrekord im Freien und in der Halle verbesserte. Über seinen Nachfolger meinte dieser: „Es ist fantastisch, dass die Leichtathletik solche Talente wie Armand hat. Dieser Junge hat so viel Potenzial, er wird dem Sport noch viele großartige Momente bescheren." Er traut Duplantis sogar Höhen von 6,30 bis 6,40 Metern zu. Und genau wie einst Bubka, so scheint auch Duplantis den Rekord immer bloß scheibchenweise verbessern zu wollen. Auch aus finanziellen Gründen, um auf diese Weise möglichst viele Prämien abzugreifen. Der „Schweizer Illustrierten" sagte er: „Ich nehme nichts für selbstverständlich. Du weißt nie, wann du wieder in einer solchen Form bist. Aber die Leute wollen Weltrekorde sehen. Es ist ihnen egal, ob er einen, zwei oder fünf Zentimeter über der alten Bestmarke ist. Ich werde sicher versuchen, den Rekord so oft wie möglich zu brechen."