Dank seines kahlen Hauptes und seiner legendenhaft-exotischen Herkunft stieg der vor 100 Jahren geborene Yul Brynner in Hollywoods Glanzzeiten zum Superstar in Historien- und Monumentalfilmen auf. Doch auch der Bühne blieb er mit 4.625 Auftritten als despotischer König Mongkut treu.
Zu Hollywoods Glanzzeiten in den 1950er-Jahren, als offen zur Schau gestellte animalische Männlichkeit auf der Leinwand angesagt war, tauchte quasi aus dem Nichts Yul Brynner auf – neben Stars wie Kirk Douglas, John Wayne, Marlon Brando oder Burt Lancaster. Er unterschied sich in zwei wesentlichen Punkten von seinen prominenten Schauspielkollegen. Zum einen konnten sich die Traumwelt-Produzenten wohl nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen vorstellen, dass sie sich mal um einen männlichen Hauptdarsteller mit kahlgeschorenem, glänzend-blankem Haupt reißen würden. Noch viel mehr als die Glatze, die Yul Brynner zu seinem persönlichen Markenzeichen machte, fiel allerdings seine exotische Herkunft völlig aus dem Star-Kodex-Rahmen.
Bis dahin galt die ungeschriebene Vorgabe, dass männliche Leinwandhelden bitteschön aus dem weißen europäischen oder besser noch amerikanischen Umfeld abzustammen hatten. Ein „mongolischer Valentino" oder „ein kahlköpfiges, kantiges Mongolengesicht mit den stechenden Augen, den aufgestülpten Nüstern und den seltsamen Faunsohren", wie „Der Spiegel" Yul Brynner 1967 beschrieben hatte, war dort nicht vorgesehen. Aber genau darin witterte Brynner seine große Chance und fabulierte einen biografischen Hintergrund zusammen, den nicht mal die Traumfabrik besser hätte erfinden können.
Er legte geheimnisvoll die Abstammung von einem mongolischen Reiternomaden-Herrschergeschlecht nahe, indem er sich „Taidje Khan" nennen ließ. Dann fügte er auch noch etwas Roma-Blut zu seinen Vorfahren hinzu. Und auch bezüglich seines Geburtsdatums und -ortes nahm er Änderungen vor, machte sich fünf Jahre älter, um nicht am 11. Juli 1920 in einem vergleichsweise friedlichen Jahr das Licht der Erde erblickt zu haben, und behauptete, auf der im Japanischen Meer gelegenen Insel Sachalin auf die Welt gekommen zu sein. Dieser Legende gingen alle auf den Leim. Bis zum heutigen Tag tauchen in Publikationen immer mal wieder Brynners Biografie-Interpolationen auf.
Als seine Schwester Vera dem US-Magazin „Newsweek" 1958 berichtete, dass der Vater ein Schweizer Geschäftsmann gewesen war, ihr Bruder daher von Geburt an die eidgenössische Staatsbürgerschaft besessen habe, nahm ihr das Yul Brynner lange Zeit übel. In der Schweiz hingegen war man hocherfreut, konnte die Alpenrepublik dadurch doch endlich mit Yul Brynner den ersten Oscarpreisträger in der Kategorie Hauptdarsteller für sich beanspruchen. Der „verlorene Sohn" hatte den Preis 1957 für die Rolle des Königs Mongkut von Siam in der Verfilmung des Broadway-Musicals „Der König und ich" erhalten. In Hollywood wurde der pikanten Enthüllung offenbar wenig Aufmerksamkeit geschenkt, die mongolische Herkunft gepaart mit der ihm verliehenen amerikanischen Staatsbürgerschaft passte viel besser ins Bild eines Leinwandhelden.
Eigentlich war auch der echte Lebenslauf schon abenteuerlich genug. Geboren wurde Juli Borissowitsch Briner in der am Pazifik gelegenen russischen Hafenstadt Wladiwostok. Über die korrekte Schreibweise des Familiennamens ist man sich bis heute uneins, da es sowohl die Variante „Briner" als auch „Bryner" im Schweizer Kanton Aargau gibt. Aus der dortigen Gemeinde Möriken-Wildegg war der Großvater um 1870 gen Zarenreich ausgewandert. In Wladiwostok ließ er sich erfolgreich als Import-Export-Unternehmer nieder und heiratete eine Frau mit burjatisch-mongolischen Wurzeln. Yuls Vater Boris Briner war Ingenieur und auch als Schweizer Konsul tätig, die Mutter Marussia eine russische Arzttocher, der Yul Roma-Vorfahren andichtete. Als der gemeinsame Spross gerade vier Jahre alt war, verschwand der Vater, und die Familie ließ sich im chinesischen Peking nieder, um zu Beginn der 30er-Jahre aufgrund der Mandschurei-Krise ihren Wohnsitz nach Paris zu verlegen.
Dort wurde Yul auf ein Elite-Gymnasium geschickt, das er jedoch bald wieder verlassen musste. Anschließend schlug er sich als Sänger in Nachtclubs und als Zirkusartist durch, vor allem in der Rolle des Trapezkünstlers im „Cirque d’hiver", womit er sich vorteilhaft die Grundlage für den später muskelstrotzenden Body schuf. An der Sorbonne besuchte er dann gelegentlich Philosophiekurse, verkehrte in den Kreisen rund um Pablo Picasso oder Jean Cocteau und belegte nach einem Akrobatik-Unfall auch Kurse in Schauspiel und Regie an der Pariser Theaterschule Pitoeff.
Begeisterter Hobbyfotograf und sozial sehr engagiert
1940 verschlug es ihn in die USA, wo er seine Ausbildung zum Schauspieler bei Michael Tschechow fortsetzte und mit dessen Truppe auf Tournee durch die Staaten ging. Unter dem Namen „Youl Bryner" gab er 1941 in der Rolle des Fabian in Shakespeares „Was ihr wollt" sein Bühnendebüt in New York. Daneben verdiente er seine Brötchen als Radiosprecher beim Kriegspropaganda-Auslandssender für den französischen Sprachraum „Voice of America". Neben kleineren Rollen am Broadway war der Schauspieler, der sich den Namen Yul Brynner zulegte, ganz bewusst mit doppeltem „N" geschrieben, damit der Name auch im Englischen wie im Aargauer Jargon ausgesprochen werden konnte, ab 1944 für das junge Medium Fernsehen tätig. Dabei konnte er auch als Regisseur von TV-Serien wie „Studio One" 1948 oder „Danger" 1950 sein Können unter Beweis stellen.
Den Durchbruch am Broadway schaffte er mit der männlichen Hauptrolle im Musical „Der König und ich", das am 29. März 1951 im St. James Theatre seine umjubelte Premiere feierte. Die Figur des peitschenknallenden, despotischen siamesischen Königs Mongkut war ihm quasi auf den Leib geschrieben, den er allabendlich nach Ablegen seines goldenen Umhangs mit nackter Brust und kahlem Schädel, den er sich eigens für das Musical zugelegt hatte, dem staunenden Publikum präsentierte. Dem König Mongkut sollte er sein Leben lang verbunden bleiben, schließlich erhielt er für die 1956 erfolgte Verfilmung einen Oscar. Er spielte den Herrscher-Part 1972 in einer 13 Folgen umfassenden CBS-TV-Serie mit dem Titel „Anna und der König von Siam" und glänzte in seiner ewigen Paraderolle zwischen 1977 und 1985 auf den Brettern des Broadways und auf anderen Bühnen der Welt mit insgesamt 4.625 Auftritten. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, dass er 1976 mit einem Broadway-Comeback-Versuch in einem anderen Musical mit dem Titel „Home Sweet Home" kläglich scheiterte.
Noch bevor die Dreharbeiten zum Film „Der König und ich" überhaupt angelaufen waren, wurde der Glatzenträger von Regisseur Cecil B. DeMille für einen der größten Monumentalfilme der Kinogeschichte und die bis dahin mit zwölf Millionen Dollar teuerste Hollywood-Produktion verpflichtet. Brynner spielte im 1956 erschienenen Breitwand-Epos „Die zehn Gebote" den Pharao Ramses. Wieder eine dominante Herrscherfigur, die er neben der Rolle des unerschrockenen Draufgänger-Typs auch in den meisten seiner gut 40 Kinofilme perfekt darstellen sollte. Auch wenn sein schauspielerisches Repertoire nicht sehr breit angelegt war, sind doch viele seiner Leinwand-Auftritte bis heute unvergessen. Als russischer General war er 1956 in „Anastasia" an der Seite von Ingrid Bergmann zu sehen, als Finsterling an der Seite von Maria Schell in „Die Brüder Karamasow" und als „König der Freibeuter" zwei Jahre später. Als knallharter Revolverheld Chris sah man ihn 1960 im Western-Klassiker „Die glorreichen Sieben" und ausnahmsweise auch mal als Intellektuellen in Jean Cocteaus „Das Testament des Orpheus", ebenfalls 1960. Auch in dem Science-Fiction-Streifen „Westworld" aus dem Jahr 1973 sollte er mit dem Part eines amoklaufenden Androiden-Roboter-Revolverhelden eine für ihn etwas ungewöhnliche Rolle spielen.
Yul Brynner war viermal verheiratet und hatte neben drei ehelichen Kindern zwei weitere Kids adoptiert. Aus steuerlichen Gründen hatte er seinen offiziellen Wohnsitz 1959 in die Schweiz in ein luxuriöses Anwesen am Nordufer des Genfer Sees verlegt. Wegen des Dauerstreits mit dem US-Finanzamt kündigte er 1965 schließlich sogar seine amerikanische Staatsbürgerschaft auf, weil er ansonsten seinen ziemlich kostspieligen Lebenswandel nicht hätte weiterführen können. Privat war Brynner ein begeisterter Hobbyfotograf und engagierte sich vorbildlich auf vielen sozialen Feldern, auch im offiziellen Auftrag der Unesco. Er liebte Whiskey und war als Kettenraucher dem Tabak verfallen. Was ihn allerdings nicht davon abhielt, eine Stiftung zur Bekämpfung des Nikotinkonsums namens „Yul Brynner Foundation" zu gründen oder in einem Antiraucher-Werbefilm aufzutreten, der aber erst nach seinem Lungenkrebs-Tod am 10. Oktober 1985 in New York ausgestrahlt wurde.