Nach vier Jahren republikanischer Rückbau-Politik geht der Kulturkampf in den USA zwischen Links und Rechts, Arm und Reich, Schwarz und Weiß in eine entscheidende Runde. Ob der American Dream zum Albtraum wird, ist Sache des kommenden Präsidenten, der am 3. November gewählt wird.
Donald Trump hat alle Register gezogen: „Unsere Nation wird gerade Zeuge einer mitleidlosen Kampagne, um unsere Geschichte auszulöschen, unsere Helden zu diffamieren, unsere Werte auszuradieren und unsere Kinder zu indoktrinieren", sagte er anlässlich seiner Rede zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli am Mount Rushmore. Der Kulturkampf in den USA geht in die heiße Phase. Dies ist jedoch keine bewaffnete Auseinandersetzung, obwohl manches Bild oder manche Nachricht aus den Vereinigten Staaten den Anschein erwecken könnte. Nein, der Konflikt zwischen jenen, die sich einen fürsorglicheren Staat wünschen und in Teilen gewaltsam gegen Polizeigewalt und Rassismus protestieren, und jenen, die die individuelle Freiheit notfalls mit der Waffe gegen den Staat verteidigen wollen, ist ein wort- und symbolreicher. Auf den kommenden Präsidenten kommt eine undankbare Aufgabe zu: Wie ist ein Land auszusöhnen, dessen galoppierende Polarisierung von allen Seiten des politischen Spektrums, von linken Demokraten bis hin zu rechtskonservativen Republikanern, noch angetrieben wird? Könnte ein überparteiliches Kabinett aus Demokraten und Republikanern eine Lösung sein? Oder spaltet Donald Trump das Land noch weitere vier Jahre?
Wahlvorhersagen sind mit Vorsicht zu genießen. Kommt es nicht zu einer sogenannten Oktober-Überraschung, sagen mehrere Modelle wie etwa des britischen „Economist" oder des US-Magazins „Politico" einen teils deutlichen Sieg Joe Bidens und der Demokraten im Senat voraus. Auch das rechtskonservative Magazin „National Review" kommt zu dem Schluss, dass Trump verlieren könnte – wenn er das Ruder nicht herumreißen kann. Die Wahlen 2016 hätten gezeigt, dass dies durchaus noch einmal passieren könnte.
Parteien erfinden sich ständig neu
Was aber sind die Randbedingungen, die den Ausgang der Wahl bestimmen? Zum einen die Debatte um die Briefwahl. In Zeiten einer Pandemie wollen vor allem die Demokraten das Wählen mithilfe der Briefwahl vereinfachen. Die Republikaner nicht, denn die Historie zeigt: Sie profitieren von einer geringen Wahlbeteiligung. Zum anderen die Mobilisierung: Gelingt es den Konservativen beispielsweise, genügend Evangelikale zu den Urnen zu bewegen? Der Rückhalt bei religiös-konservativen Wählern bröckelt, während Latinos, Hispanics, Afroamerikaner wie auch aus Asien stammende US-Amerikaner immer höhere Anteile an der Wählerschaft gewinnen.
Jene Beispiele zeigen, dass der Kampf der Kulturen in den USA zur Frage des politischen Überlebens geworden ist – vor allem für die Republikaner, die sich seit Jahren von den Anhängern der erzkonservativen Tea-Party-Bewegung vor sich hertreiben lassen. Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass sich beide US-Parteien immer wieder neu erfinden können: Im 18. Jahrhundert entstand die Republikanische Partei aus unzufriedenen Demokraten, die vor allem eines wollten: einen starken Zentralstaat. Heute ist ihnen nichts mehr zuwider als das.