Die Republikaner sind erledigt. Dieser Meinung ist Andreas Etges vom Amerika-Institut der Universität München. Sollte es keine „Oktober-Überraschung" geben, tritt Joe Biden das schwere Erbe eines ausgepowerten Staates an, davon ist der Wissenschaftler überzeugt.
Herr Etges, wir schauen mit Bestürzung auf Amerika. Was passiert da? Droht das Land in Chaos und Bürgerkrieg abzugleiten?
Nein. Die Bilder täuschen ja auch, es gibt nicht permanent Straßenschlachten oder gewaltsame Auseinandersetzungen. Ein Kernproblem sind aber Polizeigewalt und die Ungerechtigkeiten im Justizsystem, durch die Minderheiten systematisch benachteiligt werden. Derzeit erleben die USA sicher eine sehr schwierige Phase, gleich mehrere Krisen. Aber ich sehe gleichzeitig Anzeichen für einen großen Aufbruch, den wir vielleicht mit der Zeit um 1968 vergleichen können.
Wie das denn jetzt? Darauf kommt man erst mal nicht.
Ich halte es durchaus für möglich, dass wir mit Trump das vorläufige Ende der konservativen Gegenrevolution als Reaktion auf den damals angestoßenen gesellschaftlichen Wandel erleben. Trump hat diese Rückwärtsbewegung, die mit Nixon begann und dann mit Reagan richtig mächtig wurde, ins Extrem getrieben. Das ist jetzt möglicherweise der Zeitpunkt, an dem es kippt.
Sprich: Donald Trump ist der personifizierte Zenit der Konservativen?
Wir dürfen ihn auch nicht überbewerten, auch wenn er sehr wichtig ist. Die Probleme der USA haben nicht mit Trump begonnen und sie hören mit ihm auch nicht auf. Mit Trump haben die Republikaner den Staat massiv unterminiert, er hat zu wenig Ressourcen, zu wenig Personal. Umfragen zeigen immer wieder, dass die Mehrheit der Amerikaner sehr viel offener und progressiver auch über Themen wie Umwelt und Gesundheit nachdenkt als die aktuelle Administration. Der Ruf nach einem handlungsfähigen Staat wird immer lauter. Das Gesundheitssystem ist völlig überfordert mit der aktuellen Epidemie. Die vielen Millionen Menschen ohne Krankenversicherung stehen schnell vor dem Nichts und werden ins Abseits getrieben. Gleichzeitig wächst die Zustimmung zu Obamacare deutlich. Die Wahlen im Herbst könnten den Auftakt für eine große progressive Reform geben – vorausgesetzt, die Demokraten gewinnen das Präsidentenamt und beide Häuser des Kongresses.
Dann ist die Wahl für Trump gelaufen? Keine zweite Amtszeit? Das wäre natürlich schmachvoll für ihn.
Die Wahl ist noch nicht gelaufen, aber in den Umfragen sieht es momentan sehr schlecht für Trump aus. Herausforderer Joe Biden macht es richtig. Er wartet ab, kann Kraft sparen für den heißen Wahlkampf im Herbst. Trump demontiert sich ja gerade selbst.
Natürlich kann noch viel passieren. Es gibt das Wort von der „Oktober-Überraschung", aber Trump hat in den Umfragen einen großen Rückstand. Die Mehrheit in den Umfragen hatte er ja überhaupt nie. Und er hat in seiner Amtszeit keine neue Wählergruppe hinzu gewonnen. Sogar bei den weißen, älteren Männern hat er an Popularität verloren. Bei Frauen verliert er und bei den Jungen ganz besonders. Hier laufen den Republikanern derzeit Unterstützer in Scharen davon.
Vor vier Jahren lagen die Meinungsforscher dann aber falsch.
Das sagen die Trump-Anhänger jetzt oft, aber die Wahl war damals sehr knapp, wenige Tausend Stimmen in drei Staaten haben den Ausschlag gegeben. Und Hillary Clinton hatte im ganzen Land fast drei Millionen mehr Stimmen bekommen.
Kann denn der Herausforderer Biden einen solch großen Aufbruch in Gang bringen? Der große Visionär ist er ja nicht gerade.
In den vergangenen Jahren hat sich das Land gewandelt, aber ebenso die Partei der Demokraten, die auch wegen Bernie Sanders zunehmend links-progressiv orientiert ist. Biden muss die Chancen, die in der Krise stecken, nutzen. Aber er wird nicht zu beneiden sein. Er wird ein schweres Erbe antreten, wenn er gewinnt.
Was wird Trump hinterlassen?
Außer einem völlig ausgepowerten Staat immerhin mehr als 200 von Trump auf Lebenszeit ernannte konservative Bundesrichter, meist noch recht jung, die werden über Jahrzehnte die Rechtsprechung der USA mitprägen.
Manche bezweifeln, dass Trump 100 Prozent hinter Rechtsstaat und Gewaltenteilung steht. Der Philosoph Vittorio Hösle sagte kürzlich, er zeige die „klassische Strategie eines Diktators". Was, wenn er nach einer verlorenen Wahl einfach sagt: Alles fake, ich bleibe?
Ja, man kann solche Züge bei ihm sehen. Aber da trifft die Republikanische Partei eine große Mitschuld. Sie hat ihn immer gewähren lassen. Er hat die Partei inzwischen völlig im Griff. Klar ist, dass er nach einer Wahlniederlage behaupten wird, es ist wieder mal nicht mit rechten Dingen zugegangen. Schon jetzt gibt es Vorwürfe über geplante Wahlfälschungen. Auch der Supreme Court, das Verfassungsgericht, würde einschreiten, da können dann auch die von Trump ernannten Richter nicht anders. Auch viele höhere Militärs stehen in Distanz zu Trump. Aber: In den USA gibt es keine Einwohnermeldeämter mit Wahllisten, man ist also nicht automatisch wahlberechtigt. Und es gibt vor allem in den von Republikanern regierten Einzelstaaten Versuche, potenziellen Wählern der Demokraten die Stimmabgabe zu erschweren. Wähler werden aus Listen gestrichen, die Registrierung wird komplizierter, es gibt weniger Wahllokale, die Briefwahl wird erschwert und so weiter.
Wann werden die Amerikaner mal ihr Wahlsystem updaten? Etwa so, dass der mit den meisten Stimmen auch gewinnt?
Das wäre ein großes Projekt. Die Verfassung der USA, der ältesten Demokratie der Welt, ist nur sehr schwer zu ändern. Immerhin sind die USA eine enorm stabile Demokratie, verglichen etwa mit vielen europäischen Staaten. Die USA sind auch sehr viel föderaler aufgebaut als etwa Deutschland. Es gibt aber inzwischen ernstzunehmende Reformideen. Etwa die, dass Bundesstaaten sich verpflichten, bei den Präsidentschaftswahlen ihre Wahlmännerstimmen nicht mehr komplett dem Sieger im jeweiligen Bundesstaat zu geben, sondern dem Kandidaten, der landesweit die Mehrheit der Stimmen bekommen hat. Wenn sich genügend Bundesstaaten mit der Mehrheit der Wahlmänner dazu verpflichten, wäre sichergestellt, dass die Person gewählt wird, die tatsächlich die meisten Stimmen bekommen hat. Das ist eine sehr kluge Initiative, der sich bislang 16 Einzelstaaten und die Hauptstadt Washington angeschlossen haben.
Das wäre dann demokratisch.
Ja. Aber es würde auch bedeuten, dass auf absehbare Zeit die Demokratische Partei die Präsidenten stellen würden. Das wissen die Republikaner natürlich. Aber die Partei hat sich in ihre Lage selbst hineinmanövriert.
Das polarisierte Parteiensystem ist Ausdruck einer insgesamt gespaltenen Gesellschaft. Gibt es einen Ausweg? Oder gehört diese Spaltung einfach zu Amerika?
Die Spaltung wird schon lange als großes Problem erkannt, aber es ist schwer, daran etwas zu ändern. Es wird wohl unter anderem eine ganz massive Niederlage der Republikaner brauchen, um ernsthafte Reformen anzugehen. Zuletzt hat die Partei nur blockiert und gebremst. Nötig wäre, dass sie sich für neue Ideen öffnet, die Probleme anerkennt, eigene Reformvorschläge entwickelt und wieder mitgestalten will. Dazu müsste sie sich neu erfinden, wozu eine entsprechende Niederlage bei der Wahl im November führen könnte.
Was sind die Gründe dieser Spaltung?
Diese Spaltung ist weniger ökonomisch, als viel mehr kulturell-ideologisch. Das geht zurück bis in die 60er-Jahre. Präsident Richard Nixon sprach von der schweigenden Mehrheit, die anders als die laute, aktive Minderheit das wahre Amerika repräsentiere. Das Problem ist, dass große Teile der alten Arbeiterschaft sich abgehängt fühlen. Sie sind enttäuscht von den Demokraten, fühlen sich unwohl mit vielen gesellschaftlich-kulturellen Entwicklungen.
Zudem gibt es ein großes Misstrauen gegen Institutionen, den Staat, die Medien und die Wissenschaft. Hier entwickeln sich dann auch schnell Verschwörungstheorien. Diese Menschen erreicht Trump sehr gut. Das Misstrauen gegen den Staat hat er ins Extrem getrieben, obwohl er ja nun vier Jahre an dessen Spitze steht.
Woher kommen diese ideologische Verhärtung und das Einmauern in den Glauben an Verschwörungen?
Dahinter steckt wohl auch die langfristige demografische Verschiebung. Die Hispanics sind bereits die größte ethnische Minderheit, vor den Afroamerikanern. Die Weißen werden die Mehrheit verlieren. Das beängstigt diese und verunsichert sie. Diese Stimmung hat Trump gut ausgenutzt. Aber sie hilft natürlich nicht weiter. Trumps Nachfolger steht vor einer Riesenherausforderung. Er muss überhaupt erst mal Vertrauen in Staat und Wissenschaft zurückgewinnen. Er muss versuchen, den Glauben an die eigene Nation zurückzubringen. Das Ansehen der USA hat unter Trump sehr gelitten, das merken die Menschen natürlich.
Da ist es nicht gut, wenn Videos um die Welt gehen, in denen ein Polizist einen hilflosen Menschen umbringt.
Der Rassismus ist ein riesiges Problem. Aber endlich wird wieder ernsthaft und öffentlich darüber diskutiert. Unter anderem ist eine umfassende Polizeireform nötig. In den vergangenen Jahren wurde die Polizei massiv ausgerüstet, geradezu militarisiert. Ich sehe Zeichen der Hoffnung, dass jetzt ernsthafte Reformen angegangen werden. Symbole von Sklaverei und Rassismus werden aus dem öffentlichen Leben verbannt. Dazu zählen Statuen oder auch die Staatsflagge des Bundesstaats Mississippi. Das Land ist in Bewegung geraten, durchaus im positiven Sinne.
Kam die Corona-Pandemie diesen Entwicklungen in die Quere? Oder kann die Epidemie helfen, den Sinn für den Ernst der Lage zu schärfen?
Zum Glück sind im Herbst Wahlen. Nicht nur der Präsident, sondern auch das gesamte Repräsentantenhaus, ein Drittel der Senatoren und zahlreiche Gouverneure werden neu gewählt. Es gibt jetzt die Chance, ein Urteil über die Politik der vergangenen Jahre abzugeben. Die Wahlen sind ein Ventil, es wird helfen, den Protest in friedliche und konstruktive Bahnen zu lenken.
Dass jetzt die Epidemie auch in den republikanischen Staaten, die eigentlich hinter Trump stehen, wütet, wie Florida und Texas, wird die Republikaner viele Stimmen kosten, weil man ihnen anlasten wird, dass sie Corona so lange verharmlost haben. Die Folgen sind nun zu offensichtlich.
Wird Trump mit fliegenden Fahnen untergehen? Immerhin befürwortet er inzwischen sogar das Tragen von Masken.
Das werden wir sehen. Spannend wird, ob es noch vor dem Wahltermin Absetzbewegungen bei den Republikanern geben wird – wenn sie merken, dass er ihre Wahlchancen mindert. Vielleicht gibt es hier schon vor dem Wahltermin eine Erosion, die Trumps Niederlage dann noch klarer und eindeutiger machen könnte.