Das Coronavirus wirkt wie ein Beschleuniger der digitalen Entwicklung in Deutschland – dieser Meinung sind derzeit viele Unternehmer. Einer von ihnen ist Joachim Czabanski, Vorstandschef der Klaus Faber AG, die Kabel und Leitungssysteme herstellt. Er glaubt, der oft erschreckende Begriff „Disruption" werde falsch verstanden.
Herr Czabanski, das Corona-Virus hat die Weltwirtschaft mächtig durcheinandergewirbelt. Wie erleben Sie die Krise?
Natürlich sind wir auch betroffen. Die aktuelle Krise hat bei der Klaus Faber AG Anpassungen erforderlich gemacht. Geschäftstreffen, Kunden- wie auch Lieferantenbesuche beispielsweise waren eine Weile auf Eis gelegt. Doch man kann den ungewohnten Verhältnissen auch etwas Gutes abgewinnen. Das positive Momentum der Krise ist der Stresstest, dem die Unternehmen hinsichtlich neuer Arbeitsmodelle, allen voran temporäres Homeoffice, sowie der IT-Verfügbarkeit und der Stabilität dieser Systeme unterworfen sind. Beibehalten werden wir sicherlich Online-Videokonferenzen, um Reisekosten und Arbeitszeit einzusparen.
Sie stehen seit gut drei Jahren an der Spitze des Traditionsunternehmens Klaus Faber AG. Unabhängig von Corona – wieso haben Sie das Unternehmen so kolossal auf den Kopf gestellt?
Das Unternehmen war viele Jahre im Handel mit Kabel und Leitungen erfolgreich. Mittlerweile gibt es zahlreiche Wettbewerber weltweit, die dieses Geschäft ebenfalls beherrschen. Von früher rund 60 Distributoren sind derzeit noch 20 ernsthaft am Markt, und es werden über kurz oder lang nur noch wenige übrigbleiben. So die Prognosen. Die Corona-Krise wird das sicherlich noch forcieren. Die Pandemie ist nur ein beschleunigender Faktor, der bestehende Schwächen aus der Vergangenheit recht gnadenlos offenbart. Ohne strategische Neuausrichtung wäre Faber in den nächsten Jahren massiv unter Druck geraten. Es gibt viele Traditionsunternehmen, die leider mit Pauken und Trompeten vom Markt verschwunden sind oder aufgekauft wurden. Diese Entwicklung hat der Aufsichtsrat der Klaus Faber AG rechtzeitig erkannt und gehandelt.
Was bedeutet das für das Kerngeschäft?
Es geht nicht darum, das Kerngeschäft zu „zerstören", wie vielfach beim Thema Disruption angenommen wird. Ganz im Gegenteil. Unsere neuen Geschäftsfelder sind so angelegt, dass sie das Kerngeschäft stützen und durch sinnvolle Vernetzung untereinander wertvolle Synergien erzeugen. Ziel ist dabei die Systemimmanenz. Wir fragen uns, was wir alles verändern müssen, um das Kerngeschäft zu erhalten. Vom Ende her gedacht heißt das: Was erwartet der Kunde von uns? Er will nicht nur Kabel, sondern ein komplettes für ihn zugeschnittenes Produkt, eine Systemlösung für möglichst viele Anwendungen, inklusive Service, zeitnah und verlässlich. Klingt vielleicht banal, aber der Kunde will am Ende des Tages eine fertige funktionierende Lösung. Den interessiert doch nicht, ob Faber draufsteht, woher das Kabel kommt und wie das zusammengebaut wird.
Das klingt sehr theoretisch. Nennen Sie mal ein paar Bereiche, in denen Sie unterwegs sind?
Durch die Aquisition der Friesland Kabel Ende 2018 sind wir die Nummer eins im deutschen Schiffskabel-Markt und die Nummer zwei in Europa. Nehmen Sie den Bereich Schiffsausstattung: Jede Kabine erhält nicht nur Strom-, sondern auch Glasfaserleitungen. Hier ist die Synergie zu unserem Geschäftsbereich Telecommunication & Optical Fibers gegeben. Zurzeit werden in Rostock und Wismar sechs Kreuzfahrtschiffe für je 9.500 Menschen gebaut, und wir liefern alle Kabel, komplett konfektioniert. Pro Schiff sind das 8.000 Kilometer. Die Kräne in den Häfen und Werften brauchen Strom- und Datenverbindungen, eine ideale Synergie zum Bereich Kran- und Hebezeuge. Wir können außerdem alle Hafen-, Offshore- und Raffinerieanwendungen mit Produkten und Dienstleistungen bedienen. Oder unsere Geschäftsidee im Bereich der mobilen Stromversorgung im großtechnischen Stil: eine all-in-one Lösung, die die Stromerzeugung mittels Photovoltaik, Batteriespeicherung samt Systemsteuerung sowie Notstromfunktionen auf engstem Raum in einem Container hoch effizient und praktikabel zusammenführt. Ideal für Hilfsorganisationen, Katastrophenschutz oder die Grundstoff- und Bauindustrie.
5G Mobilfunk, Infrastruktur für Ladesäulen, E-Mobility-Lösungen, Industrie 4.0 Anwendungen … ein gigantischer Zukunftsmarkt liegt vor uns, in dem der Kunde lieber mit einem Systemlieferanten spricht als mit vielen Lieferanten.
Die Faber AG wächst durch Diversifikation, Kooperationen und Zukäufe. Welche Rückschläge gibt es auf diesem Weg?
Ohne Risiken funktioniert keine Disruption. Sie können risikolos in die Insolvenz gehen, Verwalter sein. Aber als Unternehmer sind sie Vordenker, Motivator und risikobereit. Sie können als Turmspringer Angst haben, ins Wasser zu springen und verweigern. Die Insolvenz ist vorprogrammiert. Oder mit den Füßen vorweg, dann gewinnen Sie allerdings nie gegen die Wettbewerber. Oder eben mit dem Kopf zuerst. Sie werden sehen, mit der richtigen Haltung folgt der Körper, sprich die Mitarbeiter, dem Kopf automatisch.
Natürlich gibt es Rückschläge. Sie haben zu viele Bedenkenträger, ein anvisierter Geschäftsbereich entwickelt sich anders als erwartet, oder Sie finden keine passenden Partner. Aber auf Veränderungen zu hoffen und nichts zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten.
Was raten Sie Unternehmen, insbesondere Start-ups? Die sind mit ihrer Idee oftmals schneller weg vom Fenster als man gucken kann.
Start-up-Unternehmen leiden in Deutschland darunter, dass ein Scheitern ein dauerhaftes persönliches Aus bedeutet. Das war schon vor Corona so. Aber Start-ups müssen selbst schauen. Sie haben oft tolle Geschäftsideen. Oftmals sind die Ideengeber aber so verliebt und überzeugt von ihrem Plan, dass sie die Schwächen nicht sehen wollen. Auch hier gilt: vom Ende her denken und ehrlich zu sich sein. Finden Sie alle möglichen Gegenargumente der Konkurrenz, die Ihre Idee zunichtemachen. Warum sollte der Kunde ausgerechnet ihr Produkt kaufen, und wie schaffen sie es, für den Kunden nicht austauschbar zu sein?
Für bereits bestehende Unternehmen rate ich als passionierter Segler: Folge nie dem führenden Boot! Wer gewinnen will, muss einen anderen Kurs setzen. Mein Anspruch ist es, Erster zu sein, sonst fährt man hinterher und landet auf den Plätzen. Machen sie es anders oder besser gesagt, denken sie disruptiv. Und das am besten im Team!
Disruption macht vielfach Angst in den Unternehmen. Wie motivieren Sie die Mitarbeiter?
Reden, überzeugen und vor allem wertschätzen. Gerade letzteres haben wir in der Corona-Krise nochmals verstärkt. Es gibt eine von außen getriebene Disruption wie Veränderungen durch Marktsituationen, Wettbewerber. Diesen Veränderungsdruck kann man den Mitarbeitern erklären.
Und es gibt die Disruption von innen. Es gibt immer Chancenerkenner, Bedenkenträger und Bremser im Unternehmen. Zu 100 Prozent wird man nie alle mitnehmen. Die Transformation ist zudem ein ständiger Prozess mit allen Höhen und Tiefen. Ich glaube, dass wir im Zeitalter der Disruption ein anderes Werteverständnis von Führung brauchen. Mir ist es wichtig, dass wir alle miteinander fair und transparent umgehen. Mein Büro und die meines Vorstandskollegen stehen immer offen. Die Bandbreite an Wertschätzungsmaßnahmen ist groß, angefangen bei der Stärkung der Eigenverantwortung insbesondere junger Mitarbeiter über Aus- und Weiterbildung wie der Teilnahme aller Mitarbeiter am Mindsetting bis hin zu Prämien und Sonderzahlungen. Mitarbeiter sind das wichtigste Kapital. Ohne sie könnten wir an der Spitze nichts ausrichten. Die Führungsstile werden sich vielfach ändern. Die Rückeroberung der Unternehmensführung durch menschliche Werte und die Vorteile agiler Organisationsstrukturen werden streng hierarchisch geführte Unternehmen zu Auslaufmodellen machen.
Und wie steht es um die Fehlertoleranz?
Fehler sind dafür da, dass sie gemacht werden. Das gilt vom Vorstand bis zum Azubi. Aber man sollte den Fehler tunlichst nicht zwei Mal machen. Das könnte fatale Folgen haben.
Was raten Sie dem Saarland?
Business as usual, diese Zeiten gehören mit Corona der Vergangenheit an. Der Blick muss nach vorne gerichtet sein. Das Saarland hat die Chance, sich branchentechnisch viel breiter aufzustellen. Es gibt ein sehr gutes Hochschulumfeld mit Raum für Neues, fleißige und zukunftsorientierte Menschen sowie Erfahrung mit Strukturwandel. Das gilt es zu nutzen.