Der Lockdown hat ganze Geschäftsfelder zum Erliegen gebracht. Findige Unternehmer haben mit Kreativität reagiert. Trevor Evans hat mit seinem Hamburger Start-up-Unternehmen kurzerhand eine Suchmaschine für Gottesdienste entwickelt – mit beachtlicher Resonanz.
In schweren, unvorhersehbaren Zeiten wächst die Bedeutung des Glaubens. Es ist noch nicht lange her, dass Gottesdienste coronabedingt verboten waren – gerade, als sich viele Christen in besonderem Maße Trost und Halt wünschten. Zahlreiche Pfarrer begannen während des Lockdowns damit, Gottesdienste ohne Besucher abzuhalten und sie im Internet zu veröffentlichen. Der Gang in die Kirche lässt sich auch digital antreten. Eine neue Suchmaschine hilft dabei, das passende Angebot zu finden.
Möglich macht es Trevor Evans mit seinem in Hamburg ansässigen Start-up Stream Time. Er hat eine Meta-Suchmaschine entwickelt, die eigentlich für die Übertragung von Sport-Veranstaltungen gedacht ist. Die Corona-Krise nahm er jedoch als Anlass für einen thematischen Schwenk. „Da der Profi-Sport weltweit durch die Corona-Pandemie zum Erliegen gekommen ist, haben wir unser Angebot kurzfristig angepasst und setzen auf Gottesdienste", sagt Geschäftsführer Evans.
Digital Church – so nennt er den seiner Auskunft nach weltweit ersten Internet-Kanal in diesem Bereich. Rein virtuell zelebrierte Gottesdienste finden sich hier ebenso wie Aufzeichnungen aus „echten" Gemeinden.
Weit vorn in der Gunst der User stehen die Auftritte von Papst Franziskus. Auch ein zum Katholizismus übergetretener Prediger aus Alabama bekommt hohe Klickzahlen. Ansonsten reicht die Bandbreite vom Sonntagsgottesdienst aus dem Münchner Dom bis zum Bericht über die Mauritz-Orgel in Münster, von der Doku „Katholisches Korea" bis zu Gospel-Gesängen aus Stuttgart.
„Unser Service ist eine Hilfe für alle, die auch in widrigen Umständen an der Ausübung ihres Glaubens festhalten wollen", erklärt Trevor Evans. Der 34-jährige Brite rief seine Plattform ursprünglich für die Übertragung von Sport-Events ins Leben. Evans ist ein leidenschaftlicher Fan des FC Liverpool. „Wenn ich Spiele gucken, Interviews mit den Spielern oder aber Hintergrundinformationen finden wollte, musste ich mich immer auf mehreren Seiten informieren", erinnert er sich. „Da habe ich mich gefragt: Warum gibt es niemanden, der mir all das in einem einzigen Kanal zur Verfügung stellt?"
Alles begann mit einer Suchmaschine für Sport-Nachrichten
Also nahm Trevor Evans die Sache selbst in die Hand und brachte Anfang 2017 Stream Time an den Start. Diese Meta-Suchmaschine sammelt Videos von Anbietern wie Facebook oder Youtube, um deren Inhalte auf einer einzigen Seite anzubieten. Die Nutzer können dadurch neue Angebote entdecken, die Sport-Portale wiederum ihre Besucherzahlen erhöhen.
Schon nach einem halben Jahr hatte die Seite monatlich sechs Millionen Besucher. Nach und nach kamen weitere Themenbereiche hinzu, zum Beispiel Nachrichten und Computerspiele. Bevor das Coronavirus zuschlug, fanden sich monatlich acht Millionen Nutzer auf der Seite ein.
Die Umstellung auf religiöse Belange war technisch kein Problem. „Das hat gerade mal zwei Tage gedauert und kaum zusätzliche Kosten verursacht", meint Evans. „In technischer Hinsicht ist es egal, welche Online-Inhalte man auf die Seite stellt."
Evans studierte zunächst Business Management im schottischen Aberdeen. Er arbeitete in London in den Marketing-Abteilungen verschiedener IT-Unternehmen, bevor er Stream Time gründete. Heute lebt der Unternehmer mit seiner deutschen Ehefrau in Hamburg. Er bemüht sich um die deutsche Staatsbürgerschaft, „wegen des Brexits", meint er.
Derzeit steuern täglich Tausende User seine digitale Kirche an. Das Interesse ist offensichtlich geringer als am Sport. Trevor Evans hält es jedoch für vielversprechend, dass sich fast die Hälfte der Besucher tatsächlich einen religiösen Beitrag anschaut. „Das ist das Zehnfache des üblichen Anteils", stellt er fest.
Auch seit das gesellschaftliche Leben langsam wieder in Fahrt kommt, bleiben die Benutzerzahlen stabil. „Vor allem ältere Menschen profitieren nach wie vor von dem Angebot der Digital Church", ist Trevor Evans überzeugt. „Sie gehören zur Risikogruppe und sind nach wie vor vorsichtig, vor die Tür zu gehen. Außerdem schreckt es viele ab, dass die Gottesdienste nur unter rigiden Hygiene- und Abstandsmaßnahmen stattfinden."
Für jeden gibt es den Gottesdienst seiner Wahl
Auf den Einfall mit der Digital Church kam Evans durch seine 86-jährige Großmutter, die im englischen Ipswich lebt. „Sie geht quasi jeden Tag in die Kirche, was coronabedingt dann nicht mehr möglich war", erzählt Evans. „Sie und ihre Freundinnen fürchteten sich eine Zeit lang, überhaupt vor die Tür zu gehen. Vor allem für sie habe ich das Konzept für das Streamen von Gottesdiensten entworfen." Aber auch all jene, die aus gesundheitlichen Gründen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, profitieren von dem Angebot.
Die Plattform enthält unzählige Gottesdienste aus diversen Spielarten des Christentums, aus verschiedenen Ländern, hauptsächlich aber in den Sprachen Deutsch und Englisch. Kein Wunder, sind doch in den USA und auch in Evans britischer Heimat digitale Gottesdienste weiter verbreitet als hierzulande.
Stream Time ist auf allen Geräten zu empfangen: Laptops, Tablets, Smartphones. Das Angebot ist kostenlos und ohne Registrierung nutzbar. Wer sich jedoch an eine anstehende Übertragung erinnern lassen möchte, kann ein kostenloses Konto auf der Plattform anlegen. Dafür muss lediglich die E-Mail-Adresse angegeben werden. „Die einfache Bedienung der Plattform ermöglicht es auch älteren Mitmenschen, teilzuhaben und sich den Gottesdienst ihrer Wahl anzusehen", erklärt Trevor Evans. Andererseits könnten auch die Gemeinden von Stream Time profitieren, indem sie hier ihre Gottesdienste übertragen und dadurch mehr Online-Kirchgänger gewinnen.
Im Sportbereich finanziert sich die Plattform über Anzeigen und gesponserte Links. Bei den Gottesdiensten steht das Monetäre im Hintergrund. „Wir haben die Digital Church nicht ins Leben gerufen, um Umsätze durch Werbung zu generieren", meint Evans. „Es geht uns darum, den Menschen in herausfordernden Zeiten eine Unterstützung zu bieten."
In Ausnahmezeiten stellt die digitale Kirche durchaus eine Alternative zum Kirchgang dar – auch wenn sie das aktive, gemeinschaftliche Gemeindeleben natürlich nicht ersetzen kann. Das Angebot ist dabei ähnlich vielfältig, bunt und unsortiert, wie man es von Youtube kennt. Auch Kurioses findet sich. Die Initiative „Evangelikale für Trump" präsentiert sich hier ebenso wie ein texanischer Atheisten-Verband, der für die Trennung von Staat und Kirche wirbt. Ein katholisches Paar zeigt den Weg zur perfekten Ehe auf; ein Weihbischof redet über „sorgenfreien Schlaf". Wie auch sonst beim Surfen im Internet gilt: Ablenkung ist die größte Versuchung.