Nicht nur in Berlin prägen Ersatzturniere mit Show-Charakter die Tennis-Szene, während die eigentliche Profi-Tour pausiert. Der Weltranglisten-Erste Novak Djokovic lud zur Adria Tour, bei der Vorsichtsmaßnahmen und Hüllen ungehemmt fielen – mit fatalem Ergebnis.
Der „Djoker" lässt sich nicht aufhalten, wenn es um Tennis geht. Nicht einmal von Covid-19. „Don’t stop the music". Mit dem Rihanna-Hit zelebrierte die in Usbekistan geborene Lifestyle-Ikone und Pianistin Lola Astanova bei der Eröffnungszeremonie der Adria Tour in Belgrad die Rückkehr des Weltranglisten-Ersten vor die Zuschauerränge nach der Corona-Unterbrechung. Novak Djokovic, der Initiator einer kleinen Benefiz-Tennistour durch Balkanstaaten mit von ihm eingeladenen Publikumsmagneten wie Dominic Thiem, Grigor Dimitrov und Sascha Zverev, griff am Rande der Sandplätze gut gelaunt mit in die Tasten. Danach gingen sehr, sehr viele Hände hoch zum Himmel. Gemeinsam mit der Wahl-Amerikanerin erzeugten der „Djoker" und ein DJ zum Auftakt der Adria Tour in Serbien bei den Fans Après-Ski-Partystimmung. Oder sollte man sagen Nach-Corona-Party-Gefühle?
Doch das Virus, das für viele Monate nicht nur sportliche Großereignisse und feuchtfröhliche Feiern mit Tuchfühlung unterband, ist noch nicht vorbei. Corona breitet sich in manchen Teilen der Welt sogar erst jetzt beängstigend heftig aus. Und die Tennisstars sind global in Flugzeugen mit engen Sitzreihen unterwegs. Eine Woche auf einem Erdteil, in der nächsten auf einem anderen. Normalerweise. Die Corona-Lockdowns und -Vorsichtsmaßnahmen verhinderten seit März so manche Ansteckungs-Hot-Spots. Montenegro lud Djokovics Tour wieder aus: keine Einreise für Menschen aus Ländern wie Serbien, die nicht den Covid-19-Einreisestandards Montenegros genügen.
Die gute Nachricht für Fans sowie verdienstbedürftige Spieler und Trainer: Mitte August sollen die offiziellen Profi-Turniere der Weltverbände ATP, WTA und ITF endlich wieder starten. Behutsam, reduziert, aber immerhin: wenn alle Beteiligten mit Bedacht mitziehen. In Deutschland tasten sich seit Mai Profis, die wegen des Lockdowns monatelang arbeitslos waren, in extra konzipierten Turnierserien und Show-Matches wieder an die Wettkampf-Praxis heran. Zunächst weitgehend ohne Zuschauer, unter strengsten Hygiene- und Abstandsregeln.
So auch beim Zweifach-Turnier „bett1ACES" in Berlin, das über die verschobene Premiere des Vor-Wimbledon-Rasenturniers im Steffi-Graf-Stadion hinwegtrösten soll. Mit Hightech für gute Bilder bei der TV-Übertragung und Hochkarätern auf den Plätzen, die um insgesamt 200.000 Euro Preisgeld spielen: Jeweils sechs Damen und Herren kämpfen auf zwei Belägen in den aufeinanderfolgenden Turnieren. Erst vom 13. bis 15. Juli am Centre Court des Steffi-Graf-Stadions im LTTC „Rot-Weiß" im Grunewald auf Rasen, dann vom 17. bis 19. Juli auf Hartplatz im Hangar 6 des ehemaligen Flughafens Tempelhof.
Tommy Haas feiert in Berlin sein Comeback
Mit der zweimaligen Wimbledon-Siegerin Petra Kvitova aus Tschechien, der Ukrainerin Elina Svitolina (WTA-Rang 5) und der Niederländerin Kiki Bertens (WTA-7) verpflichtete der Veranstalter Emotion Group, der in anderen Jahren beispielsweise den Mercedes Cup in Stuttgart und ein 500er-Turnier in Wien organisiert, internationale Spitzenspielerinnen für Berlin. „Enfant terrible" Nick Kyrgios (ATP-40) sowie der italienische Next-Gen-Star Jannik Sinner (ATP-73) dürften ebenfalls attraktive Partien spielen. Der Australier Kyrgios fällt in diesem Jahr durch seine sehr überlegten Äußerungen und Handlungen in Krisensituationen – von den australischen Buschfeuern, über Corona-Restriktionen, bis hin zum Reformbedarf der Tennis-Weltverbände – sehr positiv auf.
Tommy Haas, mit 42 Jahren nur zwei Jahre älter als Roger Federer und ehemals zweitbester Tennisspieler der Welt, feiert sein Comeback in Berlin: „Fehlende Matchpraxis sollte nicht besonders schwer ins Gewicht fallen, denn die Jungs haben durch die Turnierpause ja auch kaum ernstzunehmende Spiele in den Beinen", sagte der in Florida lebende Deutsche. „Thiem, Zverev, Kyrgios – über diese Jungs muss man nicht allzu viel erklären. Das sind absolute Topspieler, die wahrscheinlich schon bald Grand-Slam-Turniere gewinnen werden. Vielleicht gelingt es mir ja, den einen oder anderen noch zu ärgern." Neben den deutschen Top-Spielerinnen Julia Görges und Andrea Petkovic sollen auch Sascha Zverev (ATP-7) und der österreichische Weltranglisten-Dritte Dominic Thiem in der deutschen Hauptstadt dabei sein.
Eigentlich. Wenn keine Quarantänen oder Einreise-Beschränkungen dazwischenkommen. Denn beim Turnier der Adria Tour wurden zwar die serbischen Regeln einigermaßen eingehalten, die seit einigen Wochen wieder Sportevents mit Zuschauern erlauben. Doch das in aller Welt sichtbare Geschehen in Belgrad passte nicht zu den Pandemie-Vorkehrungen in der Bundesrepublik. Djokovic verteidigte wenige Tage danach das umarmungsfreudige Party-Turnier bei Eurosport mit der „neuen Realität" und einem realen Handeln, das von der jeweiligen Situation in unterschiedlichen Regionen der Welt abhänge: „Wir haben nie die uns gesteckten Linien überschritten." Für ihn sei es wunderschön und sehr emotional gewesen, in Belgrad vor so vielen Serben zu spielen. Ein positives Image von Tennis sei in die Welt hinausgetragen worden. Der Präsident der Spielergewerkschaft ATP: „Wir müssen weitermachen, Geld verdienen."
„Wir müssen Geld verdienen"
„Ich möchte nur ein wenig unterhalten", sagte Sascha Zverev, aktuell deutscher Ranglisten-Erster, an jenem 14. Juni bei der Adria Tour, einem sonnigen und 28 Grad warmen Tag, als er vor einer Tribüne, die mit 4.000 Zuschauern dicht besetzt war, gegen Djokovic antrat. In drei verkürzten Sätzen unterlag der Deutsche dem besten serbischen Spieler, den das Land je hatte. Egal. Die Party ging weiter. Nicht einmal ein Meter Abstand war tagsüber auf den Plätzen und Tribünen zu sehen. Ebenso wenig beim feierseligen, über Videos in aller Welt verbreiteten Feierabend im Nachtclub. Das wilde Disco-Treiben von Spielern, Ehefrauen, Freundinnen und weiteren Gästen lieferte Bilder, die irritierend an die Fotos und Filme aus Ischgl erinnern. Dem Tiroler Ski-Ort, über dessen Feierszene sich die Corona-Pandemie in Europa, Studien zufolge, maßgeblich mit verbreitet haben soll. Den Höhepunkt von Tanz, Schweiß und Gesang („Let’s get loud") in Belgrad, im Juni der Immer-noch-Corona-Zeitrechnung, bildeten T-Shirt-Strips und ein silberfarbener Sektkübel auf einem Kopf, der im Rotlicht der bewegten Club-Bilder wohl einem fröhlich feiernden Sascha Zverev zuzuordnen war.
Ein Feuerwerk zuckte ein paar Stunden zuvor über den Himmel von Belgrad, als „Domi" seinen silbrig blitzenden Siegerpokal hoch zum nächtlichen Firmament reckte. Novak Djokovic und alle Unterstützer der „humanitarian" Tour ließen es krachen. Feiern ohne Abwinken, beim „größten Turnier" seit Langem, bei dem es an nichts fehlte, was sich Fans und Spieler wünschten – oder auch nicht.
Dominic Thiem, der das erste Adria-Turnier der Gruppe A gewann, ließ sich gleich bei seiner Rückkehr aus Serbien nach Österreich auf Covid-19 testen: Ergebnis negativ, teilte der Weltranglisten-Dritte einer heimischen Zeitung mit. Via Instagram bedankte sich der Wiener bei Djokovic für „Erinnerungen, die ein Leben lang bleiben werden". Andere hatten weniger Glück: Der zweite Teil der Tour im kroatischen Zadar wurde am darauffolgenden Sonntag vor dem Finale abgebrochen, weil sich Dimitrov aus Monaco meldete, wo er Covid-19-positiv getestet worden war. Borna Coric und Viktor Troicki folgten mit gleichlautenden Hiobs-Botschaften, ebenso Troickis hochschwangere Ehefrau. Trainer, Fitnesstrainer, das fünfjährige Enkelkind eines Restaurantbesitzers, in dessen Gastronomie-Betrieb sich die Tourspieler aufgehalten hatten, haben ebenfalls Corona.
Djokovic und Frau Covid-19-positiv
Schließlich wurden aus Belgrad auch die Testergebnisse für Djokovic selbst und seine Ehefrau verkündet: beide Covid-19-positiv. „Alles, was wir im vergangenen Monat getan haben, haben wir mit reinem Herzen und besten Absichten getan", verteidigte der Weltranglisten-Erste in einem Statement die „philantropische Idee", aus der heraus das Turnier geboren worden sei. „Ich entschuldige mich für jede einzelne Infektion", so der Serbe weiter. „Ich hoffe, dass die Gesundheit von niemandem beeinträchtigt wird."
Wenige Tage zuvor sahen die Zuschauer via Tennis Channel, wie Laura Siegemund und andere Spielerinnen bei der nationalen Turnier-Einladungsserie des Deutschen Tennisbunds (DTB) eigenhändig den Platz abzogen, damit der Profitennis mit so wenig Risiken wie möglich wieder in den Alltag zurückkehren kann. Kein Glanz, keine Böller, aber endlich wieder echtes Tennis, großflächig verteilt.
So soll es auch Mitte Juli in Berlin, mit behördlichen Genehmigungen eines umfassenden Hygiene- und Schutzkonzeptes, zugehen. Eventuell sogar mit ein paar Zuschauern auf Abstand. Ohne Ballkinder, denen verschwitzte Handtücher zugeworfen werden. Statt Linienrichtern wird die Hawk-Eye-Live-Technologie die TV-Zuschauer miterleben lassen, wenn ein Ball im Aus ist. Vielerorts wird Hightech zurzeit hochgefahren, um heimischen Passiv-Sportgenuss zu perfektionieren. Einer Studie von IBM zufolge wünschen sich nur 28 Prozent der Befragten, so schnell wie möglich wieder ins Stadion zurückzukehren.
„Natürlich nehme ich diese beiden Turniere sehr ernst, daher werde ich mich auch entsprechend zielstrebig darauf vorbereiten", sagte Julia Görges, ehemalige Top-Ten-Athletin und aktuell zweitbeste deutsche Spielerin. „Wir werden bei den „bett1ACES" den Tennissport mit einigen revolutionären Neuigkeiten präsentieren", verriet Edwin Weindorfer vom Veranstalter Emotion Group. „Für die TV-Übertragungen, für die weltweit eine große Nachfrage besteht, planen wir unter anderem den Einsatz von Drohnen-Kameras – hier bietet vor allem der Flughafen Tempelhof großartige Möglichkeiten."