Ein weitreichender Rechtsextremismus-Skandal, die bekannten Probleme bei Einsatzbereitschaft und Ausrüstung, der Dauerstreit um die Finanzierung – die Bundeswehr kommt nicht zur Ruhe. Da hilft es auch kaum, dass vieles gut läuft, wie gerade zu Corona-Zeiten. Staatssekretär Peter Tauber über Herausforderungen, veränderte Aufgabenfelder und einen 30-jährigen Sparkurs.
Dass sich die Bundeswehr mit ihren Unterstützungseinsätzen zu Corona-Zeiten viel Anerkennung verdient hat, ist schon ziemlich vergessen. Dafür sorgen die Schlagzeilen um Rechtsextreme in Eliteeinheiten. Für ihr konsequentes Durchgreifen beim Kommando Spezialkräfte (KSK) hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Anerkennung selbst aus Kreisen der Opposition bekommen. Bis zum 31. Oktober soll die Elitetruppe Zeit bekommen, sich zu bewähren. Gelingt ihnen das nicht, so droht die komplette Auflösung der KSK-Spezialkräfte.
„Ich finde es sehr gut, dass Ministerin Kramp-Karrenbauer wie auch die Wehrbeauftragte Eva Högl, sehr deutlich gemacht haben, dass die allermeisten Männer und Frauen in der Bundeswehr über jeden Verdacht erhaben sind und treu diesem Land dienen, aber auch, dass für die, die das nicht verstehen, kein Platz in der Bundeswehr sein kann", betont Verteidigungsstaatssekretär Peter Tauber. „Wie ich persönlich finde, darf für diese Leute überhaupt kein Platz im öffentlichen Dienst sein. Aber in der Bundeswehr ist es noch einmal ein ganz besonderes Problem, denn wir bilden Menschen an der Waffe aus. Wir bilden in Kampftechniken aus." Und dabei sei die Bundeswehr auch ein „Abbild der Gesellschaft". Rechtsextremismus sei ein allgemein gesellschaftliches Problem, das nicht alleine auf die Bundeswehr reduziert werden könne und dürfe. 187 Verdachtsfälle zu Extremismus seien im vergangenen Jahr innerhalb der Bundeswehr gemeldet worden – die meisten davon rechts motiviert. 2016 waren es 61. Den dramatischen Anstieg dieser Zahlen begründet Tauber nicht zuletzt durch die gestiegene Sensibilität der Soldaten. „Man schaut nicht mehr einfach weg."
Noch kurz vor Bekanntwerden der neuerlichen massiven Vorkommnisse in der Spezialeinheit hat die Bundeswehr an anderer Stelle ihr anderes Gesicht gezeigt. Ob als „helfende Hand" in Pflegeeinrichtungen und Gesundheitsämtern, bei der Umsetzung des Lufttransportes europäischer Staatsbürger in ihre Heimat oder beim Herstellen von Desinfektionsmittel – in der Corona-Krise war die Bundeswehr an vielen Stellen vor Ort. „Ich habe vor einigen Wochen die Corona-Abstrichstellen besucht und mir angeschaut, wo unsere Soldaten vor Ort helfen", erinnert sich Peter Tauber, parlamentarischer Staatssekretär des Bundesministeriums für Verteidigung. „Wir haben in dieser Zeit an ganz vielen Stellen geholfen. Dabei kommen wir selbst auch an unsere Grenzen." Denn nicht nur 667 Anträge auf Hilfeleistungen wurden im Inland gestellt, sondern ebenso gingen 46 Anträge von 31 Staaten weltweit bei der Bundeswehr ein. „Das war wirklich beeindruckend. Das hat toll funktioniert. Da ging es um etwas, und alle haben zusammengehalten", sagt Tauber.
„Das Ganze verstellt aber ein bisschen den Blick auf das, was wir eigentlich machen: Wir sind Streitkräfte", so Tauber. „Wir sollen die Sicherheit dieses Landes und der Bündnisse gewährleisten." „Bis zum Fall der Mauer waren wir eine Armee der Landes- und Bündnisverteidigung, nach dem Fall der Mauer eine Armee im Einsatz. Das Besondere an der Bundeswehr aktuell ist, dass wir inzwischen aber beides sind", erklärt der CDU-Politiker. „Mit einer kleiner gewordenen Streitkraft beides abzubilden, in Ausbildung, in Ausrüstung, in den Übungseinheiten, ist eine enorme Herausforderung für die Bundeswehr."
„Nächster großer Konflikt beginnt nicht mit einem Panzer"
Eine der zentralen Aufgaben der Bundeswehr sei es, einsatzbereite Streitkräfte vorzuhalten. Das beinhaltet aber schon lange nicht mehr nur den Luft-, See- und Landraum. „Hinzu kommen neue Handlungsfelder. Der nächste große Konflikt beginnt nicht mit einem Panzer, der über eine Grenze fährt. Er wird digital beginnen. Mit hybrider Kriegsführung. Einflussnahme von anderen Mächten auf demokratische Wahlen im freien Westen, wie wir sie teilweise jetzt schon erleben." Das bedarf auch eines erheblichen Ausbaus der Digitalisierung innerhalb der Bundeswehr. „Die Digitalisierung ist auch für die Streitkräfte eine enorme Herausforderung. Nicht nur, was Führung im Gefecht betrifft, sondern auch, was Verwaltungsprozesse angeht. Um schneller und effizienter zu werden, aber auch zur Abwendung von Gefahren und Bedrohungen", sagt Tauber. So ist es im Falle eines Hackerangriffs von zentraler Bedeutung, nachvollziehen zu können, von wo aus dieser Angriff stattfindet und wer der Angreifer ist, um daraus ableiten zu können, welche Motive hinter der Attacke stecken. Doch nicht nur der Cyberraum wird in der Zukunft eine immer größer werdende Rolle spielen: „Das ist ein Feld, dem wir uns zuwenden müssen. Dasselbe gilt auch für den Weltraum." Dazu gehört auch das im Jahr 2009 eingerichtete Weltraumlagezentrum in Uedem.
Alles Aufgaben, für deren Erfüllung insbesondere auch eins wichtig ist: die finanziellen Mittel. „Es ist eine große Leistung der beiden Ministerinnen, sowohl Ursula von der Leyen als auch jetzt Annegret Kramp-Karrenbauer, dass wir es geschafft haben, den Etat des Bundesverteidigungsministeriums konsequent weiter zu steigern", lobt der Staatssekretär. 45,2 Milliarden Euro sind im Bundeshaushalt für das Verteidigungsministerium vorgesehen – das entspricht 9,33 Prozent des Gesamthaushaltes in Höhe von rund 485 Milliarden Euro. „Der Einzelplan unseres Ressorts wächst gegenüber dem Gesamthaushalt überproportional", so Tauber. „Aber trotzdem sind die Regale noch leer, trotzdem fehlen Ersatzteile und Ausrüstung." Dabei habe man „diese positive Kurve" bereits seit sechs Jahren. „Das liegt an 30 Jahren sparen", erklärt er. 30 Jahre, die auf „Kosten der Streitkräfte" gegangen seien. „Aber 30 Jahre Sparkurs haben auch einen Grund. Unsere Gesellschaft hat nicht verstanden, dass man vielleicht ein bisschen mehr in Sicherheit hätte investieren müssen. Wenn wir 2009 oder 2013 einen Wahlkampf geführt und uns gefragt hätten: Was möchten die Menschen denn lieber? Kostenlose Kindergärten oder gut ausgerüstete Streitkräfte? Wenn wir uns mal ehrlich in die Augen schauen – als Parteien, als Bürger – wissen wir, was die Mehrheit gesagt hätte." Diese Defizite versuche man nun aufzuholen. „Aber das geht nicht in fünf oder sechs Jahren. Das wird noch seine Zeit brauchen", stellt der Politiker klar. „Trotzdem sieht man es teilweise in den Truppen, dass etwas besser wird. Die Einsatzbereitschaft von großen Systemen wird langsam besser, es gibt inzwischen eine bessere Ausstattung und besseres Material, bessere Infrastruktur. Aber – noch mal – es dauert seine Zeit, bis diese Investitionen flächendeckend wirken werden."
„Hoch angesehen in der Welt"
Diese Mittelerhöhung schlägt sich auch im Nato-Bündnis zu Buche: „Niemand im Bündnis hat den Etat so erhöht, wie wir das getan haben", so Tauber, fügt aber auch hinzu: „Wir kommen natürlich auch von einem niedrigen Level, keine Frage, aber dass Deutschland sich nicht anstrengen würde, seine Verpflichtungen in der Nato zu erfüllen, das kann man wahrlich nicht behaupten." Dabei ginge es nicht nur allein um das Geld: „Wir sind zweitgrößter Truppensteller in Afghanistan, wir sind im Baltikum dabei mit unseren Kräften. Wir tun viel, um unsere Verpflichtungen in der Nato zu erfüllen." Insgesamt etwa 17.000 Soldaten befinden sich aktuell gemeinsam mit den Bündnispartnern von Nato, Vereinten Nationen und der Europäischen Union in Auslandseinsätzen. „Wir sind hoch angesehen in der Welt – als verlässliche Partner", sagt Tauber. „Es ist schwierig genug gewesen, das zu erreichen, und es ist eine große Leistung unserer Nation, dass wir heute, 75 Jahre nach Kriegsende, überall auf der Welt gern gesehene, anerkannte und verlässliche Partner sind. Ich finde, das sollte so bleiben. Dafür müssen wir aber viel mehr tun."
Eine Diskussion, die der Staatssekretär dabei nicht gern führt, ist die um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Vor 18 Jahren wurde dieses zum Nato-Gipfel in Prag beschlossen und besagt, dass jeder Mitgliedstaat zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Verteidigung investieren solle. Ein Richtwert, der oft in die Kritik gerät, jüngst aber wieder durch US-Präsident Donald Trump ins Gespräch kam, der die anderen Nato-Mitglieder dazu aufforderte, ihren Etat zu erhöhen. „Unser Anteil wächst jetzt auf ungefähr 1,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes", so Tauber. Für mehr fehlt das Geld. „Wir brauchen da eine andere Diskussion. Wir müssen uns fragen: Welche Fähigkeiten soll die Bundeswehr haben – für sich selbst und im Bündnis – und was kostet das. Und dann müssen wir entscheiden. Nur allein das Zwei-Prozent-Ziel oder das Bruttoinlandsprodukt als Maßgabe wird uns bei der Frage, wie wir es schaffen, die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte zu erhöhen, nicht helfen."
Die Pflichten sind aber nicht allein durch finanzielle Mittel zu erfüllen. „Wir brauchen Männer und Frauen, die bereit sind, diesem Land zu dienen", so Tauber. Wo im Jahr 2016 noch rund 185.000 Menschen im militärischen Dienst tätig waren – darunter Berufssoldaten, Reservisten, freiwillig Wehrdienstleistende und Zeitsoldaten – sollen im Jahr 2027 rund 203.300 Menschen tätig sein. Besonders im Bereich der Berufs- und Zeitsoldaten soll es einen Zuwachs von 16.300 Personen geben. Die Bewerberzahlen seien gut, insbesondere, was die Offizierslaufbahn betreffe. „Die Gruppe der Soldatinnen und Soldaten ist heterogener geworden als zu Wehrpflichtzeiten", merkt Peter Tauber an. „Heute haben wir Menschen, die bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, die vielleicht schon eine Familie gegründet haben. Menschen, mit eigenen Lebenserfahrungen. Das ist für die Ausbildung eine große Herausforderung, es ist aber auch eine Bereicherung für die Streitkräfte."
Ausrüstungs- und Ersatzteilemangel
Um aber Bewerber zu locken, muss man diesen auch etwas bieten. Dazu gehört auch eine gute Ausstattung, weiß Tauber. Vor diesem Hintergrund wird oft über eine mangelnde Einsatzbereitschaft in Sachen Ausstattung berichtet. „Wir haben mehrere Herausforderungen. Einerseits fehlen oft die Ersatzteile", so Tauber. Für ältere Gerätschaften gäbe es teilweise keine richtigen Ersatzteile mehr, während es für die neue, sich teilweise noch in der Erprobung befindende Ausrüstung oft noch keine Ersatzteile in ausreichender Menge gäbe. Dies liege unter anderem daran, dass man noch gar nicht genau sagen könne, welche Teile besonders anfällig sind. Da die Bundeswehr deutlich mehr Übungen durchführe als früher, habe auch der Verschleiß zugenommen.
Doch auch der Neukauf von Fahrzeugen ist nicht so einfach. „Das sind Systeme, die hochkomplex sind", erklärt der CDU-Mann. Neues und modernes Material sei „in Zulauf", doch sei es nicht abzustreiten, dass vieles „noch viel zu lange dauert". Neue Systeme hätten oft „Kinderkrankheiten", die sich erst in der weiteren Entwicklung und Erprobung beheben lassen. „Darüber gibt es aber leider nicht im gleichen Maße Berichte, wie über die Kinderkrankheiten am Anfang", so Tauber. „Ein Großteil der Berichterstattung dreht sich darum, was gerade nicht gut läuft. Dieses kritische Hinschauen ist auch Aufgabe der Presse. Es ist für die Männer und Frauen der Streitkräfte aber nicht immer so leicht, denn viele Dinge funktionieren."