Der Vorschlag der Grünen, den Begriff „Rasse" im Grundgesetz durch eine andere Formulierung zu ersetzen, hat eine notwendige Debatte ausgelöst. Befürworter und Gegner haben gute Argumente aufzubieten.
PRO
Streichen
Der Begriff „Rasse" hat im Grundgesetz nichts mehr verloren.
Rassen gibt es nicht, jedenfalls nicht bei Menschen. Die Einteilung in vier „Racen" auf der Welt, wie sie der Aufklärer Immanuel Kant für möglich und sinnvoll hielt, ist genauso unsinnig wie die Begriffe „Germanische", „Romanische" und „Semitische Rasse", über die sich der Dichter Heinrich Heine wenige Jahrzehnte später lustig machte. Nochmal ein Jahrhundert später herrschte Entsetzen über das, was der Glaube an Rassen – und vor allem eine darauf beruhende Wissenschaft – angerichtet hat.
Die Väter des Grundgesetzes glaubten, daraus die richtige Lehre zu ziehen, indem sie formulierten, niemand dürfe (neben anderen Kriterien) „wegen seiner Rasse" benachteiligt werden. Da waren eben jene 1949 natürlich ihrer Zeit verhaftet, was man ihnen nicht vorwerfen kann. Rasse war damals ein Begriff der Alltagssprache, den nicht nur die Nazis gebrauchten. „Rasse" hatte damals als Bezeichnung einer Eigenschaft auch noch eine zweite Bedeutung, nämlich: kraftvoll, stark. Heute ist es in der Wissenschaft und allen Menschen, die darüber nachdenken, klar, dass der Begriff sinnlos ist. Es unterstellt „natürliche", immerwährende Unterschiede zwischen Menschen, wo in Wirklichkeit Prägungen und Anpassungen herrschen.
Schon vor fast 20 Jahren forderten einige Staaten und Wissenschaftler von den Vereinten Nationen daher, in der Antirassismus-Konvention den Begriff Rasse zu streichen, da dieser die Existenz von Rassen unterstelle. Ist allein das schon Rassismus?
Was ist Rassismus? Er beruht auf einem Glauben, mehr oder weniger diffus, an die Existenz von Rassen. Ist aber allein schon der Glaube an Rassen Rassismus, oder entsteht er erst bei der Abwertung anderer Rassen? Ist also schon jemand, der sagt, er finde ja die anderen Rassen genauso gut, aber es seien eben andere Rassen, ein Rassist? Darum geht der Streit heute im Kern. Manche könne das nicht verstehen. Wenn es so wäre, dann wäre das Grundgesetz eigentlich auch rassistisch. Das wäre ein krasser Vorwurf, aber konsequent gedacht wäre es dann so.
Nun gibt es Juristen, die sagen, es gebe zwar objektiv keine Rassen, aber als soziales Konstrukt eben doch. Und als juristisches Konstrukt sei es sehr nützlich, um gegen Rassismus vorzugehen. Das kann einer nicht so gut beurteilen, wenn er kein Jurist ist. Aber es spricht daraus eine seltsame Arroganz. Wir müssten demnach auf dem Begriff in unserem Grundgesetz bestehen, obwohl er sinnlos ist, denn er hilft den Juristen als Hilfskonstruktion. Das aber geht nicht: Die wichtigsten Begriffe einer Verfassung muss jeder verstehen können. Jeder Bürger muss mit ihnen etwas anfangen können, auch wenn nicht jeder eine perfekte Definition aufsagen können muss. Die Verfassung ist nicht nur für Juristen da. Sie muss zu einer gelebten Verfassungswirklichkeit werden, und das geht nur, wenn ihre Begriffe für die Menschen sinnvoll sind.
Wie umstritten der Begriff, der über zwei Jahrhunderte so viel Unheil verursacht hat, von Beginn an war, zeigen Worte eines Zeitgenossen Kants. Der Philosoph Johann Gottfried Herder, der sich ansonsten wahrlich sehr für die Unterschiede zwischen den Menschen interessierte, sah dennoch „keine Ursache dieser Benennung. Weder vier oder fünf Rassen, noch ausschließende Varietäten gibt es auf der Erde", so Herder. Das war schon 1785.
Streichen wir „wegen seiner Rasse" und schreiben stattdessen: Niemand darf „rassistisch benachteiligt oder bevorzugt" werden. Das trifft es besser. Hubert Beyerle
Contra
Nicht streichen
Der Begriff „Rasse" steht aus gutem und gewichtigem Grund im Grundgesetz. Ersatzvorschläge dazu überzeugen nicht.
Es ist gut und angebracht, sich in gewisser Regelmäßigkeit mit den zentralen Artikeln unseres Grundgesetzes zu beschäftigen. Nichts von dem, was dort festgehalten ist, ist selbstverständlich, im Gegenteil. Alles, was dort über grundlegende Prinzipien für unser Zusammenleben festgeschrieben ist, ist hart und unter Opfern erkämpft und errungen. Und geprägt von den jeweiligen Entwicklungen. Weil sich Gesellschaften und Verhältnisse weiterentwickeln, ist es legitim, sich den selbst gesetzten Grundlagen immer wieder zu vergewissern.
Eine Diskussion um Vorschläge zu Änderungen in den Essentials des Grundgesetzes muss die unterschiedlichen Ebenen von Argumentationen unterscheiden, auch wenn das nicht immer trennscharf möglich ist. Verfassungsjuristen argumentieren anders als Politiker oder Naturwissenschaftler, und die wiederum anders als manche gesellschaftlicher Diskussionen der Fall ist.
Die Forderung, den Begriff „Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen zugunsten anderer Formulierungen, steht vor dem Hintergrund bekannter gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen.
Das Argument für die Streichung ist die wissenschaftliche Erkenntnis, dass der Begriff von menschlichen Rassen „völlig obsolet" ist und bereits vor 25 Jahren auf einer Unesco-Konferenz quasi amtlich war. Das wissenschaftliche Argument trifft aber nicht den eigentlichen Kern. Das Grundgesetz behauptet nicht, dass es menschliche Rassen gebe.
Die Väter und Mütter im Parlamentarischen Rat hatten die erschütternde Erfahrung, dass es Rassismus gibt und wohin der führen kann. Die Formulierungen, dass niemand wegen Geschlecht, Abstammung, Sprache, Heimat und Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen oder politischen Anschauung bevorzugt oder benachteiligt werden darf, hatte schon das Wesentliche erfasst.
Deshalb darf der ausdrückliche Zusatz „Rasse" als immerwährende warnende Antwort auf das interpretiert werden, wozu Rassismus führen kann, wozu Rassisten fähig sein können. Nun ließe sich argumentieren, die statt „Rasse" von den Grünen vorgeschlagenen Ergänzung, niemand dürfe „rassistisch bevorzugt oder benachteiligt" werden, entspreche diesem Anliegen.
Wer einmal in Ausschwitz, Birkenau oder einer der anderen Gedenkstätten war, wird dem entgegenhalten: Da ging es nicht um Bevorzugung oder Benachteiligung. Und auch bei den Ereignissen, die die neue Debatte ausgelöst haben, ging es um Leben und Tod. Dagegen erscheinen Formulierungen wie das Verbot, „rassistisch bevorzugt oder benachteiligt" zu werden, etwas dünn.
Ergänzt worden ist das Grundgesetz im Laufe der Jahre immer wieder. Der Vorschlag ist aber nicht eine Ergänzung, sondern das Streichen eines Begriffs mit all seinen tiefgehenden Implikationen und Dimensionen. Wer das will, muss eine Formulierung vorschlagen, die in der Aktualisierung auch dem schwerwiegenden historischen Vermächtnis und der immerwährenden Warnung Rechnung trägt. Das ist ein hoher Anspruch, der über Antworten auf aktuelle Entwicklungen weit hinaus geht. Es ist der zeitlose Anspruch an das Fundament unseres Zusammenlebens. Ja, das Wort „Rasse" ist, naturwissenschaftlich gesehen, „obsolet". Als Begriff im Grundgesetz steht er für eine der zentrale Lehren aus dem vorigen Jahrhundert. Solange es keinen Vorschlag gibt, der dieser Tiefe gerecht wird, soll er bleiben. Oliver Hilt