Der Pastis ist das Nationalgetränk der Franzosen. Ursprünglich entstanden ist seine Geschichte allerdings Ende des 18. Jahrhunderts in der Schweiz – als Elixier gegen Magenleiden.
Endlich Urlaub. Wie so oft starte ich mit meiner Frau und unserer Beaglehündin Emma Richtung Süden – noch vor Beginn der Corona-Pandemie in Europa. Wenn man Glück hat, kann man Mitte Februar in der Provence bereits die warme Sonne auf der Haut spüren. Wir haben Glück. Als das Burgund und Lyon hinter uns liegen, zeigt sich erstmals die Sonne. In den nächsten zehn Tagen erleben wir eine wolkenfreie, himmelblaue Landschaft bei Temperaturen bis 26 Grad.
Diesmal haben wir uns unter anderem vorgenommen, auf den Spuren des Pastis zu wandeln. Eines unsere Ziele ist Marseille, die Wiege des französischen Kultgetränks. Zuvor steht noch ein Besuch in Saint-Romain im Tal der Drôme auf dem Programm sowie das kleine Städtchen Nyons im Tal der Eygues.
In Dorfrandlage Saint-Romains befindet sich das Weingut von Raymond Fabre. Dort haben wir bereits mehrmals einen wunderbaren Pastis gekauft, den Raymond in seiner Destillerie selbst herstellt. Die Mischung der Kräuter sowie die Schwebstoffe, die man in der Flasche sehen kann, führen zu einem außergewöhnlichen Geschmackserlebnis. Diesmal haben wir allerdings Pech. Alles ausverkauft!
In Nyons im Herzen des Regionalen Naturparks Baronnies Provençales und bekannt für seine schwarzen Oliven ist uns das Glück dagegen hold. In der Altstadt am alten Markt befindet sich ein kleines Geschäft mit regionalen Produkten. Dort haben wir vor einigen Jahren den „Pastis bleu" entdeckt – und lieben gelernt. Die letzten Flaschen können wir erstehen. Der Sommer im Garten kann kommen.
Diamant Bleu ist ein Genuss-Juwel
Auf dem Weg nach Marseille machen wir einen Abstecher nach Forcalquier, der Stadt der Aromen und Düfte. Die „Distilleries et Domaines de Provence" produzieren unter dem Herkunftslabel „made in Provence" feinsten Henri Bardouin Pastis, ein absolutes Spitzenprodukt. Unter der Marke „Diamant Bleu" produziert die Destillerie auch einen blaufarbenen Pastis: sehr empfehlenswert. Unweit der heutigen Destillerie befindet sich die Boutique Dégustation Henri Bardouin, ausgestattet mit alten Destilliergerätschaften, die vor dem Gebäude aufgebaut sind.
In Marseille darf für Pastis-Liebhaber ein Besuch des Maison du Pastis nicht fehlen. Das Geschäft befindet sich am Vieux Port, Quai du Port 108. Über 75 verschiedene Sorten Pastis und Absinth kann man nicht nur kaufen, viele sind auch direkt im Laden zu probieren. Etwas versteckt liegt das Maison Janot im Herzen von Marseille unmittelbar am Place des 13. Cantons. Die Verkaufsräume von Cristal Limiñana findet man am Boulevard Jeanne d’Arc.
Es mag für viele überraschend klingen, doch die Geschichte des Pastis begann nicht in Frankreich, sondern in der Schweiz. Ende des 18. Jahrhunderts mixten die Apothekerschwestern Henriod ein Elixier aus Anis und Wermuth gegen Magenleiden. Der aus dem Kanton Neuenburg stammende Major Dubied witterte ein gutes Geschäft mit dem wohlschmeckenden Getränk und kaufte das Rezept der Schwestern. Gemeinsam mit seinem Schwager Henri-Louis Pernod bauten sie in Couvet eine Destillerie für Absinth. Im französischen Pontarlier gründete Pernod 1805 eine zweite Destillerie. Sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich entstanden viele Nachahmer. Um 1850 berichtete man immer häufiger über süchtig machende Halluzinationen. Es waren die Folgen des zu häufigen Absinth-Genusses. Von Künstlern und Intellektuellen wie Picasso, Cézanne, van Gogh und Oscar Wilde wurde das Modegetränk Grüne Fee aufgrund seiner berauschenden und erotisierenden Wirkung hoch geschätzt. Ein spektakulärer Mordfall, bei dem ein Mann im Absinthrausch seine gesamte Familie umbrachte, führte 1914 zum Verbot der Herstellung und somit dem offiziellen Genuss von Absinth.
Pastis bedeutet so viel wie „Mischung"
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts produzierte beinah jede Familie heimlich ihren eigenen Aperitif. Es entstanden unzählige Variationen aus aromatischen Pflanzen der Provence. Dabei entwickelte sich der anisbasierte Pastis zu einem der beliebtesten. Übrigens heißt Pastis auf Okzitanisch so viel wie „Mischung".
Der Hafen von Marseille war Anfang des 20. Jahrhunderts der Hauptumschlagplatz Europas für wertvolle Gewürze. Paul Ricard, 1909 in Marseille geboren, Kleinunternehmer und Künstler, entschloss sich mit 32 Jahren, einen eigenen Pastis zu entwickeln, der dem verbotenen Absinth nahekommen sollte. Ab 1932 waren Anisgetränke mit einem Alkoholgehalt von 40 Volumenprozent erlaubt. Schnell hatte er eine wohlschmeckende Mixtur zusammengestellt, die er unter dem Namen „Marseille Pastis" auf den Markt brachte. Das erste Mal stand auf einem Etikett der Name Pastis. Ricard entwickelte den Slogan „Ricard, le vrai Pastis de Marseille" und verteilte in den Bars seine von ihm entworfenen gelben Karaffen, deren Tülle die Eiswürfel zurückhält. In den ersten acht Monaten verkaufte er allein in Marseille eine viertel Million Flaschen.
Rasch etablierten sich rund um Marseille weitere Hersteller. Der petite jaune, der kleine Gelbe, avancierte zum Kultgetränk. 1975 fusionieren die beiden größten Pastishersteller unter dem Namen Pernod Ricard.
Bis in die heutige Zeit ist Pastis das französische Kultgetränk. Durchschnittlich trinkt jeder Franzose alle drei Tage zwei Zentiliter. Insgesamt werden in Frankreich pro Jahr 130 Millionen Liter Pastis hergestellt und konsumiert. Neben Pastis 51 und Ricard haben sich weitere Hersteller einen Namen gemacht. Henri Bardouin (Goldmedaillengewinner 2008) produziert für den High-End-Markt komplexere und verfeinerte Pastis. Er ist etwas weicher und runder mit exquisiten Kräuteraromen – und eines meiner Lieblingsgetränke. Casanis und Marseillais Duval werden in derselben Destillerie hergestellt.
Pastis oft Auch Grundlage für viele Mixgetränke
Weitere Firmen wären Berger Pastis de Marseille, Cigalis (produziert auch einen Pastis ohne Alkohol), Pastis Janot, Pastis Homs (Goldmedaille 2016 und 2017) sowie Cristal Limiñana. Die 1884 gegründete Firma ist noch immer in Familienbesitz und eine der wenigen, die noch in Marseille produziert. Die Flasche ist durch ihre sechseckige Form sehr markant. Dazu kommen einige Eigenmarken von Supermärkten sowie lokale Brennereien im Hinterland der Provence.
Auch im benachbarten Saarland gibt es inzwischen zwei Hersteller: Der Pastis de la Sarre wird in Tholey von Franz Eckert, Brenner- und Destillateurmeister, produziert. Für Etikett und Karton des Pastis erhielt die Brennerei im vergangenen Jahr den Staatspreis für Design. Die Brennerei Franz Penth in Lebach vertreibt unter dem Label „Bernard" ebenfalls einen Pastis. Und auch aus Llucmajor auf Mallorca steht inzwischen ebenfalls ein Pastis in
meinem Regal.
Die gängige Variante, Pastis zu genießen, ist mit Wasser oder auf Eis. So findet sich Pastis auch als Longdrink oder Cocktail auf den verschiedensten Getränkekarten. Gern wird er als Mixgetränk mit Cola, Orangensaft und Bitter Lemon angeboten. Man kennt ihn als „Tomate" mit Grenadine-Sirup, als „Pelican" mit dem Likör Get 27 oder als „Diesel" – einem Pastis-Weißwein-Gemisch. Weitere Varianten wären Pastis im Kaffee – Café électrique – oder der Cocktail „New Yorker" mit Pastis, Whisky und Soda. Beliebt ist außerdem der Mauresque, das ist ein Pastis mit Mandelsirup und eiskaltem Wasser, oder auch der Perroquet, ein fruchtiger Cocktail mit Pastis, Pfefferminzsirup und Eiswürfeln. Der Perroquet Jaune wird dagegen mit einem Teil Pastis, drei Teilen Chartreuse Jaune und zwei Teilen Aprikosenlikör getrunken.
Bis zu 70 verschiedene Kräuter
Wer in Frankreich einen „Momie" bestellt, erhält in den meisten Fällen die halbe Portion. Ein „Gainsbourg" wiederum bedeutet, einen doppelten Pastis 51 zu bestellen, das Lieblingsgetränk des Sängers Serge Gainsbourg. Ernest Hemingway war einer der erfolgreichsten und bekanntesten US-amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. 1953 erhielt er den Pulitzer-Preis für seine Novelle „Der alte Mann und das Meer" und 1954 den Literaturnobelpreis. Hemingway kreierte einen besonderen Cocktail mit Pastis und Champagner (ursprünglich mit Absinth) und nannte ihn „Death in the afternoon".
Der für die „Süddeutsche Zeitung" schreibende Journalist Tobias Haberl schreibt am Ende einer Reportage über Pastis: „Pastis ist ein unaufgeregter, dabei eleganter und poetischer Drink – nicht nur, aber auch wegen des Louche-Effekts, der eintritt, wenn der bronzefarbene Schnaps mit Eiswasser vermengt in ein milchiges Weißgelb umschlägt. Pastis ist süffig, erfrischend und enthält bis zu 70 verschiedene Kräuter, Heilpflanzen und Gewürze; Pastis ist Medizin, die schmeckt." Besser kann man es nicht beschreiben.