Immer wieder muss der Mensch Entscheidungen treffen. Gelingt uns das besser, wenn wir mehr Auswahlmöglichkeiten haben? Und wie kann in einer modernen Welt überhaupt eine gute Entscheidung aussehen?
Der richtige Partner, der richtige Job, der richtige Wohnort – ständig müssen wir Entscheidungen treffen. Dabei überlegen wir längst nicht nur bei größeren Lebensfragen. Egal ob im Supermarkt, beim Kleiderkauf oder der Urlaubsplanung, überall werden Entscheidungen von uns verlangt. Welche der 20 verfügbaren Käsesorten soll ich wählen? Welche der zahlreichen Jeans betont meine Figur am besten? Und hat mein Hotel tatsächlich das beste Preis-Leistungs-Verhältnis oder wäre ein anderes besser?
Doch führen all diese Auswahlmöglichkeiten tatsächlich dazu, dass wir eine bessere Entscheidung treffen? Dass es uns gar besser geht, weil wir unter einer Vielzahl von Angeboten, das für uns beste wählen können? Im Jahr 2000 entdeckten die Psychologen Sheena Iyengar und Mark Lepper ein Phänomen, das sie den „Choice Overload", die Entscheidungs-Überlastung nannten. In einer Reihe von Experimenten ließen sie ihre Teilnehmer immer wieder Entscheidungen fällen. So sollten diese etwa Marmelade probieren. In einem Gourmetladen mit sechs verschiedenen Sorten kauften 30 Prozent der Teilnehmer nach dem Probieren ein Glas. Standen 24 Geschmäcker zur Auswahl, kauften nur drei Prozent der Teilnehmer etwas. Zudem sollten die Probanden entweder aus sechs oder 30 Gourmet-Schokoladen ihre Lieblingsschokolade aussuchen. Diejenigen, die nur aus sechs Sorten wählen durften, zeigten sich im Anschluss zufriedener mit der eigenen Wahl. Als die Teilnehmer entscheiden durften, ob sie ihre Studienteilnahme lieber mit Geld oder Schokolade vergütet sehen wollten, wählten die Testpersonen, die sechs Schokoladen zur Auswahl hatten, häufiger die Schokolade als das Geld. Das Fazit der Forscher: Das menschliche Gehirn zeigt bei zu großer Auswahl Lähmungserscheinungen. Statt bessere Entscheidungen zu treffen, fühlen sich die Entscheider eher demotiviert.
Zu viele Auswahlmöglichkeiten sind nicht gut
„Angebot ist das Dogma der westlichen Welt", glaubt der amerikanische Psychologe Barry Schwartz, der das Buch „Paradox of Choice. Why more is less" geschrieben hat. Er hat sich die Mühe gemacht, in einem Supermarkt einmal nachzuzählen. Das Ergebnis: 285 Kekssorten, 75 Eisteesorten, 175 Salatdressings, 230 Suppensorten und 40 Sorten Zahnpasta. Schwartz vertritt die Ansicht, dass mehr Auswahl ab einem bestimmten Punkt nicht zu mehr Freiheit, sondern bloß zu mehr Stress führt. Selbst wenn man sich für eine von vielen Möglichkeiten entschieden habe, so der Psychologe, sei man damit oft unzufrieden. Denn mit der Anzahl der Optionen steigen auch die Ansprüche. Er erklärt das gerne anhand von Jeans. Früher, so argumentiert der Psychologe, hätte man vielleicht ein oder zwei, möglicherweise schlechtsitzende Jeansmodelle zur Verfügung gehabt. Mittlerweile müsse man sich aber zwischen Slim Fit, Straight Leg, Skinny, Loose Fit und zahlreichen anderen Varianten entscheiden. Die Erwartung habe sich von „ich brauche eine neue (zunächst schlechtsitzende) Jeans" zu „bei so viel Auswahl muss ich die bestsitzende Hose finden" geändert. Und selbst wenn man den Laden mit einer scheinbar maßgeschneiderten neuen Jeans verlässt, denke man: „Vielleicht hätte ich noch besser wählen können." Barry Schwartz glaubt, dass die Vielzahl der Auswahlmöglichkeiten eigentlich dazu führt, dass wir ein besseres Leben haben. Das Blöde daran: Wir merken es nicht, denn mit diesen Auswahlmöglichkeiten steigen eben auch unsere Erwartungen. „Es geht uns heute besser als früher, aber wir fühlen uns schlechter", so der Psychologe.
Tatsächlich belegen auch Langzeitstudien, dass die durchschnittliche Zufriedenheit der Menschen in vielen Ländern sinkt, obwohl das Angebot der Karrierewege, der Lebensstile und der Konsumgüter steigt. Schwartz vermutet einen Zusammenhang und geht zudem davon aus, dass diese Entwicklung auch mit der gestiegenen Depressionsrate in vielen westlichen Ländern in Verbindung steht. Dabei kommt auch eine weitere Auswirkung der vielen Auswahlmöglichkeiten ins Spiel: die Frage nach dem Schuldigen. Während die bei zwei schlechtsitzenden Jeansmodellen schnell geklärt war und man das Kneifen der Hose auf die Modeindustrie oder die Welt im Allgemeinen schieben konnte, sei der Mensch heute geneigt, sich selbst infrage zu stellen. Denn muss nicht der, der zig Modelle zur Auswahl hat, auch das genau passende finden? Viel Denkarbeit vor einer Entscheidung, Reue, verpasste Möglichkeiten und hohe Erwartungen führen letztlich dazu, dass viele ihre Wahl nicht richtig genießen und wertschätzen könnten.
Wer sich schwer tut mit Entscheidungen, ist heutzutage also keinesfalls alleine. Das hängt damit zusammen, dass wir in einer „totalen Multioptionsgesellschaft" leben, schreibt Oliver Jeges. Der österreichische Journalist ist Autor des Buches Generation „Maybe. Signatur einer Epoche". Jeges glaubt, dass die Entscheidungsunfähigkeit eine Frage der Generation sei. Schuld daran, so glaubt er, ist der Liberalismus. „Herkömmliche Grenzen verschwimmen", „neue Grenzen gibt es keine". Es fehlten „Halt und Orientierung", es gebe „gar keine Regeln mehr".
Viele können ihre Wahl heute nicht mehr wertschätzen
Andere haben eine optimistischere Sicht auf die Dinge. Die Philosophin Ruth Chang etwa. Sie hat sich mit der Philosophie des Entscheidens beschäftigt und den Ted Talk „Wie man schwierige Entscheidungen fällt" gehalten. Inspiriert dazu hat sie ihre eigene Lebensgeschichte. Erst machte sie einen Abschluss in Philosophie, einem Fach, das sie inhaltlich interessant fand, aber für wirtschaftlich unsicher hielt. Deshalb folgte ein zweiter Abschluss in Jura, einem Fach, das sie inhaltlich nicht so interessant, aber dafür sicherer fand. Schließlich schwenkte sie um, wurde zunächst Philosophie-Professorin, arbeitet derzeit aber wieder als Professorin für Rechtswissenschaft an der Oxford University. Ihre These: Wenn eine Option eindeutig besser ist als die andere, dann ist die Entscheidung leicht. Zum Beispiel: Eine Brezel plus Kaffee kostet 3,10 Euro. Eine Brezel plus Kaffee inklusive eines süßen Teilchens nach Wahl kostet 2,95 Euro. Man wundert sich zwar über die Preisgestaltung, aber die Entscheidung ist leicht.
Mit schweren Entscheidungen hingegen verhält es sich anders: Eine Brezel plus Kaffee kostet 3,10 Euro. Zum gleichen Preis gibt es ein süßes Teilchen plus Kaffee. Die Portionen sind gleich groß und beide scheinen lecker. Wer keine klare Vorliebe für Süßes oder Deftiges hat, kann hier auf eine schwere Entscheidung stoßen: Keine der beiden Optionen ist eindeutig besser.
Schwere Entscheidungen müssen nicht wichtig sein, aber viele wichtige Entscheidungen sind schwer: Soll ich in der Stadt leben oder auf dem Land? Eine Familie gründen oder Single bleiben? Philosophie studieren oder Jura? Die Krux: Bei schweren Entscheidungen neige der Mensch zum Glauben, er bräuchte nur mehr Informationen, um die richtige Entscheidung zu fällen. Das wiederum führt ihn zu Beratungen, Büchern und Pro-und-Contra-Listen. Ruth Chang hält dieses Verhalten für wenig hilfreich. Egal, wie lange man über eine schwere Entscheidung nachdenke, man würde nie zu einem Ergebnis kommen, das so unzweifelhaft richtig sei wie die bessere Option bei einer leichten Entscheidung. Das Dilemma, dass es sowohl für die eine als auch für die andere Option gute Argumente gibt, bleibe.
Oft ist es besser, auf das Bauchgefühl zu hören
Daran müsse man nun aber nicht verzweifeln, glaubt Chang. Stattdessen sollte man schweren Entscheidungen ihrer Ansicht nach lieber dankbar sein. Sie erlaubten uns, „Autorenschaft über das eigene Leben zu übernehmen". Man müsse nämlich für sich selbst definieren, was für ein Typ man sei, welche Werte man für besonders wichtig halte und welche Lebensart man einer anderen vorzöge. Wirklich frei sei letztlich nur, wer schwere Entscheidungen träfe, die ihm niemand abnehmen könne.
Wie also kann eine gute Entscheidung aussehen? Was macht sie aus und wie können wir sie treffen? Der vermutlich wichtigste Schritt ist, sich vom Ideal einer perfekten Entscheidung zu verabschieden. Wer bloß grübelt, noch mehr Informationen anhäuft und währenddessen versucht, sich alle Optionen offenzuhalten, betrügt sich selbst. Der Psychologe Gerd Gigerenzer, der das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung leitet, konnte zeigen, dass es oft besser ist, auf das eigene Bauchgefühl zu hören als lange zu grübeln. Nach der perfekten Lösung zu suchen mache hingegen unglücklich, weil es die meist nicht gebe, so Gigerenzer. Wer immer versuche, Fehler zu vermeiden, und zu vorsichtig sei, vergebe wichtige Chancen.
Es kann also hilfreich sein, das Ausmaß der Informationen, die man zurate ziehen will, bewusst zu steuern. Wem Kenntnisse und Erfahrungen fehlen, der braucht Informationen. Wer jedoch alles wissen will und sein Gehirn mit Informationen überfrachtet, verschlechtert und verzögert damit die Entscheidung. Deshalb kann es auch von Nutzen sein, seine Auswahlmöglichkeiten zu verringern und die nächste Shoppingtour beispielsweise auf zwei Geschäfte zu beschränken.
Wen Stress und Druck zu sehr blockieren, dem kann es helfen, die berühmte Nacht über seine Fragestellung zu schlafen oder eine Liste mit Handlungsalternativen anzulegen. Denn Stress führt nicht selten zu einem Tunnelblick, der den Blick auf weitere Handlungsoptionen verstellt. Mit einer Alternativenliste sollen innerhalb von kurzer Zeit mindestens zehn andere Optionen gelistet werden.
Selbst bei Fehlentscheidungen, glauben einige Psychologen, könne der Mensch auf eine Art „psychisches Immunsystem" zurückgreifen, das das Leben nach einer Fehlentscheidung leichter machen kann. Der Harvard-Psychologe und Entscheidungsforscher Daniel Gilbert etwa sagt, der Mensch sei Meister des Selbstbetrugs. Wir nehmen die Welt so wahr, wie sie uns angenehm ist. Selbst wenn wir eine falsche Entscheidung träfen, würden wir im Nachhinein doch das Positive daran suchen. Am einfachsten gelingt das Gilbert zufolge, wenn wir Entscheidungen verarbeiten, die wir aus dem Bauch heraus getroffen haben. Bauchentscheidungen bereue man weniger als rationale, die man gut durchdacht habe. Womit der Mensch hingegen deutlich schwerer fertig wird, sei das Gefühl, eine Chance verpasst zu haben. Nichts bereue er mehr, als keine Entscheidung getroffen zu haben.