Das Kind auf dem Schoß, der Chef im Videocall: Die Corona-Pandemie hat die deutsche Arbeitswelt zeitweise verändert. Aber wirkt sich dies dauerhaft aus? Die Bahn hat bereits reagiert und ein „Homeoffice-Ticket" eingeführt.
Mitten in der Videokonferenz beschließt die Katze, sich in Szene zu setzen und den Bildschirm genau zu begutachten. Oder es sich auf der Computer-Tastatur gemütlich zu machen. Die Kinder haben ein ähnlich treffsicheres Timing, während die Waschmaschine im Hintergrund piepst. Homeoffice kann anstrengend sein.
Die Corona-Krise hat in Deutschland die Hälfte aller Angestellten ins Büro zu Hause verbannt – übrigens mehr Frauen als Männer – auch wenn nicht alle einen abgeschlossenen Büroraum haben, sondern am Küchen- oder Wohnzimmertisch arbeiteten, oftmals zu zweit, wenn die bessere Hälfte ebenfalls daheim arbeiten musste. „Für viele Unternehmen ging die Umstellung mit beträchtlichen Investitionen in digitale Infrastruktur und neue Kommunikationstechnologie einher. Diese Neuorganisation der Arbeit wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vollständig rückgängig gemacht werden", glaubt Prof. Dr. Oliver Falck, Leiter des ifo-Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien. Aber war der Siegeszug des Homeoffice ein dauerhafter?
Laut einer Studie des ifo-Zentrums ja. Über die Hälfte der deutschen Unternehmen will das Homeoffice dauerhaft einführen. Die Studie basiert unter anderem auf Auswertungen von Daten aus aktuellen ifo-Unternehmensbefragungen und einer Mitgliederbefragung des Netzwerks LinkedIn. Und das Potenzial ist groß: Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland könnten laut der ifo-Studie ohnehin zeitweise von zu Hause arbeiten. Vor der Corona-Pandemie wurde nur etwa die Hälfte dieses Potenzials genutzt: Laut einer Bitkom-Studie erlaubten im Januar 2019 nur vier von zehn Unternehmen die Arbeit zu Hause. Nach Medienberichten wollen deutsche Konzerne künftig verstärkt auf Homeoffice setzen. Schlagzeilen machte vor allem die Ankündigung von Siemens, das Arbeiten von zu Hause für 140.000 Mitarbeiter weltweit zum Standard zu machen.
Homeoffice auf dem Vormarsch
Mittlerweile gibt es erste Reaktionen. Die Deutsche Bahn hat ein 20-Fahrten-Ticket eingeführt. „Das Homeoffice gehört zunehmend zum Arbeitsalltag", so DB-Fernverkehrschef Michael Peterson. „Viele fahren nicht mehr jeden Tag zu ihrem Arbeitsplatz, sondern arbeiten einen oder zwei Tage pro Woche von zu Hause aus. Diese Kunden brauchen Flexibilität, und diese bieten wir mit dem 20-Fahrten-Ticket." Mit dem 20-Fahrten-Ticket können Kunden 20 Einzelfahrten in einem Monat für eine festgelegte Strecke mit Fernverkehrsanteil erwerben. Das kostet dann bis zu 33 Prozent weniger als ein Monatsticket für die gleiche Strecke und eignet sich also für einen flexiblen Einsatz an zehn Tagen im Monat. Offenbar rechnet die Bahn mit einem solchen Teilzeit-Homeoffice-Modell.
Homeoffice aber ist kein Allheilmittel – nicht alle Betriebe ließen sich von zu Hause aus steuern, sagte Eric Schweitzer, Chef der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Dennoch kehre man nicht zu Vor-Corona-Zeiten zurück. Es werde mehr Videokonferenzen und weniger Dienstreisen geben, weil jetzt viele damit positive Erfahrungen gemacht hätten. „Wir haben auch gemerkt, dass wir vieles doch mobil erledigen können, was wir bis dahin nicht für denkbar gehalten haben", so Schweitzer in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur. Allerdings dürfe man sich nicht der Illusion hingeben, das komplette Wirtschaftsleben von zu Hause aus erledigen zu können, so der DIHK-Präsident. Die meisten Unternehmen seien auf Dauer nicht vom Rechner aus zu steuern, und auch Lastwagen ließen sich so nicht fahren.
Das Argument mag banal klingen, ist aber dennoch nicht von der Hand zu weisen. Klar ist, Büroarbeitsplätze können sicher leicht ins Homeoffice verlagert werden. Und die Industrie? Wer in der Produktion an einer Maschine arbeitet, konnte sich während der Corona-Maßnahmen in Deutschland nur auf Kurzarbeit verlassen. Das Werkstück mit nach Hause nehmen geht schlecht. Spaltet Homeoffice also die Arbeitswelt in „White Collar Worker", die Wissensarbeiter, und „Blue Collar Worker", sprich Handwerker oder Facharbeiter in der Produktion? Nicht notwendigerweise. Entscheidend ist zum Beispiel, wie tief greifend die Änderungen durch Industrie 4.0-Anwendungen sein werden.
„Digitale Technologien sind der Garant dafür, das Wirtschaftsleben in Zeiten von Ausgangssperren, Kontaktverboten und Produktionsstopps am Laufen zu halten. Die Corona-Krise ist eine Aufforderung an Politik und Wirtschaft, die Arbeitswelt schnellstmöglich, umfassend und dauerhaft zu digitalisieren", sagt Bitkom-Präsident Achim Berg inmitten der Krise Anfang April. Trotzdem stellte der Branchenverband der IT in Deutschland fest, dass die meisten Angestellten, die die Erlaubnis für einige Tage Homeoffice in der Woche haben, dies überhaupt nicht in Anspruch nehmen.
Das Büro hat unbestreitbar Vorteile: der soziale Austausch mit Kollegen ist unmittelbarer, die Identifikation mit dem Unternehmen größer, die Infrastruktur oft besser als zu Hause, Beruf und Freizeit laufen im Büro weniger Gefahr, vermischt zu werden. Arbeitgeber haben Bedenken wegen der Datensicherheit und der Produktivität. Groß ist auch Angst vor einem Karriereknick, wenn man nicht ständig im Büro präsent ist, auf Management-Ebene herrscht Angst vor Kontrollverlust. Denn wenn die Mitarbeiter nicht mehr jeden Tag am Ende des Flures sitzen, muss der Führungsstil sich mit verändern. Dabei ist lange nicht gesagt, dass man im Homeoffice weniger produktiv ist. Ablenkung gibt es schließlich sowohl zu Hause als auch im Büro.
„Während der Corona-Krise haben Homeoffice und mobiles Arbeiten vielen Arbeitgebern und Beschäftigten sehr dabei geholfen, das Geschäft am Laufen zu halten und Berufs- und Privatleben miteinander zu vereinbaren", sagt Judith Steinbrecher, Leiterin Recht im Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom).
Schnellstmögliche Digitalisierung gefordert
Schon am Anfang der Krise arbeitete laut einer Bitkom-Umfrage aus dem März 2020 jeder zweite Berufstätige ganz oder zumindest teilweise im Homeoffice. Für einige von ihnen war es jedoch völlig neu: 18 Prozent durften zuvor gar nicht im Homeoffice arbeiten und machen das jetzt zeitweise oder ganz. 41 Prozent gaben aber an, dass ihre Tätigkeit grundsätzlich nicht für Homeoffice geeignet sei. „Das sollte Unternehmen aber nicht davon abhalten, jenem Teil der Belegschaft mit Homeoffice-geeigneter Tätigkeit das flexible Arbeiten auch nach der Krise weiter zu ermöglichen. Niemand muss deshalb befürchten, dass ganze Abteilungen nur noch von zu Hause aus arbeiten möchten", so Steinbrecher. Das kollegiale Miteinander am Arbeitsort werde von den allermeisten doch sehr geschätzt.
Flächendeckender Heimarbeit steht bislang in Deutschland ohnehin das Arbeitsrecht im Weg. Grundsätzlich erlaubt ist sie: Wenn der Arbeitgeber es wünscht und der Arbeitnehmer zustimmt. Es bedarf also den Willen auf beiden Seiten. Weder hat der Arbeitnehmer ein Recht darauf, einfach zu Hause zu arbeiten, noch kann der Arbeitgeber einen dazu „verdonnern", sich dort einen Arbeitsplatz einzurichten. Das hat etwa das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg vor zwei Jahren zuletzt entschieden. Würde der Arbeitgeber den Arbeitsplatz von sich aus festlegen können, wäre das indirekt ein Eingriff in das Wohnumfeld. Wenn allerdings im Arbeitsvertrag bereits ein entsprechender Passus drinsteht, dann hat der Arbeitnehmer ja vertraglich bereits zugestimmt und muss es akzeptieren, von zu Hause aus zu arbeiten. Ansonsten sollte, so raten es Arbeitsrechtsexperten, eine Ergänzung zum Arbeitsvertrag geschlossen werden.
Grundsätzlich gibt es verschiedene Varianten der Heimarbeit: Sie kann vollständig sein oder teilweise, etwa zwei Tage die Woche, wie es sich nun offenbar bei vielen Unternehmen herausgebildet hat. Außerdem kann sich der Arbeitnehmer seinen Heimarbeitsplatz einfach selbst einrichten, also Tisch, Laptop und Handy. Es gibt aber auch die Variante, dass der Arbeitgeber gemäß Arbeitsstättenverordnung den Arbeitsplatz mit seinen Möbeln und von ihm gestellter Technik ausstattet. Bei einem solchen Telearbeitsplatz greift dann auch die Pflicht zur Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes.
Zudem gibt es die individuell zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarte Heimarbeit – oder, bei größeren Unternehmen mit einem Betriebsrat, eine per Betriebsvereinbarung geregelte Vereinbarung dazu, die dann für alle gilt. Wenn die Heimarbeit nur individuell geregelt ist, dürfte mitunter eine Diskussion kaum vermeidbar sein, wieso der eine darf und die andere nicht. Schon allein deshalb dürften viele Unternehmen in Zukunft zu allgemeinen Lösungen greifen.
„Gesetzlicher Anspruch nicht zielführend"
Ganz anders wird die Welt aussehen, wenn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil erfolgreich sein wird mit seinem lange angekündigten Recht auf Homeoffice. Wie das aussehen soll, ist noch unklar und wird auch nicht einfach sein. Klar ist, dass das nur für solche Jobs gelten kann, die dafür grundsätzlich infrage kommen. Hier aber dürfte der Teufel im Detail stecken. Der Widerstand der Arbeitgeber ist jedenfalls programmiert und hat längst begonnen. Die CDU ist dagegen und kann sich darauf berufen, dass im Koalitionsvertrag nichts klar vereinbart wurde.
Die Gewerkschaften fordern gesetzliche Regelungen: „Wir erwarten, dass das Gesetz zu einem Recht auf Homeoffice wie angekündigt im Herbst kommt und klare Regeln zum Schutz der Beschäftigten und gegen die gefährliche Entgrenzung der Arbeit im Homeoffice schafft", sagt Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund DGB. Tatsächlich wäre ein solches Recht auf Homeoffice, wie es neben der SPD auch die Grünen fordern, ein erheblicher Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Die kann natürlich gerechtfertigt sein, wenn es einen klaren Wunsch der Gesellschaft dafür gibt. Derzeit arbeiten fast 15 Millionen Menschen in Deutschland im Büro, fast die Hälfte von ihnen hat laut dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft schon heute die Möglichkeit, einen Teil der Arbeit von zu Hause aus zu erledigen.
Sogar der Branchenverband Bitkom sieht ein Recht auf Homeoffice kritisch: „Ein gesetzlicher Anspruch auf Homeoffice ist nicht zielführend. Neue, agile Arbeitsformen erfordern Teamarbeit, um gemeinschaftlich an einem Ort Ideen zu entwickeln oder Prototypen zu bauen. Hierbei ist eine Präsenz vor Ort unerlässlich", so Judith Steinbrecher von Bitkom.
Trotz aller Unkenrufe: Die Akzeptanz für das Arbeiten von zu Hause ist hoch, auch, weil sich dadurch die Doppelbelastung von Berufs- und Familienleben oft besser unter einen Hut bringen lässt – wenn nicht gerade Kitas und Schulen wegen einer Pandemie schließen müssen. Arbeitswege fallen weg. Perspektivisch halten die IW-Forscher es für wahrscheinlich, dass weniger Büroflächen nachgefragt werden. „Ich erwarte schon, dass es einen Rückgang der Nachfrage nach Büroflächen geben wird", sagt der IW-Ökonom Prof. Dr. Michael Voigtländer: „Der Leerstand in großen Städten dürfte tendenziell wieder zunehmen. Deshalb ist es wichtig, dass jetzt nicht übermäßig neue Büros gebaut werden." Schätzungen gehen davon aus, dass die Anzahl derjenigen, die im Büro anwesend sind, um 15 Prozent sinken und die Nutzung von Büroflächen dann um zehn Prozent zurückgehen wird. Dies würde sich dann auch auf den Markt für Gewerbeimmobilien auswirken – ein Markt, der in seiner Gesamtheit von den Konsequenzen aus der Corona-Pandemie noch kaum betroffen war.
Nach einer Untersuchung der Süddeutschen Krankenversicherung (SDK) arbeiten zwei von drei Menschen lieber zu Hause als im Büro. Der Grund: „Viele Stressfaktoren fallen weg wie zum Beispiel lärmende Kollegen oder ein anstrengender Arbeitsweg", sagt Oliver Schwab von der SDK. Darüber hinaus geben 57 Prozent der rund 1.500 Befragten an, zu Hause besser kreativ arbeiten zu können – bei der Arbeit im Büro sagen das nur 18 Prozent, die übrigen machten in Sachen Kreativität keinen Unterschied aus. Den radikalen Schritt aber wollen nur wenige gehen, sagt eine Forsa-Umfrage: Nur die wenigsten wollen ausschließlich von zu Hause arbeiten. Diejenigen müssen auch keine Sorgen haben: Der morgendliche Gang ins Büro bleibt den meisten Deutschen bis auf Weiteres nicht erspart.