Seit 2012 befasst sich der unabhängige und gemeinnützige Verein Foodwatch mit der Qualität von Lebensmitteln und macht sich für die Rechte von Verbrauchern stark. Pressesprecherin Sarah Häuser im Interview.
Frau Häuser, warum werden so viele Produkte zurückgerufen?
In den meisten Fällen werden Lebensmittel zurückgerufen, weil sie mikrobiologisch verunreinigt sind, etwa mit Salmonellen oder Listerien. Zweithäufigste Ursache für Rückrufe sind Fremdkörper, etwa Glasstücke oder Plastikteile. Die Anzahl der Rückrufe ist in den letzten Jahren angestiegen. Im Schnitt kommt es zu drei bis vier Rückrufen pro Woche. Eine Einschätzung, warum es mehr Rückrufe gab, ist jedoch schwierig. Ob es zu mehr Vorfällen kam oder ob die Unternehmen mittlerweile einfach eher einen Rückruf starten, lässt sich aus den Zahlen nicht ablesen. Fakt ist: Wenn es zu einem Rückruf kommt, wird nicht alles dafür getan, die Menschen zu warnen.
Wo findet man in Supermärkten Hinweise zu Produktrückrufen?
Häufig wird auf Aushängen an der Kasse darüber informiert. Allerdings verbreiten die Handelsketten in der Regel nur Rückrufe zu ihren Eigenmarken, weil sie hier sozusagen in der Rolle des Herstellers und somit für den Rückruf verantwortlich sind. Über Rückrufe von anderen Markenprodukten in ihrem Sortiment informieren die Supermärkte meist nicht – obwohl diese die Kundinnen und Kunden natürlich genauso betreffen. Ein weiteres Problem: Die Handelsketten nutzen in der Regel längst nicht alle Informationskanäle, um vor unsicheren Lebensmitteln zu warnen. Gerade Newsletter oder Social-Media-Kanäle verwenden sie lieber für Marketing – doch gerade über diese Kanäle könnten sie viele Menschen erreichen.
Wo kann sich der Verbraucher am besten über Rückrufe informieren? Gibt es zum Beispiel eine Website, die eine Übersicht aller aktuellen Rückrufe bietet?
Ein „Schwarzes Brett", eine verlässliche, zentrale Informationsquelle, die über Rückrufe informiert, fehlt leider. Das zu diesem Zweck von Bund und Ländern eingerichtete Portal www.lebensmittelwarnung.de konnte diesen Anspruch nie erfüllen. Die Seite ist unübersichtlich und liefert Rückrufhinweise nur lückenhaft und häufig verzögert. Das ergab eine Foodwatch-Auswertung von insgesamt 92 Rückrufen, die auf dem Portal in den Jahren 2013/2014 und 2016/2017 erschienen sind. Nur jede zweite Verzehrwarnung erschien ohne nennenswerten Verzug auf der Seite. Leider bietet lebensmittelwarnung.de Verbraucherinnen und Verbrauchern auch nicht die Möglichkeit, einen Newsletter zu abonnieren, um immer auf dem aktuellsten Stand zu sein. Häufig schneller informiert die Seite www.produktrueckrufe.de eines engagierten Privatmanns aus Nordrhein-Westfalen.
Man liest immer wieder von schlechter Hygiene in Supermärkten – von schimmligem Käse im Tiefkühlregal bis zur Maus in den Brötchen. In welchen Fällen
bestehen Risiken für die Gesundheit?
Es gibt gesetzliche Vorgaben für die Hygiene in Lebensmittelbetrieben. Die Kontrolleure beurteilen, wie schwerwiegend Hygieneverstöße sind, ob es etwa mit einer Reinigung getan ist oder ob ein Laden „dicht" gemacht werden muss.
Wird die Hygiene in Supermärkten denn regelmäßig kontrolliert?
Etwa jede dritte vorgeschriebene Kontrolle von Lebensmittelbetrieben fällt aus, weil es den Behörden eklatant an Personal mangelt. Das hat eine umfangreiche Foodwatch-Recherche ergeben. Nur zehn Prozent der deutschen Lebensmittelbehörden schaffen das Soll bei Betriebskontrollen.
Spuren von Arsen im Reis, Insektizide in Obst und Gemüse, Mikroplastik in industriell hergestellter Nahrung. Was kann man heute noch unbedenklich essen und wo kauft man am besten ein?
Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Fehler können immer passieren. Wichtig ist, dass im Fall der Fälle alles getan wird, um Menschen vor möglicherweise unsicheren Lebensmitteln zu schützen und sie zu warnen.
Bekommt man für einen höheren Preis auch hochwertige Lebensmittel?
Leider sagt der Preis eines Lebensmittels nicht unbedingt etwas darüber aus, unter welchen Umständen es produziert wurde oder ob es qualitativ hochwertig ist. Beispiel Milch: Ein Foodwatch-Marktcheck hat 2016 gezeigt, dass die Preisunterschiede zwischen konventioneller Discount-Milch und einem Markenprodukt bis zu 180 Prozent betragen können – und bei den Milchbauern trotzdem die gleichen niedrigen Preise ankommen. Bei der teureren Herstellermarke zahlen wir im Supermarkt vor allem für Werbung und Marketing. Eine Ausnahme ist Bio-Milch – hier kommt von den höheren Supermarktpreisen tatsächlich mehr bei den Landwirten an.
Auch die Gewinner des „Goldenen Windbeutels", des Foodwatch-Schmähpreises für besonders dreiste Werbelügen, belegen eindrücklich, dass Markenprodukte nicht unbedingt für Qualität stehen – sondern sich vor allem durch geschicktes Marketing auszeichnen. Und das schlägt sich entsprechend im Preis nieder. Das beweist etwa der Windbeutelpreisträger von 2018, das Smartwater von Coca-Cola. Denn das angebliche Smartwater ist nicht besser als ein stinknormales Mineralwasser – aber bis zu siebenmal teurer. Auch bei den Tests der Stiftung Warentest schneiden günstige Lebensmittel immer wieder besser ab als Markenprodukte. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher ist es unter solchen Marktbedingungen völlig vernünftig, wenn sie zur billigeren Variante greifen. Der Kunde wird erst dann zum König, wenn er die notwendigen Informationen über ein Produkt erhält, um die Qualität wirklich beurteilen zu können.
Auch Mineralöl findet sich in vielen Lebensmitteln und auch in Babyprodukten wie Babymilch. Ist Mineralöl gesundheitsschädlich? Und wird es absichtlich Lebensmitteln zugemischt?
Die Europäische Lebensmittelbehörde beschreibt aromatische Mineralöle als potenziell krebserregend und erbgutschädigend – weshalb solche Rückstände selbst in kleinsten Mengen nicht in Lebensmitteln enthalten sein sollten. Mineralöl wird Lebensmitteln nicht absichtlich beigemischt. Neben Maschinen bei Ernte und Verarbeitung kann auch die Verpackung der Grund für die Verunreinigung sein.
Der Zusatzstoff Titandioxid (E171) steht momentan in der Kritik. Warum?
Frankreich hat als erstes europäisches Land den Stoff ab 2020 vorerst verboten, da E171 die Darmflora schädigen und im Nanometerbereich möglicherweise Krebs auslösen kann, wie wissenschaftliche Studien nahelegen.
Wo kann man bei der ganzen Massentierhaltung noch Fleisch aus artgerechter Haltung kaufen?
Sogenannte Nutztiere leiden häufig unter vermeidbaren Schmerzen und Krankheiten. Das Problem: Es gibt keine verbindlichen gesetzlichen Vorgaben für die Tiergesundheit, die auch hofgenau überwacht werden. Leider kann ich mir als Verbraucherin auch bei Bioprodukten nicht sicher sein, dass sie von gesunden Tieren stammen. Das Bio-Siegel garantiert zumindest, dass die Tiere mehr Platz und Auslauf hatten.
Jedes Jahr werden immer noch Millionen von männlichen Küken bei lebendigem Leib gleich nach der Geburt und ohne Betäubung getötet, da sie für die Industrie nicht nützlich sind. Gibt es mittlerweile Eier, für die keine männlichen Küken geschreddert werden?
Es gibt Anbieter, die damit werben, dass auch die männlichen Küken aufgezogen werden, das ist jedoch nach wie vor ein Nischenprodukt. Wir fordern ein grundsätzliches Verbot des Kükentötens. Die Probleme in der Hühnerhaltung liegen jedoch tiefer. Die einseitige Hochleistungszucht führt auch bei den Legehennen zu Leid, sie leiden etwa unter Knochenbrüchen. Es reicht daher nicht, „nur" das Kükentöten zu beenden. Auch die Tiere, die aufgezogen werden, haben ein Recht auf eine tiergerechte Haltung ohne vermeidbare Krankheiten.
Wie wurde Foodwatch ins Leben gerufen und wie finanziert sich der Verein?
Foodwatch wurde 2012 von Thilo Bode gegründet. Wir finanzieren uns aus den Beiträgen und Spenden von 40.000 Förderern. Wir nehmen grundsätzlich kein Geld vom Staat oder aus der Lebensmittelindustrie an.
Welchen Themen wird sich Foodwatch in der nächsten Zeit widmen?
Auch dieses Jahr werden wir zum Beispiel weiter dafür kämpfen, dass Bürgerinnen und Bürger die Ergebnisse von Hygienekontrollen erfahren dürfen – unsere Topf-Secret-Kampagne. Auch werden wir wieder einen Preis für die dreisteste Werbelüge des Jahres vergeben, den „Goldenen Windbeutel".