Der VfB Stuttgart will kein normaler Aufsteiger sein, geht aber mit Demut in die Vorbereitung zur neuen Bundesliga-Saison. Das Ziel ist vorerst der Klassenerhalt.
Die hochtrabenden Ziele sind vorbei. Vorerst zumindest. Das Saisonziel ist beim Bundesliga-Rückkehrer der Klassenerhalt. „Wir müssen erst den Nachweis erbringen, dass wir in der nächsten Saison die Liga halten können", sagte der Vorstandsvorsitzende Thomas Hitzlsperger den „Stuttgarter Nachrichten", Das sei „die oberste Maxime. Wir wollen in der Bundesliga bleiben", so der 38-Jährige.
Hitzlsperger sieht seinen Verein nach dem Aufstieg in die Bundesliga weiter in einer finanziell angespannten Situation. „Wir sind auf keinen Fall über den Berg", sagte er in einem „Kicker"-Interview mit Blick auf die Corona-Folgen. „Der Aufstieg ist sportlich eine Supersache. Aber finanziell hat sich nicht viel verändert." Der VfB habe nächste Saison geringere Finanzmittel zur Verfügung als ursprünglich angenommen. „Wir wissen nicht, wann wieder Zuschauer ins Stadion dürfen. Uns brechen die Einnahmen weg. Der Aufstieg war sportlich und wirtschaftlich sehr wichtig, befreit uns aber vor allem aus der emotionalen Schieflage. Wirtschaftlich sind wir weiterhin in einer angespannten Lage. Aber das gilt in diesen Zeiten für viele andere Vereine auch." Um rund 20 Millionen Euro erhöhen sich in der Bundesliga immerhin die Fernsehgelder. Keine Zusatzeinnahme, sondern fest eingeplanter Teil zur Tilgung von Altlasten sind allerdings die rund sechs Millionen Euro, die der VfB durch den Transfer von Nationalstürmer Timo Werner von RB Leipzig zum FC Chelsea bekommt.
Die heutige Situation erinnert an den Anfang der 2000er-Jahre. Damals setzte man mit Erfolg auf junge Spieler wie Timo Hildebrandt, Philipp Lahm, Andreas Hinkel und Kevin Kuranyi. Die „Jungen Wilden" holten 2003 die Vizemeisterschaft. „Wir verfügen über eine talentierte Mannschaft mit viel Potenzial", sagt Trainer Pellegrino Matarazzo den „Stuttgarter Nachrichten" auch über den jetzigen Kader. „In der Bundesliga werden wir die Taktik variabler ausrichten können als in der Zweiten Liga, das kann uns zugutekommen."
Der VfB will sich dabei am damaligen Aufschwung von Borussia Dortmund unter Trainer Jürgen Klopp orientieren. „Der VfB hat mich auch ausgewählt, um mit einer ähnlichen Philosophie unsere eigenen Ziele zu erreichen", sagte der heutige VfB-Sportdirektor und ehemalige BVB-Chefscout Sven Mislintat im Interview der „Deutschen Presse-Agentur". „Das ist ja auch etwas, für das ich stehe und dessen Teil ich war. Ich habe 2006 beim BVB angefangen. 2008 kam mit Jürgen der entscheidende Erfolgsfaktor hinzu."
„Ich werde diesen Trainer nicht infrage stellen"
Eine Parallele zwischen VfB-Coach Pellegrino Matarazzo und Klopp wollte der Sportchef aber nicht ziehen. „Es wäre nicht fair, diesen Vergleich jüngeren Trainern zuzumuten. Was ich aber sagen kann: Von dem Weg, den Dortmund und Liverpool unter Klopp gegangen sind, kann man viel lernen", sagte er der dpa. Der Weg wird nicht in einem Jahr zu Ende gegangen sein, sondern frühestens in drei. „Und Rino wird der Trainer sein, mit dem wir dabei zusammenarbeiten werden", ergänzte Mislintat. „Ich persönlich werde diesen Trainer selbst im Falle eines schlechten Saisonstarts oder bei einem möglichen Abstiegskampf nicht infrage stellen."
Der Aufsteiger startet am 3. August in die Vorbereitung auf die kommende Saison in der Fußball-Bundesliga. Nach rund drei Wochen in Stuttgart reist Trainer Pellegrino Matarazzo mit seiner Mannschaft vom 22. bis 29. August ins Trainingslager nach Kitzbühel in Österreich. Die erste Bewährungsprobe steht Mitte September im DFB-Pokal an.
Hitzlsperger warnt vor zu großen Erwartungen in der kommenden Saison. „Wir sind nicht mit lautem Hurra aufgestiegen, niemand darf erwarten, dass wir die Liga rocken. Wir dürfen uns nicht viele Fehler erlauben, wenn wir bestehen wollen", sagte der Ex-Nationalspieler dem „Kicker". „Wir sind Realisten", fügt der Vorstandsvorsitzende hinzu, „aber dauerhaft kann das nicht unser Anspruch sein." Verzichten müssen Hitzlsperger und Co. aber auf die letzte Galionsfigur der Glanzzeiten. Ex-Nationalspieler Mario Gomez hat seine Karriere beendet. „Das war auch mein Antrieb in diesem Jahr, den direkten Wiederaufstieg zu schaffen", sagte Gomez dem Sport-Informationsdienst. Er habe dem VfB „noch mal etwas zurückgeben wollen", hatte gutmachen wollen, was er vor langer Zeit angerichtet hatte. „Ich habe damals als junger Kerl, als ich aufstrebend war, die Welt erobern und Titel gewinnen wollte, viele VfB-Herzen enttäuscht", sagte er bei Sky. Gemeint war sein Wechsel zum FC Bayern 2009 – zwei Jahre, nachdem er mit dem VfB Deutscher Meister geworden war. Doch diese Zeiten sind lange vorbei.
Großer Handlungsbedarf besteht im Angriff
Einer der prominenten Vorgänger von Gomez war Torjäger Fritz Walter, der kürzlich 60 Jahre alt wurde. „Ich glaube, dass der VfB in der Ersten Liga besser zurechtkommen wird als in der Zweiten, weil ihm die Spielweise dort besser liegt." In der 2. Bundesliga gehe es im Mittelfeld härter zur Sache. „Da wird schon Manndeckung gespielt und gegrätscht", meinte Walter gegenüber der dpa. In der Offensive müsse der Club personell aber noch etwas tun. „Nach vorne braucht man noch mehr Schnelligkeit und mehr Kopfballstärke. Ich hoffe, dass da noch was kommt", sagte Walter.
Doch das Transferbudget ist begrenzt. Die „Bild"-Zeitung will erfahren haben, dass Sportchef Mislintat lediglich fünf Millionen Euro zur Verfügung stehen. Das ist der Club auch seinen Mitarbeitern schuldig. So lange es keine Zuschauereinnahmen gibt, wird ein Großteil der rund 250 Mitarbeiter in Kurzarbeit bleiben. Sie wurden darüber informiert, dass bis Ende des Jahres Kurzarbeit beantragt wurde. Bei hundert Prozent liegt sie teilweise bei Angestellten, die mit dem Ticketing oder anderen Tätigkeiten rund um die Organisation von Heimspielen oder Veranstaltungen befasst sind.
Während der Corona-Pause hat der Verein sogar einen Hilfskredit bei der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beantragt. „Wir haben in der Phase des Lockdowns alle Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Stabilisierung geprüft und unter anderem über unsere Hausbank einen Antrag auf KfW-Förderung gestellt, um unsere Liquidität zu sichern", bestätigte VfB-Finanzvorstand Stefan Heim der „Stuttgarter Zeitung". Viel Geld für große Sprünge bleibt da nicht. So ist Torwart Gregor Kobel bislang nur von der TSG Hoffenheim ausgeliehen, andere Vereine sind ebenfalls interessiert. Leichter, so glauben es zumindest die „Stuttgarter Nachrichten", dürfte eine Einigung mit dem vom SC Freiburg ausgeliehenen Pascal Stenzel zu erzielen sein, während es von den Plänen des FC Liverpool abhängt, ob Innenverteidiger Nat Philipps noch ein Jahr in Stuttgart bleibt. Abwehrspieler Konstantinos Mavropanos wurde für die kommende Saison vom FC Arsenal ausgeliehen. Der 22 Jahre alte Grieche spielte das vergangene Halbjahr auf Leihbasis beim Zweitligisten 1. FC Nürnberg, wäre dort aber fast aus der Zweiten Liga abgestiegen. Großer Handlungsbedarf besteht allerdings im Angriff. Sasa Kalajdzic (22) ist unerfahren und fiel zuletzt Monate aus. Ob Hamadi Al Ghaddioui (29) Bundesligaansprüchen genügt, wird intern angezweifelt. Zu allem Überfluss will der argentinische Nationalspieler Nicolas Gonzalez den VfB verlassen. „Es war eine großartige Geschichte in Deutschland. Aber jetzt habe ich mich entschieden: Ich will weg, ich will eine Luftveränderung", sagte der 22 Jahre alte Angreifer dem italienischen Internetportal tuttomercatoweb.com. „Ich habe schon mit dem Club gesprochen, und ich bin bereit für ein neues Kapitel meiner Karriere." Gonzalez, der in der Aufstiegssaison 14 Tore erzielte, würde Geld in die Kasse spülen, aber sein Abgang würde einen weiteren Qualitätsverlust bedeuten. Klopps Weg, den sie in Stuttgart nachahmen wollen, dürfte steinig werden.