Der Kleinwagen reicht nicht? Warum nicht mal Panzer fahren! Auf einem Gelände in Sachsen-Anhalt kann man ausgemusterte Armeefahrzeuge steuern. Ein Bericht über einen eigentümlichen Zeitvertreib.
Fred Oelschlägel war nie im Krieg, auch nicht beim Militär. Aber einen Panzer fahren? Einfach mal so? Ohne Gefahr? Das wäre doch was. Dachten sich zumindest seine Freunde, die dem jungen Mann zum 30. Geburtstag einen Ausflug der besonderen Art geschenkt haben. In Landsberg in Sachsen-Anhalt soll Oelschlägel mit dem BMP-1 durch die Gegend brettern: 13,5 Tonnen Gefechtsgewicht, 300 PS, 73 Millimeter Glattrohr-Kanone. Der olivgrüne Schützenpanzer aus sowjetischer Produktion macht mächtig Eindruck.
Oelschlägel beobachtet das Spektakel zunächst aus der Distanz. Der BMP-1, mit dem er gleich unterwegs sein wird, dreht noch mit einem anderen Fahrer seine Runden. Und nicht nur der. Militärfahrzeuge aller Art wirbeln auf dem 6,5 Hektar großen Gelände Staub auf: Geländewagen, Panzer, Truppentransporter. Auf dem hügeligen Offroad-Parcours, der zwischen einem Rossmann-Lager und der Bundesstraße 100 liegt, geht es zu wie bei einer Gefechtsübung. Nur dass es allesamt Zivilisten sind, die hier an Bord gehen – und dafür viel Geld bezahlen.
Bevor es losgeht, desinfiziert ein Fahrlehrer den Panzer. Der BMP-1 kann feindlichem Beschuss widerstehen, in radioaktiv kontaminiertem Territorium operieren und sogar schwimmen. Gegen Corona, den unsichtbaren Feind, hilft all das nichts, vor allem, weil die Insassen selbst infiziert sein könnten. Dann aber geht es los. Nachdem Oelschlägel in den Panzer geklettert ist, schaut sein Kopf aus einer Luke hervor, direkt neben dem Kanonenrohr. Unmittelbar hinter ihm sitzt ein Instruktor, der Anweisungen gibt: Alleine fahren darf niemand. Dafür sind die Kolosse, selbst wenn sie unbewaffnet sind, dann doch zu gefährlich.
Der Sechs-Zylinder-Dieselmotor röhrt. Als Oelschlägel Gas gibt, entweicht eine pechschwarze Rußwolke aus dem Panzer. Klimaschutz hatte definitiv keine Priorität, als die Rote Armee das Fahrzeug in den 1960er-Jahren entwarf. Stattdessen Agilität: Obwohl Fred Oelschlägel noch nie Panzer gefahren ist, beherrscht er den BMP-1 schon nach wenigen Minuten. Das Hebel-Lenkrad fest umschlossen, steuert er den Schützenpanzer um die erste Kurve. Dann ein bewachsener Hügel! Die Ketten graben sich in den trockenen Matsch und wirbeln ihn nach oben. Schon bald liegt so viel Staub in der Luft, dass man die anderen Fahrzeuge kaum noch sehen kann.
Steigungen bis zu 65 Grad
Laut ist es auf dem Offroad-Parcours. Die alten Militärfahrzeuge zischen und röhren. Während sich in der Ferne Windräder drehen, dominiert auf dem Übungsplatz die fossile Energie. Die schweren Metall-Ungetüme fressen jede Menge Sprit. So auch der Tatra 813, ein Allrad-Lkw mit 250 PS starkem V12-Dieselmotor. Er kann Steigungen von bis zu 65 Grad überwinden und ist mit Überrollbügeln ausgestattet – sicher ist sicher. Wer es klassischer mag, steigt in den Ural-4320 ein, den Lastesel des Warschauer Pakts. Oder in den kleinen Robur LO 3000, mit dem die Nationale Volksarmee der DDR sowohl Material als auch Truppen transportierte.
Insgesamt 50 Fahrzeuge stehen zur Auswahl. Unter all den Ostblock-Modellen sticht der Hummer heraus, der Standard-Jeep des US-amerikanischen Militärs. „Wir haben bei uns auch den Klassenfeind im Angebot", sagt Benno Winter und lacht. Der 59-Jährige ist hauptberuflich Spediteur und betreibt den Offroad-Parcours in Landsberg seit 2006 als Nebenerwerb. Die Fahrzeuge kauft er gebraucht von Händlern, meist aus Tschechien – demilitarisiert, wie es im Fachjargon heißt. Sie können nicht mehr schießen und verfügen an bestimmten Stellen über keine Panzerung mehr. „Eigentlich sind wir ein lebendes Museum", sagt Winter, der von einem 40-köpfigen Team unterstützt wird.
In der Nationalen Volksarmee war Winter selbst Militärkraftfahrer. „Ich war schon damals vom Tatra begeistert", sagt er. Als Gefreiter habe er das brachiale Gefährt allerdings nie selbst steuern dürfen. „Das war Offizieren vorbehalten. Schließlich handelte es sich um ein hohes Wirtschaftsgut." Heute ist das freilich anders. Mit seinem Tatra 813 nimmt er heute an internationalen „Trial Truck"-Wettkämpfen teil, eine Art Lkw-Rallye, bei der die Gefährte unbeschadet durch schweres Gelände gesteuert werden müssen.
Wie Winter sind viele seiner Kunden ehemalige Militärangehörige. „Sie wollen die alte Zeit noch mal aufleben lassen", sagt der 59-Jährige. Der Rest des Publikums sei bunt gemischt; auch jüngere Leute, die „Schwarzenegger spielen möchten", kämen vorbei. „Vom Schreibtischhengst bis zum Doktor haben wir alles. 20 Prozent unserer Kunden sind Frauen." Ein reiner Männer-Spielplatz ist das Panzer-Gelände also nicht. Und, das ist dem Betreiber wichtig, auch kein Treffpunkt für Kriegstreiber. „Uns geht es nicht ums Militaristische, sondern um die Technik", beteuert Winter. Ein wenig seltsam wirkt diese Aussage allerdings schon. Immerhin sind es explizit Militär-Fahrzeuge, die er verleiht.
Mehrere Anbieter in Deutschland
Am Ende des Parcours steigt unterdessen Hendrik Boche aus einem Hummer. „Das war richtig gut", meint der 61-Jährige, der früher in der Kfz-Branche gearbeitet hat. „Heute bin ich ehrenamtlich beim Rettungsdienst aktiv und mit einem Jeep schon mal im Gelände hängen geblieben. Jetzt wollte ich testen, ob es mit dem Hummer besser klappt." Was auch der Fall war. „Der Wagen lässt sich sehr gut steuern", schwärmt Boche. „Außerdem hatte die Strecke richtig viele Schikanen. Das hat mir gefallen." Auch Ehefrau Kirsten zeigt sich begeistert. „Das war schon ein geiles Gefühl", sagt sie, fügt dann aber hinzu: „Das ist ein bisschen wie beim Autoscooter. Wenn man nur als Beifahrer danebensitzt, macht es nur halb so viel Spaß."
Immerhin, die Fahrt endete ohne Panne. Andere Kunden stellen sich nicht immer so geschickt an, wie die Mitarbeiter des Offroad-Parcours aus Erfahrung wissen. Vor einigen Jahren gab es noch ein Wasserloch auf dem Gelände. „Da hat einer unseren T-55 komplett drin versenkt", erzählt Parkbetreiber Benno Winter. Der T-55 ist ein 34 Tonnen schwerer Bergepanzer, der dazu gedacht ist, andere Objekte abzuschleppen. Nun war er selbst ein Wrack. „Wir mussten ihn komplett zerlegen", berichtet Winter. Frustriert ist er deswegen nicht, denn auch solche Vorfälle gehörten zum Technik-Spaß dazu.
Der Panzer-Park in Landsberg ist mit seinem Geschäftsmodell nicht allein. So gibt es in mehreren deutschen Bundesländern Anbieter, die ausgemusterte Militärfahrzeuge vermieten. Die Preise für die eigene Fahrt starten meist bei knapp 200 Euro, wobei es nach oben kaum Grenzen gibt – vom „Car-Crashing" (Auto per Panzer zermalmen) bis hin zur XXL-Fahrt (mehrere Fahrzeuge hintereinander) für fast 1.000 Euro.
Nach zahlreichen Runden im staubigen Gelände kehrt auch Fred Oelschlägel mit dem Schützenpanzer wieder zum Ausgangspunkt zurück. „Wahnsinn, diese Technik!", rufen seine Mitfahrer. Er selbst hat ein Lächeln auf den Lippen, als er den Gefechtsturm wieder verlässt. „Der ließ sich erstaunlich leicht steuern", sagt der 31-Jährige ohne zu verschweigen, dass es der Instruktor war, der das Schalten übernahm. Sein Fazit nach einer halben Stunde Panzer fahren? „Nicht schlecht." Aber zur Bundeswehr möchte er deswegen nun trotzdem nicht.