David Coverdale wurde Mitte der 70er-Jahre weltberühmt mit Deep Purple. Sein Folgeprojekt Whitesnake avancierte zu einer der erfolgreichsten Hardrock-Formationen der 80er- und 90er-Jahre. Nun zieht er Bilanz: „The Rock Album" ist Auftakt einer Reihe von retrospektiven Whitesnake-Alben. Coverdale (68) im Interview.
David Coverdale, wie gehen Sie mit dem coronabedingten Ausnahmezustand um?
Ich lebe in der Hochwüste am Tahoe-See. Im Winter schneit es hier gewaltig. Aber wenn die Sonne aufgeht, ist es wunderschön. Es ist herrlich, aus dem Haus rauszugehen. Aber ich habe bei diesen Ausflügen immer auch ein bisschen Angst, dass ich mich anstecken könnte. Merkwürdige Zeiten sind das. Beziehungen werden gerade auf den Prüfstand gestellt wie nie zuvor. Meine Frau und ich haben uns aber noch nicht umgebracht. Lieber teilen wir uns die Arbeit im Haus. Ich sauge die oberen Zimmer, wische Staub und schreibe zwischendurch alberne Songs fürs Internet. Sie ist für das große Wohnzimmer zuständig und wir kochen immer zusammen. Es ist eine wunderbare Koexistenz. So kann man Quarantäne aushalten.
Glauben Sie, dass die Corona-Krise die Menschen zusammenrücken lassen und die Welt besser machen kann?
Ich beobachte das Weltgeschehen und meine Mitmenschen gern. Es ist überwältigend, sich vorzustellen, wie wir die Welt neu strukturieren werden. Wenn Leute fordern, wir sollten zur Normalität zurückkehren, denke ich immer, das Normale funktioniert doch gar nicht mehr. Ich glaube, wir brauchen neue Paradigmen, damit wir in Zukunft besser mit der Natur umgehen. Warum suchen wir nicht lieber nach Möglichkeiten, den Krebs zu besiegen, anstatt Viren zu produzieren, die den Planeten aufs Spiel setzen? Das liegt jenseits meines Begriffsvermögens. Aber die Spezies Mensch wird auch diese Pandemie überleben, jedoch nur, wenn China, Russland, die USA, Deutschland und alle anderen Länder sofort zusammenarbeiten und sich nicht gegenseitig in die Studien hineinhacken. Denn mit Covid-19 kann sich jeder Mensch auf der Welt infizieren.
Sie haben in Ihrem Leben viele Länder bereist und die unterschiedlichsten Kulturen kennengelernt. Ist die Menschheit überhaupt dazu fähig, an einem Strang zu ziehen?
Bei all meinen Reisen habe ich immer wieder festgestellt: Wir sind eins. Die Menschen in China, Indien und Saudi-Arabien haben dieselben Hoffnungen, Wünsche, Träume und Ziele für ihre Kinder und ihre Liebsten – und zwar unabhängig von ihrer Religion, Hautfarbe oder Kultur. Das Traurige ist, dass es immer eine fucking Tragödie oder einen Krieg braucht, damit Menschen zusammenhalten. Ich kann es nicht fassen, dass manche versuchen, politische Vorteile zu ziehen aus der schlimmsten Plage, die der Planet seit Anbeginn der Menschheit erlebt hat. Das ist einer der Gründe, weshalb ich keine Songs über Politiker schreibe. (lacht).
Reden wir also lieber nicht über Donald Trump, sondern über etwas Positives: Ihre aktuelle Best-of-Sammlung „The Rock Album". Ist der neue Song „Always The Same" ein Vorgeschmack aufs nächste Studioalbum?
Nein, er ist ein Überbleibsel vom letzten Studiowerk „Flesh & Blood". 2017 haben wir ziemlich viele neue Stücke geschrieben. Es war das Jahr meiner Knieoperation, weshalb ich im Studio praktisch festklebte. Ich hatte aber nicht gedacht, dass ich ein neues Album machen würde. Im Nachhinein bin ich froh, dass es passiert ist. Es war meine erste Zusammenarbeit mit Reb Beach und Joel Hoekstra als Songschreiber. Sie wissen ja, dass ich in meiner Karriere öfter in den Ruhestand getreten bin als Frank Sinatra. Keine Ahnung, wie es mir immer wieder gelungen ist, zurückzukehren, mein Bester. Das ist halt eine meiner Eigenarten. Jedenfalls haben Reb, Joel und ich angefangen zu schreiben.
Und das fühlte sich auf Anhieb gut an?
Man weiß nie, ob bei solchen Sessions brauchbares Material für Whitesnake herauskommt. Seit ich mit Ritchie Blackmore bei Deep Purple gespielt habe, habe ich mit den tollsten Leuten Songs geschrieben. Ich spüre also schnell, ob jemand gute Ideen hat. Wenn nicht, kann ich mit ihm nicht weiterarbeiten. Manche Einfälle von Red haben mich eher an seine alte Band Winger erinnert, weshalb er seine Denkweise erst ändern musste. Als wir dann endlich ans Wesentliche gingen, hatte ich das Gefühl, dass wir gerade an einer der besten Whitesnake-Platten überhaupt arbeiteten. Das fertige Album ging dann tatsächlich in die Top Ten in fast allen Ländern. „Always The Sun" stammt aus diesen Sessions. Insofern bin ich glücklich, auch meine aktuelle Band auf der neuen Compilation zu haben.
Das „Rock Album" ist die erste Veröffentlichung aus der „Red, White and Blues Trilogy", einer Serie von neu zusammengestellten Sammlungen. Welche Kriterien liegen den Samplern zugrunde?
Ich wollte endlich mal meine besten Songs nach Stilen, Sounds und musikalischen Themen sortieren. In meiner langen Karriere habe ich so viele verschiedene Alben herausgebracht. Ich habe immer mit der besten Technologie der jeweiligen Zeit gearbeitet. Das heißt aber nicht, dass die Songs heute zwangsläufig noch gut klingen. Deshalb haben wir sie remastert. Jetzt ertönen sie viel frischer und mächtiger als ursprünglich. Es ist dasselbe Haus, aber mit neuen Möbeln. Niemand ist so überrascht wie ich, dass ich nach 45 Jahren im Musikgeschäft als Künstler noch relevant bin. Ich unterschreibe immer noch neue Plattenverträge und bin am Touren, was echt verrückt ist. Der Vorverkauf für die diesjährige Tour lief besser als bei jeder anderen, aber wir mussten alle Termine absagen. Das war verheerend.
Das „Rock Album" ist eine Rückschau auf Ihr eigenes Leben. Nach außen wirkt ihr Leben fast perfekt. Waren Sie als Künstler auch mal frustriert und unglücklich?
Ja, klar. Als Künstler hat man Unsicherheiten. Auch das spielt eine Rolle beim Musikmachen. Ich hatte immer sehr bescheidene Ansprüche an eine neue Platte. Sie sollte lediglich besser sein als der Vorgänger. Ich wollte besser singen und schneller auf den Punkt kommen. Bessere Melodien schreiben. Ziemlich simple Aspekte also. Als ich anfing, professionell Musik zu machen, sang ich bei Deep Purple. Damals wollte man auf Teufel komm raus progressiv klingen und kontroverse Sachen wie Rockopern schreiben. Ein Künstler hatte sich gefälligst weiterzuentwickeln. Auch ich wollte mich stets verbessern als Sänger und Songschreiber. Die Whitesnake-Platte „Restless Heart" zum Beispiel lebt aber auch sehr stark von Joel Hoekstras Beiträgen. Wir arbeiten gerade an einer remasterten Boxset-Version. Im Oktober werden wir zudem die besten „Love Songs" auf einem Album veröffentlichen. Und 2021 soll das „Blues Album" folgen.
Ihre Eltern waren Fabrikarbeiter in Nordengland. Wie kamen Sie zum Rock’n’Roll?
Mein Vater war ungelernter Arbeiter. Als ich neun Jahre alt war, haben meine Eltern einen Pub in der Kleinstadt Saltburn-by-the-Sea übernommen. Meine Mutter hatte immer zwei bis drei Jobs parallel: Sie ging unter anderem putzen oder bediente in Kneipen. Meine Eltern tranken ganz gern einen. Einen Pub zu betreiben war also nicht gerade die beste Idee. Aber das war der Ort, wo ich das erste Mal vor Publikum aufgetreten bin. Die Zuhörer empfanden meine Stimme als sehr angenehm. Ich habe dann bei einer lokalen Band vorgesungen, die einen Frontmann suchte. Eigentlich wollte ich immer auf die Kunstschule gehen und Lehrer oder Designer werden.
Was hielt Sie davon ab?
Die Musik kam mir dazwischen. Ich glaube, immer wenn wir Menschen Pläne machen, fängt Gott im Himmel an zu lachen. Man richtet seine Arbeit immer auf ein Ziel aus. Aber dann biegt man links oder rechts ab, weil man auf etwas neugierig geworden ist. Mit 14 oder 15 habe ich jedenfalls bei einer kleinen Band namens Vintage 67 gesungen und festgestellt, dass ich mit meiner Stimme etwas darstellen konnte. Sie war sehr spannend, diese Reise. Ich verspüre heute eine tiefe Dankbarkeit gegenüber der Arbeiterklasse, der ich entstamme. Es ist faszinierend, wie mein Leben sich entwickelt hat. Mein Erfolg ist alles andere als selbstverständlich.
2016 wurden Sie zusammen mit Ihren ehemaligen Mitmusikern von Deep Purple in die „Rock and Roll Hall of Fame" aufgenommen. Gibt es für einen Musiker eine größere Ehre?
Die größte Ehre ist, wenn Millionen Menschen deine Platte kaufen und viel Geld ausgeben, um dich live zu erleben. Aber in die „Rock and Roll Hall of Fame" aufgenommen worden zu sein, ist sehr schön. All meine Auszeichnungen stehen aufgereiht in meinem Studio, etwa zehn Minuten von meinem Wohnhaus entfernt. Nur die „Rock and Roll Hall of Fame"-Statue sollte hier bleiben, fand meine Frau. Mal schauen, vielleicht nehmen sie ja auch Whitesnake noch auf. Ich bin mit den Organisatoren befreundet. Es war mir eine Freude, dass ich voriges Jahr für meine Kumpels von Def Leppard abstimmen durfte. Die Aufnahme in diese Ruhmeshalle ist übrigens extraordinär teuer. Man muss sich nämlich Tische kaufen, einer schlägt mit 75.000 Dollar zu Buche. Und ich hatte gleich mehrere.
Und wie war es, die Ex-Kollegen von Deep Purple wiederzusehen?
Mit Glenn Hughes habe ich mich minimal ausgetauscht. Aber Backstage war es geil! Ein irre Party, was für ein Spaß! Ich habe Steve Miller kennengelernt, den ich sehr bewundere. Auch Little Steven, der den Soul genauso liebt wie ich. Meine Tochter ist extra aus Deutschland eingeflogen, wo sie mit ihrer Familie lebt. Und mein Sohn war total aus dem Häuschen. Funny, funny, funny! Diesen Abend werde ich so schnell nicht vergessen.
Der Klassiker „Whitesnake 1987" verkaufte sich bis heute über zehn Millionen Mal. Glauben Sie, dass sich solch ein Erfolg wiederholen lässt?
Tatsächlich haben wir von „Whitesnake 1987" bedeutend mehr Einheiten verkauft. Ob man diesen Erfolg wiederholen kann? Es erstaunt mich immer, wenn ich die Verkaufsschlager von heute so sehe: 75.000 Einheiten in einem Monat. Mein Gott, wir haben damals 353.000 Scheiben zwischen 9.30 Uhr und Mittag abgesetzt. Dafür habe ich von der Warner Music Group einen Award bekommen. Das war damals, heute ist alles anders. Zwischen den Lizenzzahlungen seitens der Streamingdienste an die Plattenfirmen und dem, was die Plattenfirmen an die Künstler weitergeben, besteht eine große Diskrepanz. Wir Urheber bekommen nicht die angemessenen Tantiemen.
Was müsste sich denn genau ändern?
Wenn die Streaming-Vergütungen sich mit den Tantiemen pro Radiosong decken würden, wären alle zufrieden. Aber solange der Komponist für drei Millionen Streamings zehn Dollar kriegt, ist das schäbig. Ich jedoch habe einen guten Digital-Vertrag. Als Künstler brauchst du einen hervorragenden Anwalt oder eine großzügige Plattenfirma. Ich finde es schrecklich zu hören, wie viele Künstler um ihr Überleben kämpfen müssen, obwohl ihre Musik wie Bolle heruntergeladen wird. Die Ziffer „Gier" muss aus der Gleichung eliminiert werden.