Mitten im Strukturwandel der Autoindustrie auch noch ein Virus: Das Saarland hat es derzeit nicht leicht. Die Unternehmen selbst sehen sich gut gerüstet: mit Geld, Ideen und Mitarbeitern. Weil viele Pendler vom Bus auf das Auto umgestiegen sind, sieht sich die Branche nun bestätigt. Verändern will und muss sie sich trotzdem.
Es waren bis zu 30.000 Menschen, die die saarländische Automobilindustrie bis April 2020 in Kurzarbeit schickte – inmitten einer Pandemie, die die ohnehin durch massiven Strukturwandel, Elektromobilität und Emissionsgesetze geschwächte Branche in noch schwierigere Fahrwasser manövrierte.
Die Situation für Ford im Saarland war bereits vor der Krise nicht gerade rosig. Tiefgreifende Änderungen erschüttern weltweit einen Konzern, der die Branchenverwerfungen in den vergangenen Jahren mehr oder weniger verschlafen hat und sich nun verspätet in die Riemen legt, um die Konkurrenz wieder einzuholen. Der neuen Strategie fielen Schichten in Saarlouis zum Opfer, Werke werden geschlossen oder verkauft. Und jetzt noch das Virus.
Deutschlandweit zwang die Pandemie 22.000 Mitarbeiter der Ford-Werke in Kurzarbeit, die Produktion wurde sechs Wochen lang ausgesetzt. Bis Jahresende bleiben wenige Bereiche zumindest für Kurzarbeit angemeldet – ob das Unternehmen diese tatsächlich in Anspruch nimmt, kommt auf die Nachfragesituation an. Mittlerweile gebe es erste Anzeichen für eine Erholung des Marktes, heißt es aus der Ford-Zentrale in Köln. „Wir werden unser Produktionsvolumen flexibel an den jeweiligen Bedarf anpassen – auch mithilfe von zusätzlichen Kurzarbeitstagen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Fertigungsbereichen. Das handhaben wir übrigens so in beide Richtungen. Beispielsweise sind gerade erst aufgrund einer Nachfragesteigerung in der Fiesta-Fertigung in Köln die Werkferien wieder verkürzt worden", so Marko Belser, Pressesprecher der Ford-Werke GmbH.
Schon vor der Pandemie hat Ford allerdings auch mit dem Abbau von Stellen begonnen. Das tief greifende „Restrukturierungsprogramm", wie es offiziell heißt, war nach Jahren, in denen Ford mit den Innovationsführern wie Volkswagen oder Toyota nicht mehr Schritt halten konnte, auch nötig. 12.000 Stellen sollen europaweit wegfallen, das Geschäftsmodell soll geändert, die Modellpalette aufgefrischt werden. Auswirkungen auf Arbeitsplätze soll die Corona-Krise jedoch nicht haben. Der Absatzeinbruch im ersten Halbjahr werde mit Kurzarbeit aufgefangen, so Belser, die Ausbildung in Köln und Saarlouis sei ebenfalls dadurch keineswegs beeinträchtigt und soll weitergeführt werden. Trotzdem werden sich die vergangenen Monate auf die Zahlen auswirken: „In Deutschland haben wir in den ersten sechs Monaten einen Absatzrückgang gegenüber demselben Vorjahreszeitraum von 41 Prozent verkraften müssen, in Europa ein Minus von 42 Prozent", sagt Belser.
Vom Absatzrückgang war die gesamte Branche betroffen, doch mit wieder steigender Nachfrage macht sich wieder Hoffnung breit. Vor allem, weil sich gezeigt hat, dass das Auto in Zeiten einer Virus-Pandemie wieder hoch im Kurs steht. Wer mit Bus und Bahn unterwegs war, stieg bei verschärfter Virus-Situation aufs Fahrrad oder ins Auto, um sich sicher zu fühlen. Dass dies nun starken Einfluss auf den künftigen Kurs des Unternehmens haben wird, ist jedoch kaum denkbar. Projekte wie die Kooperation mit Volkswagen bei Elektroautos und dem autonomen Fahren, der kürzlich erst gestartete Elektroscooter Spin oder neue digitale Anwendungen deuten darauf hin, dass sich etwas grundlegend in Fords Strategie ändert. Dass die Pandemie diesen Kurs korrigieren wird, steht derzeit nicht zu erwarten.
Fords Lieferketten blieben intakt
Denn das ist auch an vielen Stellen gar nicht nötig. Bestes Beispiel: die Supply Chain, also die gesamte Infrastruktur an Zulieferern. Während die deutsche Industrie insgesamt die Erfahrungen machte, dass eine Abhängigkeit von Zulieferern aus nur einem Erdteil, vor allem Asien und China, während der dortigen Pandemie-Maßnahmen zwangsläufig zu einem Engpass führte, muss sich Ford darüber erst einmal keine Sorgen machen. Denn sowohl in Köln wie auch in Saarlouis liegen die meisten Zulieferfirmen in direkter Nachbarschaft der Fahrzeugproduktion. „Dieses logistische Konzept hat uns geholfen, die Lieferketten bis zum Produktionsstopp unserer Werke und auch danach intakt zu halten", bestätigt Ford-Sprecher Belser.
Womit sich alle Autobauer – und damit auch ihre Supplier-Parks, hier und anderswo auf der Welt – künftig auseinandersetzen müssen, ist jedoch die Gretchenfrage: Wie hältst du es mit dem Antrieb? Lieber Diesel-Hybrid, Wasserstoff oder doch Elektro? Oder darf es etwas völlig anderes sein? Klar ist, die strengen Flottenziele der Europäischen Union erfordern bei Ford ein rasches Umdenken bis 2030. Zur Restrukturierung gehört auch die Elektrifizierungsstrategie zusammen mit den Wolfsburgern. Der VW-Konzern hat als Erstes deutsches Unternehmen reagiert und setzt voll auf die Elektromobilität. Ford folgt: „Bis Ende nächsten Jahres werden wir 18 elektrifizierte Modelle auf den Markt gebracht haben, bis Ende 2022 wird sogar über die Hälfte aller verkauften Ford-Fahrzeuge elektrifiziert sein", erklärt Marko Belser von Ford. „Dabei gehen wir diese Herausforderung technologieoffen an: Sowohl was die Bandbreite an verschiedenen elektrifizierten Antrieben von Mild-Hybriden bis zu vollelektrischen Modellen, als auch was die Forschung an alternativen Antrieben wie der Brennstoffzelle angeht." Von Wasserstoff als Energieträger für das Auto aber ist man bei Ford noch weit entfernt. Bis zur Marktreife von Wasserstoff- oder Synthetikkraftstoff-Fahrzeugen werde noch viel Zeit und Geld ins Land gehen, glaubt Belser, und der Ausbau der nötigen Ladeinfrastruktur werde nur mit enormer staatlicher Hilfe gelingen.
Auf die Elektrokarte setzt auch Benteler. Der deutsche Automobilzulieferer arbeitet im Supplier Park in Saarlouis mit Ford zusammen. Auch hier hat die Krise zugeschlagen und eine ohnehin schwierige Situation weiter verschärft. „Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation und der konjunkturellen Lage passen wir unsere Personalplanung an. Das betrifft auch die Auszubildenden", heißt es vorsichtig aus der Zentrale der Benteler-Holding in Österreich. „Aktuell produzieren wir weltweit bereits wieder in 100 Prozent unserer Automotive-Werke und haben den globalen Hochlauf der gesamten Produktion erfolgreich abgeschlossen. Das gilt auch für das Werk in Saarlouis", so eine Pressesprecherin der Konzernzentrale.
Benteler gehört zu den Zulieferern, die Finanzhilfen bei der bundeseigenen KfW-Bank beantragt haben. Dabei gibt es jedoch Schwierigkeiten. Im vergangenen Jahr hat der Zulieferer 7,7 Milliarden Euro Umsatz gemacht, vor allem mit Abgas- und Fahrwerkkomponenten in 28 Ländern weltweit. Trotz dieser Zahl steckte der Konzern bereits vor der Virus-Krise in Schwierigkeiten. Grund dafür war vor allem die Ausweitung der Geschäfte in die USA. Jetzt geht um die komplette Restrukturierung des Unternehmens, für die sich der Konzern mit Arno Haselhorst kürzlich einen in der Branche bekannten Sanierer an Bord holte.
Starke Umsatzrückgänge erwartet
Die aktuell nötige Refinanzierung von derzeit zwei Milliarden Euro über die KfW aber betrachten die deutschen Behörden mit Skepsis. Denn die ursprünglich deutsche Konzernholding zog vor etwa zehn Jahren nach Salzburg – der niedrigen Steuern wegen. Einen Coup konnte Benteler in den vergangenen Monaten dennoch landen: Zusammen mit dem italienischen Designschmiede Pininfarina und dem deutschen Bosch-Konzern bringt der Zulieferer ein modulares Chassis-System für Elektrofahrzeuge auf den Markt. Damit decken die drei Unternehmen den kompletten Entwicklungsprozess eines Elektrofahrzeuges ab – die Autokonzerne müssen sich gewissermaßen nur noch für das Außendesign der Fahrzeughülle entscheiden.
Nicht nur auf Elektro setzt künftig Deutschlands größter Automobilzulieferer Bosch. Dieser hat in den Hochzeiten der Pandemie gut zwei Drittel der Belegschaft in
Kurzarbeit geschickt, rechnet auch bis Ende des Jahres noch damit und setzt auf die Flexibilität, die die Kurzarbeit im laufenden Betrieb ermöglicht. Dies bestätigte Unternehmenssprecher Timm Stegentritt gegenüber FORUM. Am Standort Homburg habe man eine Betriebsvereinbarung mit der Belegschaft bis 2025 geschlossen, um dem Strukturwandel zu begegnen. „Hierin sind beschäftigungssichernde Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung, aber auch die Beibehaltung der Ausbildung und die Ansiedlung neuer Erzeugnisse enthalten. Damit sehen wir uns für die Zukunft gut aufgestellt." 50 Millionen Euro fließen in Entwicklung und Fertigung von Brennstoffzellen aus Homburg, Teile dieser Zellen sollen künftig aus Homburg kommen. Dafür verzichtet die Belegschaft allerdings auf Teile ihres Entgeltes und der Betriebszulage.
Trotzdem blieb auch Bosch nicht von den Auswirkungen des Virus verschont: Das Unternehmensergebnis werde durch die Pandemie stark belastet, aber auch durch wachsenden Preisdruck, so Stegentritt. Genaue Zahlen gibt es noch keine, aber Hinweise von der Konkurrenz: Der Autozulieferer Continental vermeldete bereits einen Umsatzrückgang um 40 Prozent im zweiten Quartal dieses Jahres. „Auch wenn wir durch den Aufbau von Zukunftsfeldern wie der Brennstoffzelle neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen, müssen wir unsere Strukturen und Kapazitäten an die neuen Rahmenbedingungen anpassen", lautet die Prophezeiung aus Homburg. Das letzte Wort ist also mit der Betriebsvereinbarung noch nicht gesprochen, 2025 wird man weitersehen. Außerdem muss der Konzern wie alle Zulieferer auf dem deutlich härter gewordenen und von internationalen Konsolidierungen bestimmten Markt bestehen – ebenfalls ein Merkmal des Strukturwandels in der Automobilindustrie, der in vollem Gange ist. „Die Corona-Krise wird die Veränderungen in der Branche möglicherweise beschleunigen", sagt Timm Stegentritt. „Der Rückgang der weltweiten Pkw-Produktion hat sich beispielsweise bereits im vergangenen Jahr abgezeichnet. Die aktuelle Krise verstärkt diese Entwicklung. 2017 wurden 98 Millionen Fahrzeuge weltweit verkauft. In diesem Jahr werden es unseren aktuellen Prognosen zufolge maximal 70 Millionen sein. Das bedeutet, dass es weltweit derzeit rund 30 Prozent Überkapazität gibt. Das führt in der gesamten Branche zu einem hohen Anpassungsbedarf, dem auch wir uns nicht entziehen können."
Die Transformation bleibt für die Branche ein Kraftakt. Benteler und Ford bauen sich grundlegend um; Bosch investierte Hunderte Millionen in die technologische Transformation. 250 deutsche Zulieferbetriebe stehen vor der Insolvenz. Die Corona-Krise hat die Transformation der saarländischen Automobilindustrie, ob in Richtung Elektro- oder Wasserstoffmobilität, nicht einfacher gemacht, im Gegenteil. Aufhalten kann sie sie aber nicht.