Bundesarbeitsminister Hubertus Heil plant, im Herbst ein Gesetz für ein Recht auf Homeoffice vorzulegen. Neben der SPD sind auch Grüne und FDP dafür – bloß die Union ist dagegen.
Die Heimarbeiter des 18. und 19. Jahrhunderts hätten bei dieser Diskussion wohl die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Ein Recht auf Heimarbeit! Sie kannten nichts anderes, waren an ihre Webstühle gefesselt. Was in der Frühzeit der Industrialisierung vollkommen absurd erscheinen musste, ist heute hochaktuell – mit Corona mehr denn je. Das Recht auf Homeoffice ist die große Streitfrage für die Große Koalition im kommenden Herbst.
Arbeitsminister Hubertus Heil hat sich eindeutig erklärt: „Jeder, der möchte und bei dem es der Arbeitsplatz zulässt, soll im Homeoffice arbeiten können – auch wenn die Corona-Pandemie wieder vorbei ist“, sagte er vor wenigen Wochen. Das könne entweder komplett oder für ein, zwei Tage die Woche sein. Die Epidemie ist noch lange nicht vorbei. Umso drängender die rechtliche Absicherung des Homeoffice.
Etwa 40 Prozent der Jobs kämen infrage
Die Frage ist natürlich, ob sich der Arbeitsminister von der SPD in der Großen Koalition gegen die Union wird durchsetzen können. Im Koalitionsvertrag steht dazu reichlich unverbindlich: „Wir wollen mobile Arbeit fördern und erleichtern. Dazu werden wir einen rechtlichen Rahmen schaffen. Zu diesem gehört auch ein Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber über die Entscheidungsgründe der Ablehnung.“
Mit mobiler Arbeit ist mutmaßlich das gleiche wie Homeoffice gemeint. Von einem Recht darauf steht da also nichts. Vielmehr soll man nur ein Recht darauf haben, die Gründe zu erfahren, warum der Arbeitgeber einen entsprechenden Wunsch ablehnt. Das klingt doch deutlich schwächer. Bis zum Herbst, so hat Hubertus Heil angekündigt, wird er einen Gesetzentwurf vorlegen, der ein Recht auf Homeoffice festlegt. Wie kann das funktionieren?
Klar ist, es kann nur für solche Jobs gelten, in denen das überhaupt geht. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sind das immerhin 40 Prozent aller Jobs, andere Schätzungen und Umfragen kommen auf ähnliche Zahlen. Das sind also im Wesentlichen die Schreibtischjobs, bei denen kein direkter Kontakt mit anderen Menschen, etwa Kunden, oder physischen Produkten oder Maschinen nötig ist.
Bislang haben je nach Schätzung zwischen 11 und 14 Prozent der Beschäftigten die Möglichkeit zum Homeoffice. In den Niederlanden, in denen seit 2018 eine Art Recht auf Homeoffice besteht, sind es über 30 Prozent. Könnte das in Deutschland auch funktionieren? Die Niederlande sind seit Jahrzehnten bekannt für ihr flexibles Arbeitsrecht mit einem hohen Teilzeitanteil. Tatsächlich kann auch dort der Arbeitgeber Nein sagen, ein wirkliches Recht auf Homeoffice ist es also auch nicht. In einer noch vor Corona durchgeführten Umfrage befürworten 64 Prozent der Deutschen ein solches Recht. Seither dürften es eher noch mehr geworden sein.
Es dürfte für Hubertus Heil schwierig werden, sich mit der Idee eines Rechtsanspruchs durchzusetzen, wenn es denn ein Rechtsanspruch werden soll. Die Union ist klar dagegen. „Ich bin dafür, ein Angebot für Homeoffice zu machen – aber ein Recht auf Homeoffice, da habe ich meine großen Schwierigkeiten”, sagte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Peter Weiß, vor ein paar Wochen dem SWR. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sieht es auch so: „Ich bin überzeugt, dass viele Betriebe von sich aus mehr Homeoffice ermöglichen, aber es passt eben nicht überall, vor allem, wenn der direkte Kontakt zu Kunden und Mitarbeitern nötig ist.“
Damit deckt sich die Position der Union ziemlich mit der der Arbeitgeber. Deren Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter hält die Idee für einen „politischen Ladenhüter“. In Zeiten der Rezession müsse man die Unternehmen entlasten. „Wir brauchen ein Belastungsmoratorium statt weiterer Vorgaben, die Wachstum und Flexibilität beschränken“, so Kampeter.
Von Grünen und FDP bekommt Heil dagegen Zuspruch. Die Grünen fordern ein Recht auf Homeoffice und mobiles Arbeiten an einem selbstgewählten Ort – das soll allerdings „alternierend als Ergänzung zum festen Arbeitsplatz“ stattfinden, damit Beschäftigte weiterhin in den Arbeitsablauf eingebunden sind und nicht „unsichtbar“ werden, wenn es beispielsweise um Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten geht. Damit haben sie einen kritischen Punkt erfasst: Das Homeoffice kann berufliche Nachteile mit sich bringen: Die Gefahr, dass man abgeschnitten wird von den Vorgängen im „Zentrum“ ist nicht von der Hand zu weisen.
Bemerkenswert ist die Position der FDP. Interessanterweise steht sie nicht komplett hinter (oder vor) den Arbeitgebern, sondern fordert ebenfalls: „Es muss ein Recht auf Homeoffice geben, sofern keine betrieblichen Belange entgegengesetzt sind.“ Das kann natürlich viel heißen. Aber immerhin fordert die FDP das Recht auf Homeoffice. „Dort, wo es geht und gewünscht ist, soll es möglich werden,“ sagt deren arbeitsmarktpolitischer Sprecher Johannes Vogel. „Nicht das mobile Arbeiten sollte begründungsbedürftig werden, sondern seine Ablehnung,“ so Vogel. „Bei der SPD ist – wie so oft – zu befürchten, dass sie lediglich bestehende Gesetze aus der analogen Zeit in die digitale Zeit überführen will.“
Wer stellt Möbel und Computer?
Für den Liberalen Vogel geht es um etwas Grundsätzliches: „Wer mobiles Arbeiten ernst nehmen will, der stärkt die Wahlfreiheit der Menschen zwischen einem Arbeitsplatz im Büro, am heimischen Schreibtisch, auf der Couch oder im Café.“ Dazu müsse das Arbeitszeitgesetz modernisiert werden und bestehende und aus der Zeit gefallene bürokratische Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung abgebaut werden, so Vogel gegenüber FORUM. „Der Handlungsbedarf ist groß, denn mit den Regeln von gestern gestalten wir nicht die Arbeitswelt von heute.“
Heil will zwar Homeoffice, befürchtet aber zugleich neue Formen der Ausbeutung: So dürfe der Arbeitnehmer zuhause „nicht rund um die Uhr erreichbar sein“, so Heil. Auch der Arbeitsschutz ist dem Minister wichtig: Sicherheit und Gesundheit müssten gewährleistet sein. Der Stuhl muss zum Beispiel ergonomisch sein, damit man keine Rückenschmerzen bekommt und so weiter. Wer soll das kontrollieren? Wer soll Möbel und Geräte stellen? Muss der Arbeitgeber dafür ein Zugangsrecht in die Wohnungen bekommen? Diffizile Angelegenheit.
Auch die Erfassung der Arbeitszeit wirft Probleme auf – möglicherweise auch die Definition von „Arbeitszeit“ – je mehr man anfängt, Kinderbetreuung und Hausarbeit irgendwie parallel zur Arbeit zu organisieren.
Ein „hartes“, uneingeschränktes Recht auf Homeoffice ist tatsächlich kaum vorstellbar, denn das würde die Möglichkeiten eines Arbeitgebers, seine Firma zu organisieren, stark einschränken. Er muss zumindest die Möglichkeit behalten zu erklären, dass ein Job schlichtweg nicht zuhause funktioniert. Vielleicht wird es einklagbare Kriterien geben können, wonach beurteilt werden kann, ob ein Job wirklich nicht in Frage kommt fürs Homeoffice. Wahrscheinlich ist daher eine Lösung, in der der Arbeitgeber den Wunsch eines Beschäftigten gut begründen muss, wenn er ihn ablehnt. Bereits jetzt gibt es in vielen Betrieben eine Betriebsvereinbarung oder individuell im Arbeitsvertrag vereinbarte Klauseln.
Folgen aus Rechten auch Pflichten? Derzeit gibt es Homeoffice nur bei beiderseitigem Einverständnis: Weder Arbeitgeber, noch Arbeitnehmer können dazu gezwungen werden. Sollte es eine Art Anspruch auf Homeoffice geben, was würde das bedeuten? Könnte es auch ein Recht geben, Homeoffice anzuordnen? Heil lehnt klar ab: „Ich will niemanden zum Homeoffice zwingen“, sagt er.