Die Demokraten sollen mit verwirrenden Äußerungen zur Wahl entmutigt werden
Die Wahl-Kampagne von US-Präsident Donald Trump gleicht einem riesigen Musikdampfer. Die Kapelle auf dem Deck spielt pausenlos, das Publikum wird dauerbeschallt. Das Kalkül: Niemand soll zur Besinnung kommen. Der Mann, der den Taktstock schwingt, scheint nie zu schlafen.
Trump versucht auf diese Weise, die öffentliche Aufmerksamkeit zu okkupieren, die Agenda permanent zu besetzen. Es ist in erster Linie eine Ablenkung von der düsteren Realität. Der Präsident steckt in einem perfekten politischen Sturm. Die Wirtschaft bricht in einem historischen Ausmaß ein. Die Arbeitslosenrate bleibt für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich hoch – nämlich zweistellig. Das Miss-Management der Corona-Pandemie ist eine weltweite Blamage. In den Meinungsumfragen liegt der Amtsinhaber deutlich hinter seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden.
Doch Trump lässt Pauken und Trompeten aufspielen. Der irrlichternde Vorstoß, die gesetzlich für dieses Jahr auf den 3. November fixierte Wahl zu verschieben, gehört in diese Kategorie. Rechtlich hat der Präsident überhaupt keine Handhabe dafür. Er bräuchte die Zustimmung beider Kammern des Kongresses. Da aber die oppositionellen Demokraten im Repräsentantenhaus über die Mehrheit verfügen, ist der Vorschlag eine politische Totgeburt. Folgerichtig macht der Präsident einen Rückzieher und verkündet: „Ich habe kein Interesse an einer Verlegung.“ Es ist ein Verwirrspiel. „Hü“ und „Hott“ sind Teil einer Inszenierung. Hauptsache, die Schlagzeilen werden beherrscht.
Angesichts seiner verzweifelten Lage bräuchte Trump einen außenpolitischen Scoop, einen sensationellen Durchbruch. Offenbar gab es hinter den Kulissen eine Kontaktanbahnung zum Erzfeind Iran. Ein neues Abkommen mit dem Mullah-Staat, das dessen nukleare Ambitionen zügelt und dessen Unruhe-Potenzial im Nahen Osten eindämmt, wäre ein solcher Knalleffekt. Der Präsident als Weltenlenker, der mit seiner Strategie des „maximalen Drucks“ die Machthaber in Teheran in die Knie zwingt – derartige Bilder könnten eine neue Dynamik in den Wahlkampf bringen. Doch Ali Chamenei, Irans oberster Führer, durchschaut das Spiel und wird Trump diesen Gefallen nicht tun.
Da er in der Innenpolitik kaum etwas vorzuweisen hat, setzt der Republikaner auf maximale Verunsicherung. Der Sturmlauf gegen die Briefwahl, die in vielen US-Bundesstaaten seit Jahren gang und gäbe ist, hat nur einen Zweck: Bidens Anhänger sollen entmutigt werden. Er hofft, dass viele resigniert aufgeben – nach dem Motto: „Mein Kreuz ändert ja doch nichts.“
In den USA werden Wahlen in wenigen Bundesstaaten mit wechselnden Mehrheiten entschieden Die Mobilisierung der eigenen Basis ist eine Schlüsselfrage. Barack Obama gelang dies 2008 und 2012. Hillary Clinton vermasselte den Sieg 2016, weil sie nicht genug Farbige und Latinos an die Wahlurne treiben konnte. Trump weiß hingegen, dass seine eigene Klientel unter Dampf steht. Vor allem Weiße und evangelikale Christen werden ihn in Scharen wählen. Trump schürt einen Kulturkampf und spielt offen mit dem Feuer des Rassismus.
Sollte der Präsident knapp verlieren, dürfte er die Wahl nicht anerkennen. Er wird sich als Opfer des verhassten Washingtoner Establishments darstellen, das ihm eine weitere Amtszeit durch „manipulierte“ Briefwahlen gestohlen hat. Die Rolle des Rächers der Betrogenen liegt ihm am meisten. Trump würde die Wahl anfechten und versuchen, im Amt zu bleiben. Ein sich lange hinziehender Streit vor den Gerichten könnte die Folge sein. Die Demokraten unken bereits: Trump wolle mit seinen dunklen Warnungen den Boden dafür bereiten.
Kürzlich wurde Trump in einem TV-Interview die Frage gestellt, ob er eine Wahlniederlage akzeptieren würde. Er antwortete: „Das muss ich sehen. Ich werde jetzt nicht einfach Ja sagen.“ In Washington schließen einige auch ein düsteres Szenario nicht aus. Der Präsident könnte als selbsternannter Hüter von Recht und Ordnung das Militär, die Nationalgarde oder eine Vielzahl der rechten bis rechtsextremen Milizen zu Hilfe rufen. Das wiederum würde eine Reihe von Gegen-Demonstranten auf die Straßen treiben. „Das Land steht am Rande eines Bürgerkriegs“, hieße dann der Schlachtruf aus dem Weißen Haus. Trump als Retter vor dem Untergang: So sieht sich der Präsident am liebsten.