In Zeiten des weltweiten Insektensterbens haben japanische Forscher eine neue Methode zur künstlichen Bestäubung von Nutzpflanzen entwickelt. Sie setzen dabei auf durch Drohnen versprühte Seifenblasen als Pollen-Träger.
Das fiktive Szenario einer Welt ohne die für die Obstblüte nötigen Bienen dürfte jeder kennen, der den Roman der norwegischen Schriftstellerin Maja Lunde mit dem Titel „Die Geschichte der Bienen“ gelesen hat. Darin kann man sich unter anderen amüsierend über die Menschen im Reich der Mitte wundern, die zu vielen Tausenden zur Handbestäubung in Bäumen herumkraxeln. Tatsächlich wurde diese aufwändige und kostenintensive Methode der künstlichen Befruchtung in China schon mal angewendet, beispielsweise in der südwestchinesischen Provinz Sichuan vor allem in den 1980er- und 1990er-Jahren, weil damals dort wegen übermäßigem Pestizideinsatzes der Bestand an natürlichen Bestäuber-Insekten stark reduziert worden war. Besonders das globale Bienensterben hatte auch der Schweizer Regisseur Markus Imhoof in seinem hochgelobten Dokumentarfilm „More than Honey“ 2012 deutlich vor Augen geführt. Aber auch er präsentierte bienenfleißige Bewohner einiger Dörfer des Kreises Hanyuan in Obstbaumwipfeln bei der mühevollen Pinsel-Bestäubungsarbeit.
Schon heute teilweise Bestäubung von Hand
Auch in Japan ist es inzwischen üblich, dass Bauern Blüten von Nutzpflanzen gelegentlich von Hand befruchten, was nicht nur mühsam ist, sondern auch den Geldbeutel erheblich belastet. Die dafür nötigen Pollen müssen zuvor meist recht arbeitsintensiv gewonnen werden. Beim Zimtapfel oder bei der Vanille ist Handbestäubung ohnehin längst Usus. Und in hiesigen Gewächshäusern führt kein Weg an künstlicher Bestäubung mittels Pinseleinsatz beispielsweise für Tomatenpflanzen vorbei. Auch mit sogenannten Pollenbläsern wird der Natur inzwischen schon mal auf die Sprünge geholfen, weil größere Mengen von Pollen auf Blüten von Kiwis oder Oliven für eine bessere Ernte sorgen können. In Zeiten vor dem Siegeszug der intensiven Landwirtschaft konnte man die Bestäubung noch komplett den Insekten überlassen, auf deren unermüdlichen Einsatz rund 75 Prozent aller Nutzpflanzen angewiesen sind. Doch der Bestand von Bienen, Hummeln und Co. wurde durch den zunehmenden Verlust an Lebensraum, durch massenhaften Einsatz von Dünger und Pestiziden, durch biologische Faktoren wie Parasiten (beispielsweise der Varroamilbe als tödlichem Feind der Honigbienen) sowie den Klimawandel in den letzten Jahrzehnten erheblich dezimiert. In den USA hat dies schon bewirkt, dass sich Imker einen goldenen Daumen verdienen können, weil die riesigen kalifornischen Mandelplantagen während der jährlichen Februar-Blüte auf den Bieneneinsatz angewiesen sind. Mit langen Lastwagenkonvois werden bis zu 1,5 Millionen Bienenvölker dorthin gekarrt, die Imker verdienen durch Vermietung ihrer Völker ein Vielfaches von dem, was sie mit der Honigproduktion erzielen können. Allerdings ist der lukrative Deal für die US-Imker mit einem nicht unerheblichen Risiko behaftet, weil viele Bienen regelmäßig an Pestizid-Vergiftung verenden.
Kein Wunder also, dass sich auch die Wissenschaft in Zeiten des Insektensterbens längst auf die Suche nach alternativen Methoden zur Pflanzenbestäubung begeben hat. Der japanische Chemie-Professor Elijiro Miyako vom Advanced Institute of Science and Technology in Nomi ist so etwas wie der weltweite Forschungs-Pionier. Schon 2017 hatte er eine vier Zentimeter große Drohne entworfen, die die Arbeit der Bienen übernehmen sollte. Die Unterseite des Spielzeug-Quadrocopters war mit Pferdehaar und einem klebrigen Gel versehen, woran die Pollen angeheftet waren. Bei Pilotflügen über japanische Lilien, die extrem große Blüten und offen-stabile Stempel haben, waren die Ergebnisse nicht gänzlich zufriedenstellend, weil die Drohne viele Pflanzen beim Bestäubungskontakt zerstört hatte. Ähnlich wie einst der fallende Apfel Isaac Newton zu dessen legendärem Gravitationsgesetz inspiriert hatte, führte der Zufall Regie bei Miyakos Entdeckung zur Lösung des Bestäubungsproblems. Beim Seifenblasen-Spiel mit seinem Sohn war er fasziniert vom Zerplatzen einer Blase im Gesicht des Jungen. Daraus entwickelte er spontan die Idee, dass die zarten Blasen mit Pollen beladen womöglich zur sanften künstlichen Befruchtung viel besser geeignet sein könnten als die die Blüten häufig beschädigende Roboter-Biene.
Zunächst galt es für Prof. Miyako herauszufinden, in welcher Seifenlaugen-Mixtur die Pollen nicht beeinträchtigt würden und gleichzeitig eine ausreichende Festigkeit der Blasen gewährleistet werden könnte. Die Seifenlösung wurde anschließend auf Bubble Guns gefüllt und in einem Feldversuch gezielt auf einer Birnen-Plantage zum Einsatz gebracht. 50 Blüten der Birnensorte Nashi wurden von den Forschern mit Seifenblasen beschossen, wobei jede Blüte von zwei bis zehn Blasen getroffen wurde. Beim Auftreffen auf die Blüten zerplatzten die Blasen, und die Pollen gelangten dadurch auf die Narben. „16 Tage, nachdem wir die Seifenblasen auf die Zielblüten gebracht hatten, bildeten sich die ersten jungen Früchte“, so Prof. Miyako, „Das ist ein erstaunlicher Effekt, denn schon wenige Blasen reichen aus, um einen solchen Effekt zu erzielen.“ Zudem habe die Rate der erfolgreichen Bestäubungen bei rund 95 Prozent gelegen, womit man den gleichen Wert habe erzielen können wie mit viel aufwändigeren Handbestäubungen. „Es klingt wie Fantasie“, so Prof. Miyako, „aber die funktionellen Seifenblasen ermöglichen tatsächlich eine effektive Bestäubung und führen zu einer genauso guten Fruchtqualität wie die Handbestäubung.“ Darüber hinaus wies Prof. Miyako, der die Ergebnisse seiner jüngsten Forschungen im Juni 2020 im Fachmagazin „iScience“ veröffentlicht hatte, aber auch noch auf Vorteile der Seifenblasen-Bestäubung neben der vergleichsweise einfachen Herstellung der Lösung hin. Man brauche nur ein 1/30.000 der Pollenmenge, welche die Handbestäubung per Pinsel erfordere. Für eine erfolgreiche Handbestäubung benötige man 1.747 Milligramm Pollen, für ein Handspray mit Pollenlösung 3,2 Milligramm, für die Seifenblasen nur 0,06 Milligramm. Auch habe es sich bei weiteren Tests gezeigt, dass zwei bis drei Seifenblasen pro Blüte vollauf ausreichten.
Zur Bestätigung der im Feldversuch gewonnenen Erkenntnisse startete Prof. Miyako mit seinem Team auch noch einen Labortest, wobei er sein Lieblingsobjekt Drohne mit zum Einsatz brachte. Statt Birnenblüten wurden dabei Lilienblüten bestäubt. Die Wissenschaftler rüsteten einen Quadrocopter mit einem automatischen Blasenmacher aus, der mit der Pollen-Seifenlösung befüllt war. Es stellte sich heraus, dass man beim Drohneneinsatz eine Bestäubungsrate von 90 Prozent erzielen konnte, sofern die GPS-gesteuerte Drohne die Blasen aus einer Höhe von zwei Meter versprüht hatte und nicht schneller als zwei Meter pro Sekunde geflogen war. Es wurden dabei rund 5.000 Seifenblasen pro Minute freigesetzt.
Die neue Technik erzielt eine Bestäubungsrate von 90 Prozent
Die Forscher räumten allerdings ein, dass eine solch hohe Bestäubungsrate in der Natur nur bei besten Witterungsbedingungen erzielt werden könnte, weil die Blasen bei starkem Wind oder Regen schon vor Erreichen der Blüten zerplatzen könnten. Auch sei noch zu klären, ob die Blasen auch zu Blüten in inneren Bereichen der Äste oder Baumkronen vordringen könnten. Angeblich gibt es laut Prof. Miyako bereits ein Unternehmen, das Interesse an einer Vermarktung des Bestäubungsroboters angemeldet hat. Allerdings hat sich der Wissenschaftler vorgenommen, zunächst noch einige Verbesserungen an seiner neuen Bestäubungsmethode vorzunehmen. Vor allem will er die Seifenblasenlösung so weit verändern, dass ihre Zutaten in der Natur abbaubar sind. Prof. Miyako schwebt dabei eine Bio-Seifenlauge vor, die so ungefährlich sein soll, dass man sie sogar trinken werden könne. Zudem möchte Prof. Miyako die Zielgenauigkeit der Drohne nach Möglichkeit noch deutlich erhöhen.
Unumstritten ist Prof. Miyako mit seinen Forschungen im Kollegenkreis keineswegs. So bescheinigte Dave Goulson, Biologieprofessor an der britischen University of Sussex, der neuen Methode zwar „durchaus Potenzial“, bekundete aber gleichzeitig seine tiefe Beunruhigung darüber, „dass unsere Antwort auf die Bestäubungskrise darin besteht, Wege zu finden, auf Bestäuber zu verzichten.“ Zudem erfordere auch Miyakos Erfindung weiterhin das aufwändige Pollensammeln, und es bestehe die Gefahr, dass der Pestizideinsatz wieder hochgefahren werde, wenn auf Bienen als Bestäuber keine Rücksicht mehr genommen werden müsse. Der Bienenforscher Prof. Peter Neumann von der Universität Bern kritisierte die hohen Kosten, die für die Beschaffung der künstlichen Bestäuber zwangsläufig anfallen werden. Viel besser wäre es aus seiner Sicht, für einen Bruchteil des Geldes die Vielfalt der natürlichen Bestäuber zu schützen und zu fördern.