Umsatzrückgänge, Corona-Auflagen, weniger Gäste – den meisten Gastronomen geht es nicht gut. Viele müssen aufgeben.
Für viele Wirte war es ein Zeichen der Hoffnung. Nach zwei Monaten Zwangspause durch Corona durften sie Mitte Mai schrittweise wieder öffnen. Doch jetzt, nach drei Monaten Betrieb mit Maskenpflicht, Abstandsregeln, Tanzverbot und Adressensammeln, zeigt sich, dass viele noch lange nicht über den Berg sind. Nach einer Umfrage des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga sagen acht von zehn Gastronomen, ein wirtschaftliches Handeln sei unter den aktuellen Corona-Auflagen nicht möglich. Für das Gesamtjahr erwarteten die Betriebe einen Umsatzrückgang von mindestens 55 Prozent.
Die Lage ist zweigeteilt: „Gastronomie in Feriengebieten und mit großen Terrassen erzielten bis zu 80 Prozent ihrer alten Umsätze. Kleine Restaurants und Kneipen kommen gerade mal auf 30 bis 40 Prozent", beobachtet Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga.
Zum Beispiel Helmut R. Er führt ein kleines Lokal, das eigentlich ganz idyllisch unweit von einem der vielen Berliner Seen liegt. Er sagt, seine Lage sei eine Katastrophe. „Wir brauchen den Sommer, das ist die Saison. Der ist jetzt fast gelaufen. Das Hotel hier in der Straße hat uns sonst abends viele Gäste gebracht. Doch das war ein halbes Jahr geschlossen. Der Mittagstisch lohnt sich auch nicht mehr. Unter 20 Gästen bringt das nichts: Ich muss den Koch und eine Bedienung bezahlen. Die musste ich natürlich entlassen. Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Wir werden sehen."
Selbst renommierte Namen hat es erwischt. Promi-Gastronomin Sarah Wiener musste Ende Juli Insolvenz für ihre Restaurants in Berlin und ihren Cateringservice anmelden. „Ich kann nur immer mehr Schulden machen, wenn ich die irgendwann abzahlen kann", sagte die Unternehmerin dem „Stern". „Wenn wir uns alle ehrlich fragen: War es das mit Corona? Dann ist die Antwort doch: Nein, wir stecken mittendrin, ein Ende ist nicht abzusehen." Sie befürchtet, dass das Sterben viele weitere Betriebe trifft. „Für die Vielfalt der Gastroszene – das Besondere, das Wilde – ist das ganz bitter."
Jens S. zum Beispiel hat sich auf Reisegruppen, Schüler und Jugendliche mit schmalem Geldbeutel eingestellt. „Die Pandemie hat mein Geschäft ruiniert", sagte er der „Berliner Zeitung". Er betreibt ein Hostel mit 50 Zimmern und 170 Betten. Seit der Absage der Internationalen Tourismusmesse noch im Februar brach sein Geschäft ein. Und die Stornierungen haben bis heute nicht aufgehört, auch wenn er die Preise gesenkt hat. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, die ihm das Gebäude für 25.000 Euro monatlich vermietet, hat von einer Mietminderung nichts wissen wollen.
Ein Ende der Corona-Krise ist nicht abzusehen
Insgesamt wird in der Gastronomie für den Herbst eine Welle von Insolvenzen erwartet. Üblicherweise muss ein Unternehmen, das in existenzbedrohende Zahlungsschwierigkeiten kommt, binnen drei Wochen einen Antrag auf Insolvenz stellen, doch diese Pflicht ist bis Ende September ausgesetzt, sodass Prognosen kaum möglich sind.
Dabei tun Bund und Länder einiges, um die Gastronomie über die Krise zu retten. Die Mehrwertsteuer auf Speisen wurde ab Juli für ein Jahr von 19 auf sieben Prozent gesenkt, bis Jahresende sogar auf fünf Prozent. Neben Kurzarbeitergeld wurden Soforthilfen, KfW-Kredite und Mietstundungen ermöglicht. „Die Gastronomie gehört zu den wichtigen Branchen in Deutschland", unterstreicht Hanno Kempermann vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. 775.000 Beschäftigte in Restaurants und Gaststätten stehen gut 1,05 Millionen im Maschinenbau und 800.000 Mitarbeitern in der Automobilwirtschaft inklusive Zulieferer gegenüber.
Am 12. Juni beschloss das Bundeskabinett Überbrückungshilfen in Höhe von 25 Milliarden Euro, die von der Coronakrise besonders stark betroffenen Betrieben helfen sollen, die kommenden Monate zu überbrücken und den Neustart zu ermöglichen. Hierzu zählen neben Restaurants, Bars, Diskotheken und Kneipen auch Jugendherbergen oder Landschulheime. Die Zuschüsse sind keine Kredite – die würden den Betroffenen ohnehin nicht helfen, da die meisten sowieso schon Schulden aufgenommen haben.
Für die Beantragung gelten einige Bedingungen: Der Betrieb darf Ende 2019 nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gewesen sein. Der Umsatz in den Monaten April und Mai muss im Vergleich zum Vorjahr um mindestens 60 Prozent eingebrochen sein. Der Betrieb darf nicht mehr als 249 Beschäftigte haben, der Umsatz muss unter 50 Millionen Euro und die Bilanzsumme unter 43 Millionen Euro liegen. Der Startschuss wurde auf den 1. Juli festgesetzt.
Wenn der Staat schon Geld gibt, setzt er die Hürden entsprechend hoch an. Es geht um ein zweistufiges Verfahren. In der ersten Stufe muss bewiesen werden, dass die Antragsvoraussetzungen erfüllt und erstattungsfähige Fixkosten vorhanden sind. In der zweiten Stufe muss nach Ablauf des Hilfe-Zeitraums nachträglich ein Soll-Ist-Vergleich stattfinden. Weichen die tatsächlichen Umsätze ab, müssen zu viel gezahlte Zuschüsse erstattet und fehlende aufgestockt werden. Vorgeschrieben ist, einen Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zu Hilfe zu nehmen, um die Rechtmäßigkeit der Ansprüche zu sichern. Das Bundeswirtschaftsministerium verweist darauf, dass bei der Corona-Soforthilfe die Missbrauchsrate sehr hoch gewesen sei. Eine Wiederholung solle vermieden werden.
Hilfe gibt es ab 60 Prozent Einbruch
Welche Hilfe können Hoteliers und Gastronomen erwarten? Die größten Probleme bereiten den Unternehmen aus der Gastronomie derzeit die betrieblichen Fixkosten wie zum Beispiel Miete oder Pacht. Der Bund will hier einspringen und von Juni bis August bis zu 80 Prozent der Kosten übernehmen. Neben Miete und Pacht können auch Teile der Ausbildungs- oder Steuerberaterkosten übernommen werden, auch für Wartung, Instandhaltung, Strom, Wasser oder Heizung ist eine Übernahme möglich. Zudem fallen Zinszahlungen, Leasingraten und Versicherungskosten unter zu fördernde Kosten. Die Höhe der Übernahme richtet sich nach der Höhe des nachgewiesenen Umsatzeinbruches – je stärker der Einbruch ist, desto höher ist der Prozentsatz, zu dem die Fixkosten übernommen werden. Also: Bei 50 Prozent Umsatzverlust werden zwischen 50 und 70 Prozent der Fixkosten übernommen. Der Höchstbetrag liegt bei 150.000 Euro für drei Monate. Die Anträge müssen bis zum 31. August gestellt worden sein. Hinzu kommen weitere Erleichterungen wie die Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge auf 40 Prozent, die Entlastung bei der EEG-Umlage beim Strom, die Erweiterung der Verrechnungsmöglichkeiten von Verlusten bei der Steuer oder auch eine Ausbildungsprämie.
Die Hilfen reichen lange nicht aus, meint der Branchenverband Dehoga. Das Hilfepaket enthalte zu viele Einschränkungen, die Förderung könne nur einmalig beansprucht werden und die Laufzeit sei zu kurz. Statt drei bräuchten die Betriebe sieben Monate Unterstützung. Auch der Hotelverband Deutschland ist nicht von der ausreichenden Wirkung der Überbrückungshilfe überzeugt.
„Ein Rettungsfonds mit direkten, nicht rückzahlbaren Finanzhilfen, wie wir diesen bereits seit März fordern, ist überlebensnotwendig", sagt Dehoga-Chef Guido Zöllick. Jetzt komme es zum einen darauf an, die Hilfen von drei auf sieben Monate auszuweiten. Zum anderen hängt die Wirksamkeit der Maßnahmen von der Ausgestaltung der Detailfragen ab, heißt es – etwa, welche Fixkosten erstattungsfähig seien.
Noch hilft vielen Gastronomen das schöne Wetter. Im Freien lassen sich Abstände besser einhalten, das Risiko sich anzustecken, ist kleiner als in geschlossenen Räumen. Gefeiert wird viel und eng in den offenen Straßencafés. Vielen Wirten tut sich dabei ein neues Dilemma auf: Nehmen sie den steigenden Umsatz mit oder messen sie jeden Abend penibel mit dem Zollstock die 1,50 Meter Abstand aus?