Nach langen Bauarbeiten ist sie beinah komplett, die durchgängige Terrasse am Schiffbauerdamm. Die „Fünf vom Schiffbauerdamm" machen mit ihren Lokalen Lust auf eine Freiluft-Erkundungstour durchs kulinarische Mini-Europa am Spreeufer.
Auf den knapp 400 Metern zwischen Weidendammer Brücke und dem Fußgängersteg über die Spree versammelt sich Klein-Europa zum Ausgehen. Die fünf Gastronomiebetreiber dort schlossen sich schon vor der Corona-Krise zusammen. Ihr Ziel: Eine einheitliche, durchgängige Terrasse am nördlichen Spreeufer. Das für die Arbeiten zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt spielte und die „Fünf vom Schiffbauerdamm" finanzierten das Geländer und eine einheitliche Befestigung mit.
Die Terrasse ist nun bis auf einen Schlenker über den historischen Panke-Zulauf fertig. Doch so richtig lernten die Gastronomen sich erst durch die jetzige Krise kennen. Man geht manches Problem gemeinsam an und hilft einander. Sie sind sich einig: Der Zusammenhalt und der gemeinsame Blick auf das Geschehen an „ihrem" Ufer sollen bleiben. „Es ist gut, dass wir alle so unterschiedlich sind", sagt Michael Pankow vom „Ganymed" und „Brechts Steakhaus". „Das verhindert, dass sich das Niveau touristisch verwässert."
Sie ist schön geworden, die Terrasse – mit ihren Schirmen und Markisen, bunten Lichterketten und der individuellen Bestuhlung. Eine weitere Überraschung für mich: Es gibt in den Lokalen am Schiffbauerdamm sogar für Berliner viel zu entdecken! Das wusste die eingeborene Begleiterin, die im nahen politischen Berlin arbeitet, ohnehin: „Da geht man nach der Arbeit oder mit Geschäftspartnern hin." Wir schauen uns sechs der Restaurants, Bars und Kneipen in einer „Hop-on-Hop-off-Tour" an und erleben selbst, was Irland, Frankreich, Deutschland und Italien auf den Tellern und in den Gläsern zu bieten haben.
Startpunkt ist „Murphy’s Irish Pub" am Bertolt-Brecht-Platz. Guinness in großen Gläsern oder gar ein gemischtes Beer Tasting Board klappen zum recht frühen Auftakt unserer Gastro-Tour noch nicht. Doch das Guinness steckt komprimiert im Irish Stew. Der Eintopf wurde von Lammfleisch zu Rind eingedeutscht und mit Zwiebeln, Rüben, Karotten und Sellerie und einer Guinness-Reduktion wurzelig, dicht und geschmackvoll eingekocht. Ein Shepherd’s Pie mit Kartoffelstampf, Erbsen, Karotten und Hackfleisch ist mit Käse und einer Extra-Portion Bratensauce überbacken. Diese „Irische Lasagne" ist eine schmackige Grundlage für jeden Pub-Abend. Das Steak auf dem heißen Stein erfreue sich großer Beliebtheit, verrät Betriebsleiter Till Haffner. Ein Entrecôte brutzelt auf der Grillplatte am Tisch seiner gewünschten Bräunung entgegen. Backkartoffeln, Crème fraîche und ein gemischter Salat werden dazu gereicht. Wir stellen fest: Bei Lust auf Hausmannskost auf die irische Art ist das „Murphy’s" auch zum „Nur-Essengehen" mit Bierbegleitung eine prima Wahl!
Die Tour startet mit eingedeutschtem Irish Stew
Nächste Station ist Frankreich mit der „Ganymed Brasserie". In dem Lokal werde bereits „seit Achtzehnhundert-Irgendwas" Gastronomie betrieben. Es war „der Treffpunkt schlechthin für alles, was in der DDR Rang und Namen hatte", verrät Geschäftsführer Michael Pankow. Zum „zweiten Lieblingswein aus unserer Karte", einem „Entre deux Mers" vom Château Nicot fangen wir noch einmal von vorne an. Auf einer Hors d‘œuvre-Platte versammeln sich Foie gras, Lachstatar mit Wasabi-Mayonnaise, Ziegenkäse im feinknuspernden Brik-Teig mit Tomatenmarmelade und quasi frisch dem Meer entsprungener, gegrillter Oktopus. Die Entenleber-Terrine ist zusammen mit gerösteter Brioche und Passionsfrucht-Dip eine cremige Wucht. Der am Mittelmeer aufgewachsene Fotograf findet großen Gefallen am gegrillten, dicken Tintenfisch-Bein. Dem leichten Weißwein aus dem Bordeaux sind nicht nur die Zitrusfrüchte, sondern auch eine Prise Salz vom Meer zugeflogen. Er ergänzt die Vorspeisen duftig und leicht und wird zu unserer Nummer eins erkoren. Der Wein trägt auch den intensiveren Geschmack des am Tisch mit Kapern, Anchovis, Eigelb, Gürkchen und Schalotten frisch zubereiteten Rindertatars klaglos mit. Weil das benachbarte „Brechts Steakhaus" das Lokal fürs ausgeprägt Fleischliche ist, rutschen wir mit Michael Pankow auf „seiner" Terrasse einige Tische weiter. Wir lassen es uns bei Streifen vom Rib Eye, Rumpsteak und Rinderfilet wohl sein und grillen zum zweiten Mal an diesem Abend selbst. Pommes frites, Salat und ein würziges Pfefferjus begleiten die Platte. Das Fleisch selbst macht auch pur, nur mit Meersalzflocken, Pfeffer und Olivenöl eine sehr erfreuliche Figur.
Auf so viel feines Meeresgetier und Fleisch erst einmal ein Bier! Wir könnten es uns in der „Berliner Republik" bei Fabian Granow selbst an der „Brokers Bierbörse" erhandeln. 18 Biere vom Fass werden auf diese Weise ab 17 Uhr angeboten. Besonders gefragte Sorten werden teurer, die Preise der anderen sinken. Klar, dass zum Bierspaß mit exakten Orders und Preisen deftiges Essen gefragt ist. „Wir wollen das ‚best Eisbein in town‘ machen", sagt Geschäftsführer Granow. „Das schmeckt erst, wenn du viele davon kochst." Das Eisbein wird berlinerisch mit Erbspüree, Specksauerkraut, Salzkartoffeln und Mostrich aufgetischt. Saisonales ist ebenfalls angesagt. Der aus dem Elsass in die Hauptstadt zugewanderte Flammkuchen wird aktuell mit Pfifferlingen belegt. Später im Jahr folgen auf der Saisonkarte Gerichte mit Steinpilzen, Kürbis und Gans. Die Berliner Küche ist Programm: Berliner Currywurst oder eine Kalbsleber Berliner Art mit Äpfeln, Zwiebeln und Stampfkartoffeln. Aus dem „Hungerturm" kommen unter anderem Spreewaldgurken oder eine Vesperplatte mit Knackern, Harzer Käse, Schwarzwälder Schinken und Eisbeinsülze auf den Tisch. Wer sich durch typische Würste hindurchbeißen will, findet auf einer Wurstplatte eine reiche Auswahl: Bockwurst, Chilibeißer, Grillknacker, Schinkenknacker, Rostbratwurst, Weißwurst und Wiener bringen jeweils 100 Gramm auf die Waage. Diese sieben Sorten, allesamt in der Landfleischerei Luckenwalde hergestellt, sind für zwei Personen dimensioniert. Das ergibt eine sehr solide Grundlage für Menschen mit großem Appetit und für Gelage jeglicher Art!
Der Dom bleibt in Kölle, das Kölsch kommt nach Berlin
Nur an die Blutwurst wagen sich die Köche der „Berliner Republik" lieber nur in kleinem Rahmen auf der Vesperplatte heran. Die ist die Domäne der benachbarten Rheinländer: In der „Ständigen Vertretung" (StäV) ist Himmel un Ääd mit gebratener Blutwurst, Röstzwiebeln, Apfel, Kartoffelstampf und Senf der Renner. Steht die Flönz mit einer Kölsch-Krone, einem rundum gefüllten Tablett mit Kölschstangen, auf dem Tisch, kann der Dom ruhig in Kölle bleiben – rheinische Trink- und Esskultur gibt’s so mitten in Berlin. 2017 übernahmen Jan Bubinger und Jörn Brinkmann die „StäV" von den Gründern Friedel Drautzburg und Harald Grunert. Neben Halvem Hahn und Rheinischem Sauerbraten darf es dort nun zeitgenössischer zugehen. „Wir haben Musik ins Lokal gebracht, das tut der Stimmung gut. Und wir wollten auch auf der Karte moderner werden", sagt Jan Bubinger. Für die Umsetzung sorgt Küchenchef Manuel Blank, der vom montäglichen Schnitzel vom Havelschwein über den Rheinischen Pulled-Sauerbraten-Burger bis zum veganen Grünkernburger die kulinarischen Modernisierungsmaßnahmen leitet. Wer dem Ruf der „Ständigen Vertretung" als Politikkneipe mit rheinischen Wurzeln folgt, will ebenfalls gern Klassiker wie das „Altkanzler-Filet" essen. Worum es sich handelt, zeigt ein Foto mit Gerhard Schröder beim Verzehr einer „StäV"-Currywurst nach dem Original-Rezept von Herta Heuwer. „Südeuropäer, Chinesen, Japaner und vor allem Koreaner" kämen als internationale Gäste „und wegen der Geschichte" normalerweise gern, weiß Bubinger. Im Moment ist das natürlich anders. Die „Rheinterrassen" an der Spree sind derzeit von Berlinern und deutschen Gästen bevölkert. Wer auf das Politiker-Spotting setzt, hat bald wieder Gelegenheit dazu: „In den Sitzungswochen des Bundestags ist es voll bei uns."
Gut, dass wir im „Vaporetto" gegenüber nun nur noch Dessert und einen Espresso zu uns nehmen. Mehr Pizza und Pasta, Filetto und Gamberi hätten nach der ganzen Uferstrecke nicht mehr in uns hineingepasst. Beim üppig dimensionierten Tiramisu müssen wir uns geschlagen geben. Jeweils eine ganze Portion schaffen wir nicht mehr. Doch wir genießen die Atmosphäre auf dem venezianischen Abschnitt der Terrasse am späten lauen Sommerabend noch umso lieber ein Weilchen zum Ausklang.
Die Vielfalt Europas ist geschmackvoll und vergnüglich
Unser kulinarisches Fazit: Die eine Hälfte der sechs Lokale hält die Fahne der Hausmannskost hoch – eine gute Empfehlung, wenn es einem nach Deftigem gelüstet. Die andere ist mit Fisch und Meeresgetier, Steaks oder italienischen Piatti feiner und ausgefeilter dabei. Die „Fünf" denken jedenfalls auch jetzt schon über künftige Events nach, um den Kiez am Spreeufer für Flaneure, Kunst- und Kulturinteressierte noch attraktiver zu gestalten. Vielleicht gibt’s im Sommer 2021 sogar ein Tasting-Menü mit kleinen Tellern, Wein und Bieren aus allen Lokalen? Unser Gastro-Hopping die Terrasse entlang hat gezeigt, dass das Hindurchprobieren durch die Vielfalt Europas am Schiffbauerdamm geschmackvoll, abwechslungsreich und vergnüglich möglich wäre.