Serhat Aktas ist „Der Weinlobbyist". Der Sommelier eröffnete Anfang Juli seine erste eigene Weinbar in Schöneberg nahe dem Kaiser-Wilhelm-Platz. Dort gibt’s im italienisch anmutenden Innenhof und im Lokal zu deutschen und österreichischen Weinen kleine Gerichte im Tapas-Style.
Serhat Aktas hat eine Interessenvertretung für den Wein in Politik und Gesellschaft übernommen. Insbesondere der Riesling und das eine oder andere gut gereifte Gewächs dürften in ihm einen Fürsprecher gefunden haben. Kein Wunder also, dass der Sommelier seinem ersten eigenen Lokal in Schöneberg den Namen „Der Weinlobbyist" gab. Wer ihn sucht, hält einfach nach dem niedrigsten Haus in der Kolonnenstraße Ausschau und wird gegenüber vom „Xenon"-Kino fündig.
Der kleine, exklusive Innenhof könnte die Vermutung nahelegen, dass Aktas sich in Italien angesiedelt hat. So mediterran mutet das cremefarben geputzte Geviert mit Pflanzen, Remise und Außentreppe zum Bankettraum an. Würde auf dem balkonartigen Absatz Julia ihren Romeo erwarten, wären wir nicht verwundert. Doch die Treppe flitzen derzeit nur der „Weinlobbyist" und seine Mitarbeiterin hinauf. Oben lagern einige Schätzchen von deutschen und österreichischen Winzern, die Aktas für uns herunterbringt. Doch zuerst perlt uns ganz ebenerdig ein 2016er Weißburgunder-Sekt von Günter Kessels Weingut Münzberg zur Begrüßung entgegen. „Der hat drei Jahre auf der Hefe gelegen", sagt Aktas. „Der ist wie ein Jahrgangschampagner."
Wir bleiben Münzberg auch beim Wein treu und starten mit einem reinen Spätburgunder-Rosé zu den Tapas im ausgewachseneren Raciones-Format. Das macht aber nichts, denn so etwas Köstliches wie den italienischen Tomaten-Brotsalat gabeln wir gern jede für sich gänzlich weg. Neben den gebratenen Brotwürfeln, Thymian und Rosmarin spielt doch noch etwas Fencheliges mit hinein? Ja, Anis, ein gutes Olivenöl und ein Chardonnay-Essig aus der Champagne geben der Vinaigrette ihre besondere Note. Der Weinlobbyismus verpflichtet – bis ins Salatdressing hinein! „Das Essen ist keine komplizierte Geschichte. Aber trotzdem soll es natürlich lecker sein", sagt Aktas. Dazu trug Spitzenkoch David Kikillus bei. Er entwickelte mit Aktas die kleinen Gerichte, die direkt am Tresen zubereitet werden. Die drei Lachs-Streifen mit Orangenscheiben, Chili, Orangenwürfeln und einer Ponzu-Sauce aus Sushi-Essig, Yuzusaft und einigen Tropfen Orangensaft machen uns ebenfalls viel Freude.
Glutenfreies Brot wird auf dem Weg noch besorgt
Ob Brot von der „Hofpfisterei" oder der ein Jahr im Eichenholzfass gereifte Champagner-Essig – Aktas legt nicht nur beim Wein Wert auf gute Produkte. Und auf hervorragenden Service, der herzlich-unkompliziert herüberkommt, aber deutlich über das Übliche hinausgeht. Die begleitende Freundin ließ vorab fragen, ob es glutenfreies Brot gebe oder sie selbst etwas mitbringen solle. Letzteres kam gar nicht infrage. Aktas besorgte das Brot auf dem Weg ins Lokal selbst. Die Freundin bekommt eine eigens für sie zubereitete Panzanella und weiß das zu schätzen. Aktas Ausbildung als Restaurantfachmann im „Aigner" und seine Berufspraxis im „Theodor Tucher", „Grace" und „Savu" machen sich unaufdringlich bemerkbar. Gepaart mit Leidenschaft für Wein und Beruf kommt bei so viel Kompetenz und Aufmerksamkeit das Beste für den Gast heraus.
Chapeau zudem für den 29-Jährigen, der erst Anfang Juli eröffnen konnte! Umgebaut, eingerichtet und geordert wurde bereits seit Übernahme des Lokals im Februar. Selbst der erste Rotwein-Lagen-Cup mit Sommeliers und Weinkennern konnte im Bankettraum im Frühjahr gerade noch durchgeführt werden. Etwas vorsichtiger sei er geworden, sagt Aktas. Statt mit den zunächst vorgesehenen 300 startete er Anfang Juli mit 100 Positionen. „Das wäre sonst Selbstmord." Jetzt kommen weitere Kisten mit den Flaschen eben peu à peu an. Die Gäste verübeln es ihm nicht. Im Gegenteil: Viele entdeckten in der erst kurzen Zeit seit der Eröffnung die Weinbar. „Ich selbst trinke ganz unterschiedlich", sagt Aktas. „Aber mein Liebling ist schon der Riesling."
Mit einem 2019er Sauvignon Blanc aus der Avantgarde-Serie geht es weiter in der Pfalz und zum Weingut Bergdolt-Reif und Nett nach Duttweiler. Der mit etwas Mineral unterlegte Weiße liefert uns mit tropischer Fülle und kräuterwürzigem Gras eine passende Begleitung zu einem Garnelen-Ananas-Cocktail. Klingt wie 50er-Jahre, schmeckt aber viel besser! Die frische Ananas bringt Süße und Frucht mit. Chili, Koriander und Erdnüsse tunen eine japanische Mayonnaise mit Biss und asiatischer Würze. Beim Wein dazu setzt Aktas auf ein stimmiges Kanon-Singen der Aromen. Die Freundin erklärt den Sauvignon Blanc zu ihrem Lieblingswein des Abends.
Er möchte seine eigene Freude am Wein vermitteln
„Ich kenne jeden Winzer persönlich", sagt Aktas. Das glaube ich sofort. Gemeinsam mit einem befreundeten Koch aus dem „Regent" sorgte Serhat Aktas vor zwei Jahren noch als inoffizieller „Weinlobbyist" für die angemessene Präsentation der Weine von Winzer Christian Nett. Auch die Arbeit im Weinberg und im Keller entspricht seinem Verständnis vom Wissen und Umgang mit seinem Sujet. Eigentlich hätte der DIHK-geprüfte Sommelier auch das „Weinakademiker Diploma" der Hochschule Geisenheim schon in der Tasche. Doch die letzten Prüfungen mussten coronabedingt verschoben werden; Lokal-Eröffnung war anders als geplant vor Abschluss der Zusatzausbildung. Der Weg zum Weinkennertum führte für Aktas über einen ersten Preis: 2011 konnte er als „Berliner Jugendmeister" der Auszubildenden in einen Sommelier-Lehrgang hineinschnuppern. Die Leidenschaft für den Wein war geweckt, und der Weg zu Trauben, Fässern, Flaschen und Weinen bereitet.
Aktas ist es wichtig, seine Freude am Wein zu vermitteln. Das spiegelt sich in der Karte wider: Ohne gefällig zu werden, dürfen die von ihm ausgewählten Gewächse trinkig sein. Der Wein verlangt nur ungeteilte Aufmerksamkeit von dem Gast, der das wünscht und sich entsprechend beraten lässt – etwa zu einem besonderen, gereiften Wein. Natur- und Orange-Kapriolen sind beim „Weinlobbyist" eher nicht zu finden. Die Karte ist bei den Preisen ebenfalls gastfreundlich gestaltet: Ein offener 0,1er kostet zwischen 3,90 und 9,50 Euro. Die meisten in der Flasche, die sich an einem plauderfreudigen sommerlichen Abend zu zweit ohne Umschweife leeren lässt, werden für faire 27 bis 34 Euro daneben gelistet. Das gleiche Bild bei den Speisen: Von Knabbereien wie getrockneten Tomaten für 3,50 Euro über Brotsalat oder Garnelen für 6,50 Euro mäandert es sich über die Flammkuchen für 11,50 Euro zur Schinken-Käse-Platte für 15 Euro hoch.
Wir spazieren mit einem Chardonnay von Münzberg auf die Flammkuchen zu. Sie erfreuen den Fotografen und mich einmal klassisch elsässisch mit Zwiebeln und Speckwürfeln. Das andere Mal werden sie im hauseigenen „Wie wir ihn mögen"-Style mit Thymian, Orange, Spitzpaprika und Piment d’Espelette serviert. Die Begleiterin muss glutenbedingt leider draußen bleiben. Sie bekommt stattdessen unaufgefordert Oliven und angekräutert eingelegte Artischocken gereicht. Ich picke mir erst naschfreudig und dann begeistert ein, zwei Artischocken-Viertel heraus. Niemand soll schließlich vor leeren Tellern sitzen!
Der Chef selbst trinkt ein Feierabendbier
Serhat Aktas verschwindet kurz und kommt mit einer auffällig kupferfarben ornamentierten Flasche wieder. „2020 der Schatzkammer entnommen" verheißt das Etikett. Der Fotograf fragt: „Ein Wein aus der Zeit der Napoleonischen Kriege?" So alt ist der Riesling Kabinett aus der Vintage-Kollektion nun doch nicht. 2008 wurde diese Wehlener Sonnenuhr vom Weingut Wegeler gekeltert. Als Süßwein-Fan mit Faible für die niedrigprozentigen, gut gelagerten und säurebetonten Auslese- oder Kabinett-Rieslinge bin ich entzückt. „Oma-Wein" und Klebrigkeit ade! Die zeitgemäß ausgebauten süßen Mosel-Rieslinge haben es heutzutage fruchtig, aber mit konturierenden Säure-Spitzen einfach drauf. Die „Bückware" aus der Grand-Cru-Lage und mit zwölf Jahren auf dem Buckel ist nebenbei bemerkt kein unbezahlbares Vergnügen. Sie wird für 49 Euro die Flasche ausgeschenkt. Ein klarer Fall von Gönnung – und ein großes Dankeschön an Serhat Aktas für diesen schönen Ausklang des Terrassenabends!
Eigentlich ist es ganz einfach mit dem „Weinlobbyismus": „Mein Konzept ist streng", sagt Aktas. „Nur Wein und Wasser." „Und Sekt!", rufen wir ihm zu. „Und ein Feierabendbier, aber nur für mich!", erwidert er lachend. Das verstehen wir. Denn selbst der umtriebigste „Weinlobbyist" muss seine Geschmacksknospen regelmäßig ausschütteln, pflegen und erfrischen.