Störche, Schlachten, Scheunen: Die Gegend um Fehrbellin ist eine äußerst reizvolle Ecke Brandenburgs mit bewegter Geschichte. Wie eine Insel im Meer ragt der Höhenrücken aus der einstigen Sumpflandschaft hervor.
Die Einflugschneise zieht sich mitten durch den Ort. Direkt auf der Linumer Dorfstraße setzt plötzlich ein Flieger zur Landung an und zischt knapp über die Köpfe der Besucher hinweg. Die schwarz-weiße Färbung verrät: Es handelt sich um ein Exemplar von „Air Adebar". Als Storchendorf ist Linum weithin bekannt und kann in manchen Jahren bis zu 20 besetzte Horste mit Weißstorchpaaren vorweisen. In Linum ziehen sie ihren Nachwuchs groß. Das angrenzende Teichland wiederum, Überbleibsel des einstigen Torfabbaus, ist heute eines der größten Rastgebiete für Wildvögel in Mitteleuropa. Im Herbst rasten an manchen Tagen bis zu 80.000 Kraniche auf den ausgedehnten Wasserflächen, um vor dem Weiterflug in wärmere Gefilde noch einmal Kraft zu tanken. Im Morgengrauen hallt ihr trompetenartiger Ruf in tausendfacher Ausführung durch die Landschaft.
Weltweit gibt es nur wenige Orte mit einer solchen Konzentration an Kranichen. Die Vögel finden auf den umliegenden Feldern nicht nur ausreichend Nahrung, sondern sind im knietiefen Wasser zudem bestens vor Fressfeinden geschützt. Doch auch zu anderen Jahreszeiten sind die Linumer Teiche ein wahres Refugium für Insekten und Wasservögel aller Art, egal ob Haubentaucher, Fisch- oder Seeadler. Zahlreiche Entenarten nutzen die Fischteiche ebenfalls zur Brut, darunter die in Brandenburg selten gewordene Kolbenente.
Wassertourismus wurde mit viel Geld gefördert
„Wer Ruhe sucht, der findet sie bei uns", sagt Mathias Perschall, der Bürgermeister der Gemeinde Fehrbellin, dessen Ortsteil Linum ist. Wer von Altfriesack aus mit dem Kanu ins Rhinluch aufbricht, ist schon nach wenigen Minuten völlig allein unterwegs. Bald ist nichts mehr zu hören außer dem leisen Eintauchen des Paddels, dem Rascheln des Schilfs und dem steten Surren der tanzenden Libellen. Als ein Specht die Stille mit seinem Klopfen durchbricht, mutet das beinahe schon wie Ruhestörung an.
Frank Kuchenbecker vom Kanucamp Altfriesack organisiert seit 1996 geführte Kanutouren und kennt in der Gegend jeden Grashalm. Sein Tipp: eine Tour durch den Wustrauer Rhin, vorbei an saftig grünen Luchwiesen. Motorboote sind dort nicht zugelassen. An einigen Abschnitten ist die Strecke von beiden Ufern aus mit Schilf zugewachsen – dann folgen wieder breitere Passagen, in denen man sich bei sanfter Strömung einfach treiben lassen kann. Schon oft hat Kuchenbecker dort Eisvögel beobachtet oder Greifvögeln wie dem Rotmilan bei der Jagd zugesehen. Mit etwas Kondition lässt sich von Altfriesack aus das gesamte Rhinluch auf einer rund 31 Kilometer langen Runde erkunden. Die Gemeinde Fehrbellin hat zuletzt viel Geld investiert, um den Wassertourismus weiter zu fördern. Neun neue Einstiegsplätze wurden erkundet, von denen die ersten bis Jahresende fertig sein sollen; Biwakplätze zur Übernachtung sollen folgen. Im Kanucamp in Altfriesack stehen aber schon jetzt mehrere Hütten und Bungalows für Wasserwanderer zur Verfügung.
Das Wasser war in der Region schon immer ein prägendes Element. Über Jahrhunderte hinweg befand sich nordwestlich von Berlin eine Moor- und Sumpflandschaft – im Norden das Rhinluch, südlich davon das Havelländische Luch. Erst unter Friedrich dem Großen wurde die Gegend nach und nach trockengelegt und urbar gemacht. Wie Inseln im Meer ragen aus den feuchten Niederungen mehrere Höhenrücken hervor – die sogenannten Ländchen. Geologisch gesehen handelt es sich dabei um sogenannte Grundmoräneninseln. Neben dem Ländchen Bellin, das der Gegend um Fehrbellin seinen Namen gab, existieren des Weiteren die Ländchen Friesack, Glien, Nennhausen, Rhinow und Zootzen sowie jenseits der Havel das Ländchen Schollene. Die Unterschiede sind bis in die Gegenwart ersichtlich: Während sich auf den höheren Lagen Äcker und Waldbestand finden, liegen in den Niederungen bis heute ausgedehnte Wiesen.
Scheunenviertel ist das größte in Europa
„Das ist wirklich eine schöne Ecke", meint ein Mann aus Weimar, der gerade seine Sachen zusammenpackt. Im nächsten Jahr will er mit seiner Familie wiederkommen. Zu entdecken gibt es einiges. Wer mit dem Fahrrad der Fontane-Tour folgt, erlebt einige der insgesamt 17 bezaubernden Ortsteile von Fehrbellin. Langen zum Beispiel mit seiner weithin sichtbaren Kirche, erbaut einst von Friedrich August Stüler, einem Schüler von Preußens Oberbaumeister Karl Friedrich Schinkel, auf dessen Konto auch so bekannte Bauwerke wie die Alte Nationalgalerie in Berlin oder die Orangerie in Potsdam gehen. Oder Wustrau mit seinem alten Rittersitz und dem privat geführten Brandenburg-Preußen Museum, in dem die 500-jährige Geschichte Brandenburg-Preußens unter den Hohenzollern dargestellt wird. Sehr beliebt ist außerdem das alljährliche Seefestival an der Seebühne am Schloss.
Weltberühmt wurde Fehrbellin 1675 durch die Schlacht bei Hakenberg und den Erfolg der kurbrandenburgischen Truppen von Kurfürst Friedrich Wilhelm gegen ein zahlenmäßig überlegenes schwedisches Heer, durch den sich Preußen im Kreis der europäischen Mächte etablierte. „Hier legten die braven Brandenburger den Grund zu Preußens Größe …", heißt es auf einem Gedenkstein. Eine Allee aus Ahornbäumen führt von dort zur Siegessäule, von dessen Spitze die Siegesgöttin Viktoria schon weithin sichtbar golden glänzt. Das Denkmal kann man auch besteigen – von oben eröffnet sich aus 36 Metern Höhe eine herrliche Rundumsicht. Alle fünf Jahre hallt an dieser Stelle wieder der Kanonendonner durch die Lande, wenn die Schlacht mit Laiendarstellern nachgestellt wird. Ein großes Spektakel, das in diesem Jahr wegen des Coronavirus aber leider ausfallen musste.
Bis ins 17. Jahrhundert reichen auch die Ursprünge des Scheunenviertels in Kremmen zurück, ganz im Osten des Ländchens Bellin. 1672 wurde das Viertel auf kurfürstlichen Erlass hin errichtet – ursprünglich als reine Brandschutzmaßnahme, damit brennbares Material wie Heu oder Stroh fortan nicht mehr im Stadtzentrum gelagert werden. Tragischerweise brannte die Stadt 1840 dennoch größtenteils ab. Von den ehemals über 100 Scheunen haben sich trotzdem 54 erhalten, womit Kremmen heute über das größte zusammenhängende Scheunenviertel Europas verfügt. Zahlreiche Firmen und Ateliers sind seit der Wende dort eingezogen, dazu mehrere Cafés und Restaurants und die Außenstelle des örtlichen Standesamts. So manches junge Paar dürfte die vielen Störche in der Region dabei als gutes Omen für baldigen Kindersegen deuten.