Britische Forscher wollen ein einfaches Hilfsmittel gegen das altersbedingte Nachlassen der Sehkraft entdeckt haben. Eine spezielle LED-Lampe soll ausreichen, um die Kraftwerke der Netzhaut wieder aufzuladen.
Speziell auf unserer Netzhaut, im Fachjargon Retina genannt, hinterlässt das Altern seine Spuren – das schlägt sich im Nachlassen unserer Sehkraft nieder. Denn auf der Retina, die sich auf der Rück- oder Innenseite des Auges befindet, läuft der eigentliche Sehprozess ab. Dafür sind hauptsächlich zwei Typen von lichtempfindlichen Sinnes- oder Sehzellen verantwortlich: Zapfen und Stäbchen. Die sechs Millionen Zapfenzellen sind für das Sehen von Farben verantwortlich, wobei es drei verschiedene Zapfentypen gibt, die jeweils auf Licht unterschiedlicher Wellenlänge reagieren. Es gibt Zapfen fürs Rotsehen (rund 46 Prozent aller Zapfen, für langwelliges Licht), fürs Grünsehen (rund 46 Prozent aller Zapfen, für mittelwelliges Licht) und fürs Blausehen (rund acht Prozent aller Zapfen, für kurzwelliges Licht).
Die 120 Millionen Stäbchenzellen sind für das Hell/Dunkel-Sehen zuständig und besonders bei Dämmerlicht oder Dunkelheit aktiv. Auch unser peripheres Sehen zum Wahrnehmen der Umwelt außerhalb der Blickachse wird durch die Stäbchen ermöglicht. Zapfen und Stäbchen sind am dichtesten in der Mitte der Netzhaut anzutreffen – der Makula. Durch ihr perfektes Zusammenspiel ermöglichen sie uns, ein komplett farbiges Bild unserer Umwelt zu sehen. Dafür wandeln sie die elektromagnetischen Wellen des Lichts in Nervenimpulse um und leiten sie an die beiden Sehnerve weiter. Von dort gelangen die Reize über das Zwischenhirn in das Sehzentrum des Großhirns zur finalen Bildumsetzung.
In der Jugend funktionieren die Fotorezeptoren des Auges reibungslos. Zur guten Bilderkennung zählen neben den Zapfen und Stäbchen auch noch die für die Regelung des Tag-Nacht-Zyklus verantwortlichen Ganglienzellen. Doch in einem ARD-Wissen-Podcast wird betont: „Circa 30 Prozent der lichtempfindlichen Fotorezeptoren sterben ab – vor allem die Stäbchen, die für das Sehen bei Dunkelheit zuständig sind. Der Gesamteffekt ist deutlich: Messungen haben gezeigt, dass die durchschnittliche Netzhauthelligkeit bei 60-Jährigen nur noch ein Drittel derer von 20-Jährigen beträgt. Um die gleiche Sehleistung zu erzielen, brauchen ältere Menschen darum viel mehr Licht."
Ältere brauchen mehr Licht für gleiche Sehleistung
Dass mit einer Erhöhung der Lichtzufuhr positive Effekte in Sachen Sehkraft erzielt werden können, hatten Augenheilkundler des University College London rund um Prof. Glen Jeffery bereits in früheren Versuchen mit Fruchtfliegen, Hummeln und Mäusen nachweisen können. Sie konnten in ihren Experimenten eine deutliche Verbesserung der Funktion der Fotorezeptoren erzielen, indem sie die Augen der Tiere mit rotem Licht in einer Wellenlänge von 670 Nanometern bestrahlten. Dadurch ließ sich die Produktion des für Zellen absolut lebensnotwendigen Energieträgers Adenosintriphosphat (ATP) deutlich steigern. Davon profitierten vor allem die Mitochondrien, die als die eigentlichen Kraftwerke der Zellen gelten und die diese ständig mit ATP versorgen müssen. „Mitochondrien haben spezifische Lichtabsorptions-Merkmale, die ihre Leistung beeinflussen", so Glen Jeffery. „Längere Wellenlängen von 650 bis 1.000 Nanometern werden besonders gut aufgenommen und erhöhen die Leistung und Energieproduktion der Mitochondrien."
Um herauszufinden, ob ähnlich gute Resultate auch beim menschlichen Auge durch künstliche Lichtquellen erreicht werden können, hatte das Team eine Pilotstudie mit je zwölf Männern und Frauen im Alter von 28 bis 72 Jahren durchgeführt, wobei keiner der Probanden von einer Augenkrankheit betroffen war. Die Ergebnisse ihrer Studie wurden im Juni 2020 im Fachmagazin „The Journals of Gerontology" veröffentlicht. Dies muss aber noch als Grundlagenforschung eingestuft werden, da es noch keine medizinische Zulassung als Therapie und auch noch keinerlei Erkenntnisse über mögliche Langzeitschäden gibt. An dieser Stelle muss daher dringend davor gewarnt werden, die relativ einfache Versuchsanordnung zu Hause nachzustellen. Auch wird abgeraten, die für andere Zwecke bestimmte Infrarotlampe zu benutzen, da deren Einsatz schwere Augenschäden verursachen kann.
Zum Auftakt ihrer Arbeit unterzogen Glen Jeffery und sein Team die Probanden aufwendigen Sehtests, um die Empfindlichkeit der jeweiligen Fotorezeptoren, sprich der Zapfen und Stäbchen, genau bestimmen zu können. Zur Messung der Leistung der Stäbchenzellen wurden die Pupillen medikamentös erweitert, danach mussten die Testpersonen schwache Lichtsignale in der Dunkelheit möglichst gut erkennen. Zur Feststellung der Leistungsfähigkeit der Zapfenzellen bestand die Aufgabe darin, bunte Buchstaben mit sehr geringem Kontrast zu unterscheiden, wobei ein fortschreitender Verschwommenheitseffekt das Ganze noch erschwert hatte.
Verbesserung auch bei schwachem Licht bemerkbar
Nach Abschluss der Messungen wurden den Probanden kleine LED-Taschenlampen ausgehändigt, die tiefrotes Licht mit der Wellenlänge von 670 Nanometern erzeugen konnten. Die Lampen hatten die Wissenschaftler selbst konstruiert beziehungsweise modifiziert, wobei sie zehn 670-Nanometer-LEDs hinter einem Lichtdiffusor montiert hatten. Den Kostenaufwand für die Lampen gaben die Forscher mit umgerechnet rund 13 Euro an. Die Probanden sollten die Lampen über einen Zeitraum von zwei Wochen täglich drei Minuten lang vor ihren Augen positionieren – diese gewissermaßen im Licht baden. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie die Augen geöffnet oder geschlossen halten wollten, weil das langwellige Licht auch durch das Lid zur Netzhaut vordringen konnte.
Nach Ablauf der zwei Wochen wurde die Sehfähigkeit der Probanden erneut getestet. Das Ergebnis: Bei Jüngeren hatte das rote Licht keinerlei positive Auswirkungen auf die Sehfähigkeit gezeigt. Wohl aber bei den Älteren ab 40 Jahren: Bei ihnen war eine deutliche Steigerung der Leistungsfähigkeit der für das Farbensehen zuständigen Zapfenzellen zu konstatieren, die Wahrnehmung von Farbkontrasten hatte sich um 20 Prozent verbessert. Was sich vor allem bei der Farbe Blau bemerkbar machte, die genau in dem Bereich des Farbspektrums liegt, in dem die Sehkraft während des Alterungsprozesses typischerweise am stärksten nachlässt.
Auch bei der Stäbchen-Leistung, also bei der Sehfähigkeit in schwachen Lichtverhältnissen, konnte eine wesentliche Verbesserung konstatiert werden. „Unsere Studie zeigt", so Glen Jeffery, „dass es möglich ist, das Sehvermögen, das bei gealterten Personen abgenommen hat, signifikant zu verbessern, indem man sie einfach kurz Lichtwellenlängen aussetzt, die das Energiesystem, das in den Netzhautzellen geschwächt wurde, wieder aufladen, ähnlich wie beim Aufladen einer Batterie. Die Technologie ist einfach und sehr sicher. Sie verwendet tiefrotes Licht einer bestimmten Wellenlänge, das von den in der Netzhaut ansässigen Mitochondrien absorbiert wird, die Energie für die Zellfunktion liefern."
Das Team um Professor Jeffrey stuft seine Erkenntnisse als möglichen Startschuss für eine künftige, überaus kostengünstige Form der Augentherapie ein. Denn jeder Mensch, der unter einer altersbedingten Verschlechterung des Sehvermögens zu leiden beginne, könne im häuslichen Umfeld mithilfe der speziellen Lampen die Leistungsfähigkeit seiner Fotorezeptorzellen wieder verbessern. Doch bis dahin dürfte es noch ein weiter Weg sein. Als nächsten Schritt möchten die Wissenschaftler die Wirksamkeit ihrer Lichttherapie in Studien mit deutlich mehr Teilnehmern überprüfen und dabei auch die optimale Dosierung der Lichtzufuhr ermitteln.