Es ist der wohl ungewöhnlichste Start in ein Wintersemester. Experimentierbereitschaft und starke Nerven sind für den Lehrbetrieb gefragt. Auch das studentische Alltagsleben steht unter neuen Vorzeichen. Ein Semesterbeginn mit vielen Unwägbarkeiten.
Vieles ist noch völlig unklar. Dabei können die Hochschulen auf den Erfahrungen des ersten „Corona-Semesters" im Sommer aufbauen, das als erstes digitales Semester in dieser Form ungewollt ein Stück Hochschulgeschichte markiert.
Auf der einen Seite werden die Kraftanstrengungen und oft auch das unerwartete Improvisationsvermögen gelobt, mit denen die Hochschulen versucht haben, auf die Pandemie-Herausforderungen zu reagieren. Wie in so gut wie allen anderen Bereichen gilt auch hier, dass zuvor teils lange und intensiv diskutierte Umstellungen plötzlich möglich waren, mehr noch, fast schon als Selbstverständlichkeit angenommen wurden. Und es gilt genauso die Erfahrung der Grenzen.
Die ziemlich durchgängige Konsequenz dürfte der Versuch mit hybriden Lehrveranstaltungen sein, also einer Kombination aus (begrenzter) Präsenz und digitalen Angeboten. Der Versuch, die analoge mit der digitalen Welt zu versöhnen.
Einige Erfahrungen teilt der Hochschul- mit dem Schulbetrieb zu Corona-Zeiten. So zeigte sich beispielsweise – wenn auch auf unterschiedlichem Niveau –, dass auch nicht alle Studierende über die gleichen technischen Voraussetzungen verfügen für den Zugang zu digitalen Lernangeboten. Umfragen unter Studierenden über ihre Erfahrungen zeigen, dass sich auch hier die Frage nach der Chancengleichheit stellt.
Studierende sind eine äußerst differenzierte Gruppe, die Folgen machen sich entsprechend unterschiedlich bemerkbar. Mit am deutlichsten wird das bei den ausländischen Studierenden, insbesondere denen aus Nicht-EU-Ländern. Sie müssen im Zweifel nachweisen, dass für ihr Studium eine Präsenzpflicht gilt, ein reines Online-Studium nicht möglich ist. Bei den unterschiedlichen Verfahren an den Hochschulen und auch innerhalb von Hochschulen ein unübersichtliches Unterfangen, oft auch erschwert dadurch, dass Konsulate wegen Corona zum Teil nur reduziert arbeiten, was Visa-Klärungen zusätzlich erschwert.
Studierendenwerke verweisen auf Leerstände in ihren Wohnheimen, wo ein Anteil von Wohnungen für ausländische Studierende vorgesehen ist. Die Hochschulrektorenkonferenz zeigt sich besorgt um die Internationalität.
Umgekehrt gibt es Unklarheiten über Auslandssemester und studienbedingte Auslandsaufenthalte in Corona-Zeiten, von den Umständen des Aufenthaltes selbst über Prüfungsmöglichkeiten bis hin zur Frage nach Krankenversicherungen in diesen Zeiten. Dabei sind Auslandserfahrungen im Studium in Zeiten der Globalisierung eine pure Selbstverständlichkeit.
Stellschrauben für neuen Hochschulalltag
Und natürlich geht es um die entscheidende Frage der Finanzierung. Kaum ein Studierender, der sein Studium nicht durch Jobs finanziert – Jobs, die im Lockdown mit als erstes weggefallen sind, beispielsweise in der Gastronomie. Mit Hilfen hat sich die Bundesregierung anfänglich eher schwer getan, bis dann doch Programme beschlossen wurden. Über die KfW gab es Förderkredite, wenn Einkünfte plötzlich weggebrochen waren. Für Hilfen in Not gab es im Juni ein 100-Millionen-Programm nicht rückzahlbarer Zuschüsse bis zu 500 Euro. Damit sei „das Sicherheitsnetz noch dichter" geworden, betonte Bundesbildungsministerin Anja Karlizcek (CDU). Nach harscher Kritik wurden die zunächst auf drei Monate (bis August) begrenzten Förderungen um einen Monat verlängert. Die Mittel waren eigentlich dazu gedacht, dass sich Studierende ohne existenzielle Sorgen auf ihre Prüfungen konzentrieren konnten.
Etliche, vor allem große Unis haben eigene Unterstützungsangebote aufgelegt, was aber nicht an allen Hochschulen möglich war und ein stückweit ebenfalls zu Verzerrungen beigetragen hat.
„Was wir schaffen, ist Wissensvermittlung, was wir nicht schaffen, ist die Universität als Lebensraum", stellt beispielsweise Martin Heger, Dekan der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin, fest, und ergänzt: „Ohne die Gemeinschaft der Lernenden und Lehrenden gibt es keine Universität." Diese Gemeinschaft verliere sich aber zusehends im digitalen Lehrbetrieb.
Das Präsidium der Saar-Uni sieht dagegen die Krise als Chance „für einen Quantensprung in der Digitalisierung der Lehre", will aber „unabhängig von technischen und didaktischen Innovationen keine reine Fernlehre". Auch hier gilt: Ein einfaches zurück zu Vor-Corona-Zeiten wird es nicht geben können, die Uni werde vielmehr vorbereitet sein müssen, „jederzeit und unmittelbar in einen temporären Lockdown zurückzukehren". Eine Situation, von der Kritiker befürchten, dass sie „gerade die schlimmen Seiten der Bologna-Reformen zum Vorschein bringen" könnte, wie es Tobias Maydl im Cicero nennt. Verschulung, mangelhafte Betreuung, am Ende gar Studieren als „Einsiedelei" und „Eremitentum". Dann würde der „digitale Winter" für Studierende „keine guten Aussichten" bereithalten.
Pessimistisch warnende Stimmen gehören ebenso zu Umbruchphasen wie euphorische Erwartungen. Die Wahrheit dürfte wie immer irgendwo dazwischen liegen. Grund für die Annahme liefern etliche Studien, die sich mit den Entwicklungen an den Hochschulen seit dem Lockdown beschäftigt haben.
„Wintersemester is coming", und der Erfolg vor allem der „Hybrid-Modelle" werde auch daran gemessen, wie gut die Studierbarkeit für Personen aus Corona-Risikogruppen und für ausländische Studierende organisiert wird, meint Yasmin Djabarian vom Hochschulforum Digitalisierung beim Stifterverband. Sie hat in einer Studie und anhand von Umfragen zu Erfahrungen aus dem Sommer-Corona-Semester versucht, einige „Stellschrauben in Bezug auf das neue Normal" an Hochschulen zu identifizieren. Einer ihrer Schlüsse: Es braucht „eine ernst gemeinte Kultur des Scheiterns, in der offen und mutig experimentiert werden darf".