Das „MontRaw" zog an die Torstraße. Es beließ seine neue, kleine Schwester am bisherigen Standort im Prenzlauer Berg – die „Mezze Bar by MontRaw". Ben Barabi serviert dort nun die namensgebenden Mezze sowie nuancierte Gerichte der Levante.
Die „Mezze Bar" hat eine beruhigende Ausstrahlung: Die begleitende Freundin und ich treffen wegen ernsterer Lebensunbilden beide deutlich später ein als geplant. „Kein Problem, wir halten euren Tisch frei", hieß es am Telefon. Danke! „Kommt erst einmal gut an und nehmt einen Drink", empfängt uns Melanie Schenk vom Service. Nach einem heißen und aufregenden Tag entfalten ein „MontRaw Mule" und ein „Pisco Punch" ihre besänftigende Wirkung. Der Abend auf der Terrasse der „Mezze Bar" an der Straßburger Ecke Metzer Straße kann jetzt wirklich beginnen.
Wir lesen uns in die übersichtlich kleine Karte ein und haben inzwischen genug Appetit auf Mezze und größere Gerichte zum Teilen. Damit die Augen nicht größer sind als unsere Bäuche, wählen wir bei den Mezze zwei Klassiker und zwei Unbekannte aus: Labneh und in Essig marinierte Auberginen, einen „Dekonstruierten Ochsenschwanz" und ein „Terechy". Dem Labneh, einem levantinischen Frischkäse auf Joghurt-Basis, sind wir schon häufiger begegnet. In der „Mezze Bar" wird er mit Kräutern angemacht und mit Zatar-Gewürz gereicht. Wir stippen ihn mit Brot oder gabeln ihn zu den gesäuerten Auberginen. „Brot, Olivenöl und Eiweiß", sagt die Freundin wohlig seufzend, „ist das, was einen glücklich macht."
Auf die anderen Teller trifft das nicht weniger zu: Der leuchtorangefarbene Klecks auf Teller drei nennt sich „Terechy" und ist ein „Tunisian Style Kürbis". Die ausdrucksstarke Kürbiscreme wurde mit Harissa und Kreuzkümmel angemacht. „Der Küchenchef hat den Kürbis zu einem spannenden, eigenen Gericht gemacht", fasst die Freundin zusammen. Das Fleisch in dieser Runde sei „eigentlich zu einem pulled Ochsenschwanz" dekonstruiert worden, befindet sie. Die eingelegten roten Zwiebeln steuern einen Schuss Säure, das Beef-Jus konzentriertes Rindfleisch-Aroma hinzu. Eine schöne Sache! Die kleineren Mezze-Teller halten sich preislich mit drei bis fünf Euro im moderaten Rahmen. Sie eignen sich prima als Begleitakkorde zu den Drinks von der Bar oder zum Wein.
Küchenchef Ben Barabi nahm die levantinisch-mediterranen Einflüsse bei seiner Arbeit in Tel Aviv und in New York auf. In New York lernte er Shimon Rokhlin, den Gastgeber des „MontRaw", kennen. Das gab schließlich den Ausschlag, nach Berlin zu gehen. Die „Mezze Bar" trägt den Namenszusatz „by MontRaw" aus gutem Grund. Das von Galina Marimont im Januar 2018 eröffnete „MontRaw" wurde rasch zu klein, die Warteliste für einen Platz zu lang. Deshalb zog das „MontRaw" mit der von Ben Barabi geprägten kulinarischen Handschrift unlängst nach Mitte, in die Torstraße 189.
Im Gastraum der „Mezze Bar" im Prenzlauer Berg wiederum, der sich mit großen Schiebefenstern mit der Terrasse gefühlt zu einem großen Außen verbindet, gibt es derzeit Platz für 36 Gäste. Innen sind es 30 Plätze. Auf der ums Eck gehenden Terrasse ist gegen 20.30 Uhr jeder Tisch belegt. „Das ist alles Kiez hier", meint die Freundin. Es sieht so aus. Man kennt einander, der Service findet ein herzliches Wort in der richtigen vertrauten Nuance für jeden. Fragt nach den Getränken und weist auf Specials hin. Es geht familiär, unaufgeregt und relaxed zu.
Der Fisch-Crudo ist hier das Signature Dish
Wir starten in die nächste Runde Orange: Das Special aus der Küche sind angeflämmte, im Ofen gebackene Karotten. Sie wurden auf diverse Arten durchgearbeitet und landen teils stückig, teils als Creme mit Minze auf unserem Teller. Sour-Cream-Tupfen fügen Frische, Koriandersamen, ein Puder aus Karottengrün und krosse Brotkrümel den exotischen Crunch hinzu. „Da wurde das Maximale aus der Karotte herausgeholt", sagt die Freundin, die von Haus aus den Gemüsen mehr als dem Fleisch zugetan ist. Bei den jemenitischen Pfannkuchen mit gezupftem Entenfleisch kann sie dennoch nicht widerstehen. Bei diesen „Lahoh" ist unsere Mitarbeit gefordert: Die butterweiche Ente möchte mit geriebenen Tomaten, Chili, Minzblättchen, Lauchzwiebelringen und Crème fraîche auf eine helle, luffaschwammartige Pfannkuchenscheibe gehäufelt werden. Durch die fein geriebenen, beinah saucigen Tomaten und Kräuter wirkt dieses Gericht geradezu leicht und erfrischend. Unser spontaner Liebling ist das Roastbeef-Carpaccio. Das rosa gebratene Rindfleisch legt sich scheibenweise unter einen Salat aus Rucola, Petersilie, confierten Tomaten, Chili und Parmesan-Spänen. Er ist mit einer Zwiebel-Salsa angemacht. Sie verschafft dem Carpaccio den würzigen Touch und Charakter eines vollgültigen Essens, das frau gern an einem warmen Abend als leichtes Mahl zu sich nehmen mag. Ein Teller, der den „Wiederkommen!"-Reflex bei uns auslöst.
Weil wir gerade so gut dabei sind, probieren wir noch das „Freekeh Risotto Style" mit Austernseitlingen, Lauchzwiebeln und Gemüsefond. Freekeh ist ein verarbeiteter, unreif geernteter Hartweizen. Er wird in der Sonne getrocknet, über offenem Feuer geröstet, dann gedroschen. Das „Freekhotto" wird erst beim Essen mit frischem Eigelb auf dem Teller vermischt und erhält so den für Risotto und seine Spielarten typischen Schlotz. Zwei geflämmte Lauchzwiebel-Stangen liegen grafisch wirksam herum und stützen die erdige Note von Pilzen und Getreide.
Während des gesamten Essens bleiben wir bei alkoholischen Drinks. Für mich darf es nach dem „Pisco Punch" mit Limette, Palmzucker, Tonkabohne und Ananas ein etwas herberer „Lillet & Bubbles" mit Prosecco, Orange, Minze und Beeren sein. Die Freundin erhält nach der Geschmacksansage „gern rauchig, salzig, gemüsig" einen von der Barfrau spontan kreierten Drink mit Mezcal „aside". Ein Schluck aus dem alkoholfreien Glas, einer vom Mezcal danach. Der noch namenlose Drink gefällt. Wein „aus der alten und aus der neuen Welt", wie Melanie Schenk verrät, steht natürlich ebenso auf der Karte. Jeweils drei Weiße, Rote und Rosés sind immer offen. „Wir wollen unseren Fokus noch mehr auf den Libanon und Israel legen", sagt Schenk.
Zusammenspiel von Milchigkeit, Süße und Säure
Sie öffnet gerne den einen oder anderen Wein, der normalerweise nicht glasweise ausgeschenkt wird. „Wir gehen auf die Gäste zu und sagen ihnen, dass wir gerade eine bestimmte Flasche anbieten." Das macht die „Mezze Bar" umso interessanter für die Stammgäste, die Abwechslung mögen. Wir fragen nach den Lieblingsgerichten. „Die Nachbarn kommen wegen dem Fisch-Crudo. Das ist unser Signature Dish." Dass wir das nun gerade nicht bestellt haben, kann Melanie Schenk so nicht stehen lassen. Ehe wir uns versehen, bekommen wir einen Extra-Teller mit zwei Streifen Filet von der „crudo" – also rohen – Gelbschwanzmakrele serviert. Auf ihnen stapelt sich ein kleiner Berg mit einem Mix aus frischer Zitrone, Püree von der eingelegten Salzzitrone, Gurke, Chili, Oliven, Olivenöl und Zatar. Tupfen von Crème fraîche sorgen für die milchige Verbindung von Grün, Gelb und Gewürz. „Am besten in einem Happen essen", lautet die Regieanweisung. Das ist definitiv ein Gericht zum Wiederkommen! Das Wiederkommen bleibt auch bei den größeren Gerichten portemonnaieverträglich: Die Teller kosten zwischen 7,50 und 14 Euro. Die alkoholischen Cocktails pendeln zwischen sieben und zwölf Euro.
Für die Desserts haben wir natürlich einen Extra-Platz in unserem Inneren reserviert. Dessert eins, das Himbeersorbet, schmeckt extra fruchtig und ist sorbet-untypisch enorm cremig. Wie mag das zustande gekommen sein? Die Lösung ist einfach, wenn frau in die richtige Richtung denkt: Schwarzes Tahin, cremig vermahlener schwarzer Sesam, schaufelt als Ölsaat den Schmelz ins Sorbet. Frische Blaubeeren toppen das Eis und runden den Abend auf der fruchtigen Seite ab.
Orientalisch-cremig zeigt sich Dessert zwei, ein Kataif-Miniberg, von seiner knusprigsten Seite – poetisch annonciert als „Levant Style Mille Feuille". Die „tausend Blätter" sind à la Orient als „tausend Teigfäden" interpretiert. Die üblicherweise in das „Engelshaar" eingebackenen Käsecreme wird in der „Mezze Bar" als eine auf die Kataif-Fäden aufgespritzte Mascarponecreme mit Kardamom interpretiert. Einige Beeren sowie Minzeblättchen schmiegen sich an den Creme-Hügel. Erwischt man ein, zwei Beeren mit Teig und Creme gemeinsam, ist das Zusammenspiel der Texturen, von weicher Milchigkeit, Süße und Säure stimmig. Einige Beeren mehr hätten deshalb gutgetan.
So entspannt wie wir durch den Abend mäandert sind, so fein und harmonisch gestaltet sich das Zusammenspiel der Gerichte in der „Mezze Bar", meint die Freundin: „Alle Teller sind bedenkenlos miteinander kombinierbar. Es wird nicht ein Gericht dabei sein, das nicht passt." Die „Mezze Bar" als Ausgründung vom „MontRaw" macht Lust auf weitere Besuche – am selben Ort sowie im neuen „MontRaw".